Stellungnahme zum UrHWissG-Referentenentwurf

"Das zerstört unseren Lehrbuchmarkt endgültig"

24. Februar 2017
Redaktion Börsenblatt
Wissenschaftsverlage verstehen sich als integraler Bestandteil des Wissenschaftssystems, sagt Barbara Budrich, aber ohne Entlohnung können sie ihre Aufgabe nicht erfüllen. Für die Initiative "Verlage der Wissenschaft" hat die Verlegerin dem Bundesjustizministerium eine Stellungnahme übermittelt.

"In vier Punkten sieht der Gesetzgeber noch Beratungsbedarf zum vorgelegten Referentenentwurf des 'Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft'. Auf diese Punkte möchte ich mich im Folgenden beschränken:

  1. Vorrang gesetzlicher Nutzungsbefugnisse (Schranken) vor vertraglichen Vereinbarungen (§ 60g Abs. 1 UrhG-E);
  2. Maß der gesetzlich erlaubten Nutzungen (insb. § 60a Abs. 1 UrhG-E: 25 Prozent eines veröffentlichten Werks für Unterricht und Lehre);
  3. Ausnahmeregelung lediglich für Schulbücher, nicht aber für Lehrbücher (§ 60a Abs. 3 Nr. 2 UrhG-E);
  4. Art der Berechnung der angemessenen Vergütung nach § 60h Abs. 3 UrhG-E.

Dass hier noch Beratungsbedarf gesehen wird, ist insofern beruhigend, als insbesondere Punkte 1 und 2 das Geschäftsmodell kleiner und mittelständischer Wissenschaftsverlage – also auch der von mir vertretenen „Verlage der Wissenschaft“ – torpedieren; Punkt 3. zerstört unseren Lehrbuchmarkt endgültig und Punkt 4. versagt uns jedwede Entschädigung – denn die „angemessene Vergütung“ soll über die VG Wort erfolgen, die ja bekanntlich (BGH-Urteil vom April 2016) nicht mehr an Verlage auszahlen darf.

Ich stelle Ihnen hier kurz die aktuelle Situation des wissenschaftlichen Verlagswesens, die Leistungen dieses Systems und die zu befürchtenden Folgen bei Umsetzung des Referentenentwurfs in ein Gesetz dar:

 

Die Situation nach der letzten Reform (§52a)

Die Buchumsätze pro Titel sind in den letzten Jahren deutlich rückläufig, die Verkaufsauflagen von rund 300 Exemplaren eines wissenschaftlichen Fachbuchs in den vergangenen Jahren auf zum Teil deutlich unter 100 Exemplare gesunken. Der Lehrbuchmarkt ist in den letzten zehn Jahren um rund 30% eingebrochen – und dies nicht nur in meinem Verlag Barbara Budrich sondern flächendeckend, abhängig vom Fachbereich teils noch stärker.

 

Der Beitrag der Verlage zur Digitalisierung von Wissenschaft und Bildung

Viele Verlage der Wissenschaft haben in den letzten rund zehn Jahren massiv in den Ausbau digitaler Angebote investiert (nicht zuletzt gerahmt vom gesetzlich verankerten Verlagsvorrang, der jetzt zur Disposition steht (s. 1.)). Der Beitrag selbst eines Verlages z.B. unserer Größe zur Digitalisierung der wissenschaftlichen Angebote durch Plattformen ist deutlich:

• für Zeitschriften (z.B. eigene Investition in die Plattform www.budrichjournals.de),

• wissenschaftliche Literatur (z.B. Kooperationen mit eigener Investition www.scholars-e-library.de, www.digitaler-semesterapparat.de) sowie

• Lehrbücher (innerhalb der utb mit eigener Investition www.utb-studi-e-book.de).

Darüber hinaus kooperieren wir mit Open-Access-Repositorien, bieten Möglichkeiten für goldenen und grünen Open Access und ermöglichen zeitgleich professionelle Auffindbarkeit, Registrierung und internationale Sichtbarkeit durch DOI mit CrossRef, Verbreitung der Inhalte und Metadaten etc.

Wird der Referentenentwurf ohne entscheidende Änderungen Gesetz, werden unsere Investitionen der letzten Jahre massiv beschädigt – und unsere Dienstleistungen auf Dauer kaum zu erhalten sein.

 

Die konzeptionelle Arbeit von Verlagen ist unverzichtbar, kostet aber Geld

In Deutschland gibt es über 300 kleinere und mittelständische Wissenschaftsverlage und wir stehen in unmittelbarem und guten Kontakt zu unseren Autorinnen und Autoren. Wir kennen unsere Fachbereiche und beobachten deren Entwicklung quasi aus einer Metaposition heraus. Aus dieser „anderen“ Perspektive heraus gestalten und konzipieren wir: Insbesondere im Bereich der Lehrbücher und Referenzwerke sind wir Verlage der Wissenschaft häufig aktiv, stoßen Projekte an, deren Realisierung teils Jahre braucht. Doch auch ganze Buchreihen initiieren wir und sind an der Gründung und dem Fortbestand von Zeitschriften – auch internationaler Kooperationen – maßgeblich beteiligt.

All dies muss finanziert werden. Schon jetzt wird der Publikationsstandort Deutschland international misstrauisch beäugt: Institutionen und WissenschaftlerInnen aus Großbritannien und Frankreich beispielsweise, die mit dem Verlag Barbara Budrich gemeinsam eine prestigeträchtige europäische Zeitschrift gegründet haben, wünschen sich von uns finanzielle Unterstützung ihrer – unbezahlten – Redaktionsarbeit. Doch der Launch einer neuen Zeitschrift ist mühsam und teuer; wir zahlen seit drei Jahren drauf.

Ohne Gefährdung unserer Arbeit durch die drohende Gesetzesänderung sollten wir im kommenden Jahr die schwarze Null erreicht haben: Ein gleichwohl wirtschaftlich weiterhin ungesunder Ort, denn für Investitionen reicht die Basis Null nicht aus, und unsere Investitionsleistung der Vorjahre ist damit auch nicht aufgewogen. Wer soll solche Projekte tragen, wenn große Teile unserer Publikationen im Rahmen gesetzlicher Schrankenregelungen genutzt werden können, ohne dass wir dafür ausreichend bzw. überhaupt entschädigt werden?

 

Sicherung durch Preiserhöhungen?

Sollten wir die Ladenpreise anheben, um die zu erwartenden Umsatzrückgänge auszugleichen, dürfte sich der für uns Verlage ruinöse Kreislauf beschleunigen: Erst recht werden die EndkundInnen auf Bibliotheken ausweichen, die zur kostenfreien Weitergabe nicht einmal mehr ein gedrucktes Exemplar unserer Publikationen beziehen müssen.

 

Verlage als wichtiger Bestandteil des Wissenschaftssystems

Wir Verlage der Wissenschaft verstehen uns als integraler Bestandteil des Wissenschaftssystems. Wir können unsere Leistungen und Aufgaben – Qualitätssicherung, Vervielfältigung, Vertrieb, Verbreitung, Programmarbeit und Marketing – nicht weiter leisten, wenn wir dafür nicht entschädigt werden.

Der Referentenentwurf ignoriert die Leistungen von Verlagen in diesem System. Seine Realisierung würde zu einem Verlagswesen führen, das stärker denn je von Subventionen abhängig ist; die vorherrschenden Monopolisierungstendenzen würden noch verstärkt."