PEN-Studie zur Meinungsfreiheit in Deutschland

"Erschütternde Ergebnisse"

10. Oktober 2018
Redaktion Börsenblatt
Das freie Wort befindet sich in der Wahrnehmung von Autorinnen und Autoren in Deutschland unter starkem Druck − die Selbstzensur nimmt infolge von Bedrohungen zu. Das hat die PEN-Studie "Das freie Wort unter Druck" ergeben, für die über 500 Autoren und Journalisten befragt wurden.

Für die Studie, die das PEN-Zentrum Deutschland und das Institut für Medienforschung der Universität Rostock durchgeführt haben, wurden vom 25. Juni bis 22. Juli 2018 Schriftsteller, Journalisten, Übersetzer, Redakteure, Lektoren, Drehbuchautorern sowie Verleger, Blogger, Literaturwissenschaftler oder Dozent befragt. 526 Antworten kamen zurück, davon 72 Prozent von Schriftstellern, so die Presseinformation des PEN Zentrums.

Dabei seien erschreckende Zahlen zutage getreten:

  • Drei Viertel der Befragten (75 Prozent) sind in Sorge ("teilweise besorgt"; "(sehr) besorgt") über die freie Meinungsäußerung in Deutschland und beklagen eine Zunahme von Bedrohungen, Einschüchterungsversuchen und hasserfüllten Reaktionen.
  • Jeder Zweite (52 Prozent) hat bereits Übergriffe auf seine Person erlebt (davon: 2 Prozent körperliche Angriffe; 31 Prozent verbale, persönliche Angriffe; 37 Prozent im Internet) und hat außerdem Kenntnis von Angriffen auf Kolleginnen und Kollegen (48 Prozent gaben dies an).
Dies wirke sich nicht nur auf das persönliche Wohlbefinden der Betroffenen, sondern auch auf das literarische Schaffen aus:
  • Jeder Vierte, der Angriffe erlebt hat, ist vorsichtiger geworden in der Beurteilung von Geschehnissen;
  • jeder Fünfte schreibt weniger über kritische Themen
  • und jeder Achte beschränkt sich in der Darstellung.
Die Kommunikation über sensible Themen leide ebenfalls, indem bestimmte Inhalte vermieden und insbesondere Aktivitäten in sozialen Medien reduziert werden. Gerade die Online-Plattformen würden für die weit überwiegende Mehrheit der Befragten eine Bedrohung für die schriftstellerische Freiheit darstellen. "Immerhin: Dem Druck, der auf dem freien Wort lastet, stellt sich jeder zweite Autor bzw. jede zweite Autorin mit größerem Selbstbewusstsein entgegen und bestärkt sie im eigenen Schaffen", so das PEN-Zentrum.  

"Das sind erschütternde Ergebnisse, die man für eine freiheitlich-demokratisch verfasste Gesellschaft nicht vermutet hätte", so Carlos Collado Seidel, Generalsekretär des PEN-Zentrums Deutschland. "Es ist nicht nur offensichtlich, dass das freie Wort und Toleranz gegenüber den Meinungen anderer, höchste Güter unserer Grundordnung, unter Druck stehen. Ein weiterer Erosionsprozess bedroht Pluralität und Meinungsvielfalt und damit den Kernbestand unserer Gesellschaft."

"Mit dieser Studie haben wir ganz offensichtlich einen Nerv getroffen", ergänzt Prof. Elizabeth Prommer, Direktorin des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock. "Wir waren völlig überrascht über die hohe Beteiligung und vor allem über das außerordentliche persönliche Mitteilungsbedürfnis. Das Thema treibt Schriftstellerinnen und Schriftsteller stark um. Dieses Alarmsignal muss ernst genommen werden."

Vorstellung auf der Frankfurter Buchmesse

Die Ergebnisse der Studie "Das freie Wort unter Druck" werden auf der Frankfurter Buchmesse im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit dem Autor und Journalisten Günter Wallraff sowie dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, vorgestellt und diskutiert: Mittwoch, 10.10.2018, 15.00-16.00 Uhr, Bühne des Weltempfangs (Halle 4.1 B 81).