Martina Bergmann über die Buchpreisbindung

Nebelfrei Bescheid wissen

10. August 2018
Redaktion Börsenblatt
In der Buchhandlung von Martina Bergmann sorgen sich jetzt schon die Kunden um die Buchpreisbinung. Dabei sei sie gar nicht das Problem, sondern Teil des "romantischen Nebels, in dem man sich vor den Herausforderungen der Gegenwart verstecken kann", meint die Verlegerin und Buchhändlerin aus Borgholzhausen. Und sorgt in sechs Punkten für Licht. 

"Wenn die Buchpreisbindung fällt, müssen kleine Buchläden schließen", beschied mich ein Kunde. Er hatte das irgendwo gehört und wollte sich dazu besprechen. Ich überlegte, was ich sagen sollte. Das Bild allein war irritierend genug. Denn wie fällt ein Gesetz? Wie ein Dominostein, dem andere folgen? Keine Ahnung. Ich meine auch, die Buchpreisbindung ist gerade kein akutes Problem. Sie wird aber gern vorgeschoben. Lobbyarbeit und liebevoller Heimatschutz am Sortimentsbuchhandel haben einen romantischen Nebel produziert, in dem man sich vor den Herausforderungen der Gegenwart ganz gut verstecken kann - als Kunde wie als Sortimentsbuchhändler. Deswegen etwas Licht:

1. Die Buchpreisbindung als Preisabsprache zwischen Buchhändlern, Verlegern und Großhändlern existiert in den Ländern deutscher Sprache seit 1888. Die Verfassungsform nannte sich konstitutionelle Monarchie, das Staatsoberhaupt war ein 1797 geborener Mann namens Kaiser Wilhelm. Wollte man ernsthaft diskutieren, der Sortimentsbuchhandel würde durch die Abschaffung der Preisbindung unmittelbar dahingerafft, müsste man eine historische Vergleichssituation von vor 1888 aufsuchen. Ich halte das für verwegen.

2. Dass sich die Männer im Börsenverein, allen voran der Vorsteher Adolf Kröner (1836-1911) aus Stuttgart, auf Preisabsprachen verständigten, lag an der miserablen Situation der Provinzbuchhändler. Seit 1875 galt die Reichspostordnung mit einheitlichen Bemessungen und Tarifen. Ländliche Kunden ließen sich Ware aus Leipzig und Berlin frei Haus kommen, und die großen Händler gewährten hohe Nachlässe. Das Klagewort der Stunde lautete Schleuderei. Die Krönersche Reform basierte auf Kollegialität. Dass man miteinander gut umging, scheint mir erwähnenswert. Man sollte das beibehalten. Und man sollte sich hin und wieder darüber freuen, dass die Diskussionen über den Buchhandel heute von Männer und Frauen einigermaßen gleichberechtigt geführt werden.

3. Das Preisbindungsgesetz ist kein Anti-Amazon-Gesetz. Es trat 2002 in Kraft und überführte die weitgehend privatrechtlich gehandhabte Buchpreisbindung in ein Gesetz auf Bundesebene. Hintergrund waren kartellrechtliche Bedenken der EU-Kommission. Das exponentielle Wachstum des Onlinehandels hat damit nichts zu tun. Wir können aber in dieser Situation über unser Biotop von preisgebundener Ware und funktionierender, eigener Logistik sehr froh sein. Ich finde den Verweis auf die sozialversicherungspflichtig beschäftigten Barsortimentsfahrer ein gutes Argument gegen Amazon. Kurierdienstfahrer aus Bulgarien tun mir immer Leid. Sie sind die neuen Dienstboten in Europa, und ich finde das unmöglich.

4. Ein vergleichbarer Konflikt zwischen Konsumentenverhalten und dem Anpassungsdruck auf stationäre Einzelhändler wäre die Abgrenzung zum Warenhausbuchhandel um 1900. Arrivierte Verleger verweigerten die Belieferung von Kaufhaus Wertheim in Berlin. Es fanden sich neue Verleger für Wertheim, und das sogenannte billige Buch, ein um die Jahrhundertwende zwischen Bestseller-Autoren und ihren Verlegern hitzig diskutiertes Thema, führte langfristig zu einer Preisanpassung, die allen Lesern zugutekam. So etwas nennt sich Innovation.

5. Innovation ist gut, auch im Kulturbereich. Ich habe in diesem Text das Thema der Kulturvermittlung bisher vermieden. Das ist philologisch unpräzise, denn jeder einzelne Aufsatz, jeder Brief und alle Kommentare zum Preisbindungsgesetz salzen mit der Vokabel "Kultur" herum wie ein verliebter Aushilfskoch. Aber keiner definiert den Begriff. Das wiederum halte ich für waghalsig. Vieles, was der inhabergeführte Sortimentsbuchhandel derzeit unter dem Label eines kulturellen Auftrags durchführt, ist nicht sehr geistreich. Ich will damit nicht sagen, dass es keine leichten Bücher geben soll. Nur: Die Preisbindung für Vampirromane ist längst nicht so glaubwürdig wie die für Goethes Faust.

6. Es sind schon gefährlichere Produkte als Ausmalbücher für Erwachsene und Serienromane aus dem fiktiven Hochadel erschienen. Sie sind nicht so wichtig, und sie dürfen gern auch einfach Geld verdienen. Entscheidend (und preisbindungswürdig) sind die Bücher mit den Texten: Große Romane, historische Überlieferung, profundes Wissen, das es eben nicht bei Google gibt. Diesen Inhalten müssen wir uns wieder stärker widmen. Der ökonomische Schutz des Buchhandels ist mit Verpflichtungen verbunden. Ich möchte sie behelfsweise unter dem Begriff "Kompetenz" zusammenfassen. Ein Anfang wäre, über die Preisbindung nebelfrei Bescheid zu wissen und den Kunden zu sagen: Der Buchhändler lebt grundsätzlich nicht vom Preisbindungsgesetz, sondern von Ihrem Umsatz.