Facebook und das Börsenblatt zeigen Bilder von Buchhandlungsauflösungen. Es gibt Berichte und Interviews mit Kollegen, die sich beklagen, ihr Engagement werde nicht mehr gewürdigt und, schlimmer noch, der Buchhandel sei insgesamt im Untergang begriffen.
Die Buchhandlung als Stauraum
Aber das stimmt nicht. Nicht der Buchhandel endet, sondern eine bestimmte Ausprägung des Einzelhandels mit Lesewaren. Die Bilder zeigen nämlich fast durchgängig die Ladenbaugewohnheiten der 80er und frühen 90er: Dunkelbraune Platten, waldgrüne Teppichfliesen, manchmal helles Holz mit farbigen Beschlägen. Die Buchhandlung als Stauraum. Es gibt da Klappstühle für Lesungen, 40 von derselben Sorte (alle unbequem), Schütten mit reduzierter Ware, Tonpapier-Plakate, und irgendwo steht ein Drehdings mit Lesezeichen. Motive: Teddybären, Dinosaurier, Fohlen und Leuchttürme. Immer Leuchttürme.
Immer dabei: die Buchhandlung
Diese Buchhandlungen sind Museen der alten Bundesrepublik. Sie waren ein wichtiges Element des sorgfältig organisierten Literaturbetriebs. Es gab außerdem Büchereien mit enormen Beständen. Es gab zahlreiche Autorenlesungen auf Einladung des Bödecker-Kreises oder der Stadtverwaltung. Ich habe in der Schule fünfmal Jo Pestum und dreimal Klaus Kordon erlebt, Paul Maar hat mir ein Sams gemalt. Und immer dabei: die Buchhandlung. Unsere Buchhandlung, Leseinsel, Bücherstube. Mit der Adventsausstellung, dem Büchertisch, als Co-Veranstalter.
Es ist nicht mehr 1988
Es gab Kleinstadtöffentlichkeit nicht ohne den oder die Buchhändler/in, und ich habe mir auch wegen dieser schönen Erfahrung den Lehrberuf ausgesucht. Das alles vorneweg, um zu sagen: Ich hege Sympathie für diese Form des Buchhandels. Aber ich bin auch froh über sein Ende. Denn es ist nicht mehr 1988. Die Rollen in der Gesellschaft sind heute anders verteilt als vor 30 Jahren, und das Profil "emsige Person im Bucheinzelhandel" hat gerade keine Konjunktur.
Das liegt nicht an Amazon, das liegt an einer Gesellschaft, die Amazon praktisch findet. Man kann sich von diesem Wandel kränken lassen und daran verdrießen. Man kann mit Starrsinn reagieren und sagen: Ich habe doch seit zehn Jahren einen Online-Shop, aber die Kunden kapieren das nicht. Oder man schließt und postet Bilder von seinen Teppichfliesen. Das ist alles legitim, aber es ist auch unfair. Denn die klagenden Kollegen machen schlechte PR für alle, für die Branche insgesamt.
Der Handel ist flexibelBücher wurden gehandelt, seit es sie gibt. Das war sehr lange vor der Öffnung des ersten Bücherstübchens in einer westdeutschen Fußgängerzone. Der Handel mit Büchern hatte sich mit Zensur auseinanderzusetzen, mit politischen Systemen aller Art, mit Armut weiter Teile seiner potenziellen Kundschaft, mit der Abwesenheit von Ware. Der Handel mit Büchern war Selbstbedienung anfangs nicht gewohnt, er kannte auch bestimmte Kundenkreise nicht. Er hat aber, durch Einzelne und auch in Gruppen, Flexibilität bewiesen.
Viel stärker als Textilien oder Gartenmöbel spiegeln Bücher Veränderungen einer Gesellschaft. Linke Buchhandlungen sind entstanden, weil der konservative Handel manche Texte nicht vertreiben wollte. Kinder- und Frauenbuchläden griffen Emanzipationsbewegungen auf und taten das so gut, dass auch der herkömmliche Buchhandel sich ihnen öffnen konnte.
Das Ende der Stöberstübchen
Und heute? Ich meine, das Ende der Stöberstübchen ist die Kehrseite einer Banalisierung von Inhalten und Handelssituationen. Es ist alles so leicht zu haben, so einfach zu begreifen, dass Technologie genügt, um Standardbedürfnisse zu erfüllen. Deswegen ist aber der kompetente Handel mit Büchern nicht irrelevant geworden. Er muss nur gerade wieder neu erfunden werden. Das ist seit Gutenberg schon häufiger geglückt.
Wenigstens eine......
Immer wenn etwas "bedrohliches" auf "den" Buchhandel zukommt, wird es ersteinmal schlecht geredet und als das "Böse" verurteilt.
Wie leid bin ich es, dass 40 unbequeme Klappstühle, angeblich ausreichend und so Sätze wie : Unsere Kunden finden das gut .... von der Geschäftsführung an die Mitarbeiter gerichtet, als Motivation gedacht ist.
Warum nicht in super Sessel investieren ?
Sich neu Erfinden heißt : An jedem Tag kann ich etwas neues , etwas anders, etwas verrücktes, etwas ungewöhnliches ..... machen.
Die Zeiten sind vorbei, in denen es hieß : Der Buchhändler wirds schon wissen - der Kunde kennt den Inhalt eines Buches schon bevor der Buchhändler es überhaupt in der Buchhandlung stehen hat.
Ich bin nicht mutlos - sondern auf zu neuen Ufern !
Klar ist Amazon nicht bloß Papiertiger, aber doch auch kein Popanz, dem wir nichts entgegensetzen können. Gute PR tut not - da pflichte ich Frau Bergmann bei. Die vielen Chancen, die sich uns bei dieser schönen Arbeit bieten, können wir ja auch nutzen.
Kann es sein, dass der Abgabetermin für die Kolumne im Nacken sass und deshalb schnell was zu Papier gebracht werden musste?
Sie schreiben zu 99,99 % die Wahrheit über den Buchhandel, denn genau so ist es Ich könnte Sie unbekannterweise dafür küssen :-)
Also auf zu neuen Ufern.
Aber ändern wir mal die Blickrichtung. Vor 200 Jahren interessierte sich nur die Ausnahme vom Niemand für "Bücher". Dann wurde das Image von Belesenheit zur gesellschaftlichen Aufwertung. Und heute?
Ja, heute kennen die Leser ihre Bücher, bevor sie in einem Laden stehen. Aber eben nur diese! Der "Holpflicht" für Informationen kann online jederzeit entsprochen werden, auch zu Sach-, Fach- und Unterhaltungsthemen.
Ein ganz wesentliches Element der Erlebenswelt ist aber z.B. die Überraschung, die unplanbare Anrührung und abseitiges Interesse durch Entdeckung. Das kann kein Algorithmus leisten.
Wenn man von Büchern spricht, dann von Schöpfern und Herausgebern. Umsatz mag deren Lebenserhalt sichern, Lebenszufriedenheit ganz sicher nicht. Denn die braucht kein Zählwerk, sondern Präsenz. Auch zum anfassen.