Martina Bergmann arbeitet einen Fachbuchklassiker durch

"Franz Hinze ist meistens mit mir einverstanden"

26. Oktober 2016
Redaktion Börsenblatt
Martina Bergmann hat sich für boersenblatt.net Franz Hinzes "Gründung und Führung einer Buchhandlung" noch einmal angesehen − und ist restlos zufrieden. Die ganz persönlich Fachbuchkritik ist der Auftakt einer zehnteiligen Serie der Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen.

Umbau. Anbau. Aufbau. Seit ich in dieser Buchhandlung stehe, möchten Kunden herumbauen. Ich nehme das meistens als Kompliment, denn es ist ja schön, dass sie sich ihre Gedanken machen. Aber das meiste bleibt unberücksichtigt. Man braucht in Borgholzhausen keine Deckenspiegel und kein ferngesteuertes Lichtsystem. Man braucht da als Buchhändler Regale, Tische, Stühle, gute Computer. Ich habe über die Jahre sechs oder sieben Telefone kaputtgequatscht und drei Laptops verschlissen. Man braucht also stabile Technik.


Check bei Franz Hinze

Was sagt Franz Hinze zu Kunden, die Möbel in ihren Buchladen schleppen? Hier: ein riesengroßes rotes Sofa; das Fenster musste ausgebaut werden, um es ins Geschäft zu bugsieren. Franz Hinze würde das gut finden. Kundenbindung geglückt. Und der Technikverschleiß? Franz Hinze würde sagen, bedenken Sie gründlich, wofür Sie ihr Geld ausgeben. Sparen Sie nicht an der falschen Stelle. Franz Hinze ist meistens mit mir einverstanden. Und dabei wäre Franz Hinze schon fast hundert. Er hat seine wichtigen Texte geschrieben, als von Computern noch kaum die Rede war, als Internet nur unter Geheimdiensten verbreitet und der Facebook-Gründer nicht einmal geboren war. Also Franz Hinze. Das war für mich vor allem ein Buch, "Gründung und Führung einer Buchhandlung", zuerst erschienen 1981.

Dass es auch einen Herrn Franz Hinze gab, dass er von 1919 bis 2013 lebte, zuletzt keine dreißig Kilometer entfernt von mir – das erfuhr ich im Detail erst, als er schon gestorben war. Franz Hinze, der legendäre Buchhandelsberater, als Person ebenso renommiert wie durch seine Grundlagentexte, Franz Hinze gehört in eine andere Welt. Männer in Anzügen, Telefon mit Ringelschnur, rauchige Büros und darin Vorräte von Formularen, Stempeln und Frankiermaschinen. Braun- und Beigetöne, vor meinem inneren Auge.

Ist man geeignet, ein Unternehmen zu führen?

Aber wie alle Klassiker ist Franz Hinze zeitlos. Man liest ihn immer mit Gewinn. Der Titel ist Programm: "Gründung und Führung einer Buchhandlung". Darin ist alles nachzuschlagen, was einem täglich begegnet. Rechtliche, wirtschaftliche, organisatorische Fragen werden erörtert, Tabellen geben Aufschluss über Kaufkraft in der Stadt und auf dem Land. Übersichten ordnen Kapital- und Warenflüsse, es gibt Diagramme, Listen, Hierarchien. Meine Lieblingstabelle ist diejenige zum Energieverbrauch verschiedener Sorten Glühbirnen. Auf den Pfennig berechnet. Franz Hinze ist präzise und lässt doch die beiden wesentlichen Punkte offen: Ist man geeignet, ein Unternehmen zu führen? Und: Hat man Ahnung von der Ware, beherrscht man sein Sortiment? Franz Hinze sagt: Das müssen Sie selber wissen. Wenn Sie Ihre Kernkompetenzen nicht übersehen, dann sind Sie leider ungeeignet für das, wovon hier die Rede ist. So einfach ist das bei Franz Hinze, und deswegen steht das Gründungsbuch in meiner Handbibliothek gleich neben dem Rechtschreibduden.

Kein Eintrag zu Facebook oder Twitter

Eher zufällig wurde ich gewahr, dass der Hinze neu erscheint. Er heißt, wie eh und je, "Gründung und Führung einer Buchhandlung", als Autoren und Herausgeber zeichnen Personen verantwortlich, die auf ihre Weise auch Inventar sind. Man kennt die Namen, mag einige und findet andere überschätzt. Man wundert sich aber, dass ziemlich viele Namen nicht auftauchen, die man selbst für wichtig hält. Da ist kein Armin Hoferer, kein Volker Oppmann, keine Katja Splichal. Die Leute, bei denen ich nachlese, was Franz Hinze mich nicht lehren kann, weil das Digitalzeitalter damals noch nicht angebrochen war. Thematische Stichprobe: Im Sachregister kein Eintrag zu Facebook oder Twitter, nur das dürre Schlagwort Social Media mit genau einer Seitenangabe. Und dort steht "Anbindung an facebook und twitter" (klein geschrieben). Ist dieses Buch überflüssig? Ich fürchte, ja. Im Vorwort steht, man verzichte bewusst auf den enzyklopädischen Charakter des Ursprungstextes, weil man Details ja neuerdings im Internet nachlese.

Bitte, bitte habt mich dafür lieb

Aber wozu dann 60 Euro ausgeben? 60 Euro für ein Lesebuch, das, wenn man freundlich will, die Zerrissenheit des Sortimentsbuchhandels spiegelt. Uns alle bewegt die Kernfrage: Was tun, um zu bleiben? Buchhandlungen sind heute genauso wenig zwangsläufig wie stationärer Einzelhandel insgesamt. Man muss sich etwas überlegen, um im Gespräch, um aktuell zu bleiben. Es reicht nicht, wenn man seinem Spiegelbild morgens beim Zähneputzen und ein paar treuen Überzeugten artig aufsagt: Ich bin ein Kulturträger. Ich engagiere mich für meinen Ort. Ich zahle hier Steuern. Und bitte, bitte habt mich dafür lieb. Man muss jeden Tag dafür sorgen, dass Kunden nicht vergessen, was man alles kann, welche Kompetenz und welchen Service sie verpassen, wenn sie entweder gar nicht lesen oder ihre Lektüre bei anonymen Großanbietern kaufen.

Zurück zu den Landkunden mit ihren Umbauplänen

Das meiste davon ist Unfug, fern vom Buchhandel und auch von mir. Ich werde in diesem Leben keine Schützenkönigin, wir werden keine Spezialabteilung für Geschenkkeramik oder Plüschbären mit Borgholzhausen-Wappen einrichten. Es sieht auch nicht danach aus, dass ich Mauerdurchbruchsplänen zustimme, nur weil der eine oder andere hier gern mürkert (Ostwestfälisch für mauern). Aber es ist nicht so wenig, dass ihre (und meine) Buchhandlung für sie selbstverständlich ist. Franz Hinze wäre damit sicher einverstanden.

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