Der Hatje Cantz Verlag hat seinen Sitz seit 2015 in Berlin. Muss ein Kunstbuchverlag heute in der Hauptstadt zuhause sein?
Steingräber: Berlin ist nicht neu für uns. Wir haben bereits vor zehn Jahren ein Büro in der Hauptstadt eröffnet und kennen die Vorzüge des Standorts: Berlin ist eine Metropole, eng am Puls der Zeit und immer im Aufbruch. Auch wir richten unseren Blick nach vorn – das passt sehr gut! Wir sind Teil eines lebendigen, dynamischen kulturellen Umfelds, profitieren von dichten Netzwerken und bieten einen international attraktiven Standort. Wir publizieren und arbeiten global und ich treffe meine Ansprechpartner gerne auch in anderen Metropolen der Welt, aber ganz ehrlich: Jeder unserer Partner liebt es, nach Berlin zu kommen. Es gibt noch einen weiteren, klaren Standortvorteil: In Berlin gibt es viele freie Dienstleister aus der Kreativszene. Davon profitieren wir. Außerdem leben zahlreiche internationale Künstler in der Hauptstadt, mit denen wir enge, partnerschaftliche Beziehungen pflegen.
Warum ist die Herstellungsabteilung in Stuttgart geblieben?
Steingräber: Wir produzieren nach wie vor alle unserer Bücher in Deutschland und viele unserer Druckdienstleister sind im Süddeutschen angesiedelt. Trotz gewachsener, vertrauensvoller Geschäftsbeziehungen stehen die Kollegen unserer Herstellungsabteilung bei fast jedem Druck zur Qualitätskontrolle selbst mit an der Maschine. Umziehen werden die Kollegen in Stuttgart trotzdem: Wir haben einen neuen kleinen Standort in einer alten Kaffeefabrik in Untertürkheim angemietet – sehr schöne Räumlichkeiten in einem kreativ-dynamischen Medienumfeld.
Hat sich durch den Umzug nach Berlin auch die Arbeit im Verlag neu strukturiert?
Steingräber: Natürlich, das war Aufgabe und Notwendigkeit. Wir haben die Gelegenheit genutzt, unsere Prozesse neu zu denken und uns – unter Berücksichtigung unserer Verlagstradition – für die Zukunft zu rüsten. So haben wir beispielsweise ein neues, transparentes Redaktionssystem aufgebaut und sind damit intern noch näher zusammengerückt. Der enge Austausch zwischen unserem Programmteam sowie den Kollegen von Marketing, Presse und Vertrieb ist unerlässlich und nun deutlich intensiver geworden. Berlin ist auch für viele Mitarbeiter ein attraktiver Standort und ein überzeugendes Recruiting-Argument, gerade in den Umbruch- und Aufbruchzeiten, in denen wir uns befinden: 2016 konnten wir neben der Presseabteilung unser internationales Vertriebsteam neu aufstellen und werden Mitte Mai unseren neuen Marketingleiter begrüßen. Wir freuen uns sehr darauf, mit einem schlagkräftigen Team in die zweite Jahreshälfte zu starten.
Seit dem 1. April ist Daniel Engels neuer Vertriebsleiter, früher bei Phaidon. Die Arbeit seines Teams soll der "wachsenden Internationalisierung" gerecht werden. Hatje Cantz ist mit seinen Büchern schon in 52 Ländern im Buchhandel vertreten - wie lässt sich das noch steigern?
Steingräber: Das internationale Geschäft ist für uns in der Tat ein sehr relevanter Markt, rund ein Viertel unserer Umsätze machen wir allein in Nordamerika. Die Umsätze in Deutschland, Österreich und der Schweiz bilden einen Anteil von weiteren 40 Prozent. Wir vergeben kaum territoriale Lizenzen für unsere Bücher, sondern stemmen selbst die fremdsprachigen Ausgaben meist selbst, was uns die Nähe zum Kunden und zum Markt ermöglicht. Trotzdem gibt es noch zahlreiche weiße Flecken auf der Landkarte, die wir schließen wollen. Und zum Glück rennen wir damit bei unseren internationalen Vertriebspartnern offene Türen ein und werden sie nun noch besser und gezielter betreuen.
Profitieren Sie vom allgemeinen Hype auf dem internationalen Kunstmarkt?
Steingräber: Natürlich ist der Kunstmarkt derzeit im Blickpunkt, nicht zuletzt als gute Kapitalanlage in den heutigen Zeiten. Gleichzeitig macht er im Moment durch die Panama Papers Schlagzeilen, was unerfreulich ist. Aber sicher gilt: Wenn ein Künstler seine Werke auf dem Markt gut verkauft, dann sind auch seine Bücher gefragt. Das spüren wir schon. Unter dem Strich haben wir allerdings wenig unmittelbare Berührungspunkte mit dem Kunstmarkt, weil wir mehrheitlich mit den Museen und kulturellen Einrichtungen zusammenarbeiten.
Der deutsche Buchhandel tut sich schwer mit dem Kunstbuch. Was sind Ihre wichtigsten Vertriebswege?
Steingräber: Die wichtigsten Absatzkanäle sind und bleiben der Kunstbuchhandel und die Museumsshops. Aber auch im klassischen Buchhandel beobachten wir zum Glück gerade eine positive Veränderung: Die Nachfrage nach dem qualitätvollen Kunstbuch kehrt zurück. Das hat meiner Meinung nach mit der Freude an Haptik und der Anerkennung von Qualität zu tun. Unsere Auflagen sind klein, wir bedienen den Massenmarkt nicht. Wir merken aber: Wenn wir unsere Bücher richtig gut gestalten, hochwertig produzieren und alles stimmt, dann verkaufen sie sich auch im Sortiment.
Was sind Bestseller bei Hatje Cantz?
Steingräber: Wenn wir mehr als 10.000 Exemplare einer Publikation im Handel verkaufen können. Das ist aber die Ausnahme und ist uns zuletzt zum Beispiel mit "Hartz IV Moebel.com" und "The World of Tim Burton" gelungen. Solche Titel müssen über die spitze Kunstzielgruppe hinausgehen. Unsere Top 10 im Handel kommen in der Regel auf kleinere Auflagen – auf die Hälfte oder auch mitunter weniger. Da unsere Bücher enorm aufwendig hergestellt werden, sind die Auflagen oftmals limitiert und liegen somit auch mal um die 1000 Exemplare für den Handel.
Gibt es neue Vertriebswege, die Sie bedienen?
Steingräber: Natürlich halten wir nach innovativen Verkaufsstellen Ausschau, auch nach den sogenannten "non-traditional Outlets". Auch hier tut sich in Berlin und deutschlandweit einiges, etwa mit Concept-Stores wie der Kette "Kauf Dich glücklich" oder mit Hotels, die kleine Geschenk-Shops eröffnen.
Sie haben ab und an auch mal Pop-up-Stores getestet. Lohnt sich das?
Steingräber: Ob sich das lohnt, ist immer eine Frage der Betrachtung. Ich finde ja. Unsere Pop-up-Stores waren durchaus kostendeckend, vor allem aber auch gut fürs Image und Positionierung. Perspektivisch werden wir wieder welche eröffnen. Auch einen dauerhaften Showroom möchte ich nicht ausschließen. Richtig gute Geschäfte machen wir zum Beispiel auch auf Kunstmessen wie der Art Basel oder der Art Karlsruhe: Da nehmen viele Kunden einen ganzen Schwung Bücher mit – aber auch das muss man natürlich immer in Relation zum Aufwand setzen.
Sie haben Ihren Künstlereditionen einen Relaunch verpasst: Sie laufen jetzt unter dem Namen Edition Gerd Hatje. Sind Sammlerausgaben vor allem gut fürs Image - oder auch für den Umsatz?
Steingräber: Sowohl als auch. Sie zahlen aufs Image ein und machen Umsatz – aber auch und vor allem stärken sie die Bindung zu unseren Künstlern. Denn bei der Edition Gerd Hatje dürfen sie das ausprobieren, was an anderer Stelle oft nicht mehr geht: sie können mit Bleisatz, Lichtdruck oder anderen traditionellen oder fast verschwundenen Techniken arbeiten – alles ist erlaubt. Das gefällt vielen enorm. Künstler lieben es, ein Buch mal ganz anders zu denken oder die Originalarbeit mit einem engen Bezug zum Buch zu verbinden. Das ist eine reelle Entwicklung zurück zum Analogen; es treibt das Analoge gewissermaßen auf die Spitze. Julian Schnabel etwa hat einige mit Leinwand bezogene Bücher einzeln bemalt. Daran hatte er einen Riesenspaß – und wir auch. Wir ehren damit das Medium "gedrucktes Kunstbuch".
Es klingt allerdings auch nach allerhand Aufwand…
Steingräber: Ja, ist es auch und die Künstlereditionen haben deshalb auch ihren Preis, der sich oft bei mehreren tausend Euro bewegt. Sie unterliegen, anders als normale Bücher, auch kaum einer Rabattierung. Verkauft werden die Werke auf Messen und im Direktvertrieb. Individuelle Kommunikation ist dabei sehr wichtig. Unsere Editionen verpacken wir im Büro mit schönen Materialien. Einen persönlichen Brief an den Kunden legen wir oftmals auch noch dazu.
Sie haben von der Rückkehr des Analogen gesprochen. Gleichzeitig bespielt Hatje Cantz alle digitalen Kanäle, mit Newsletter, Fotoblog, Facebook-Auftritt und Online-Kunstlexikon. Ist das in der Kunstwelt besonders wichtig?
Steingräber: Analog ist das Produkt – aber für die Werbung sind die digitalen Kanäle unverzichtbar. Daran kommt keiner vorbei, die Museen ebenso wenig wie wir als Verlag. Wir haben dort die Möglichkeit, die ganze Welt von Hatje Cantz abzubilden: Wenn ein Künstler Bücher handbemalt, dann zeigen wir beispielsweise auch das Video dazu. Und wir können testen, was für unsere Zielgruppe relevant ist. Die sozialen Netzwerke sind damit auch ein kleines Marktforschungstool. Auf Facebook und Twitter haben wir 15.000 Follower. Auf Pinterest und Instagram, wo wir viel mit Bildern arbeiten und spielen können, sind wir ebenfalls aktiv.
Welche Rolle spielen digitale Formate wie Apps und E-Books für Hatje Cantz?
Steingräber: Apps spielen keine große Rolle für uns. Wir haben ein paar Testversionen mit Museen umgesetzt, aber daraus hat sich seitens der Museen keine bleibende Nachfrage entwickelt. Man sieht auch keine Tablets mehr in den großen Museen. Es geht wieder ums Buch, ums Anfassen, um das Bild im Original. Für uns ist das eine Rückorientierung im besten Sinne. Textbände oder Kunstratgeber bringen wir selten auch als E-Book heraus, das ist nur ein kleiner Teil und umsatzmäßig verschwindend gering.
2017 ist documenta-Jahr: Wird Hatje Cantz auch diesmal den Katalog machen?
Steingräber: Das wissen wir noch nicht – aber wir hoffen es natürlich. Wir möchten uns in das Ausschreibungsverfahren mit Freude einbringen.
Hat sich der Wettbewerb im Kataloggeschäft weiter verschärft?
Steingräber: Ja, die Spirale dreht sich weiter, jedenfalls im deutschsprachigen Raum. Es kommt sogar vor, dass Angebote von uns mit denen von Druckereien verglichen werden, obwohl diese gar kein Verlagsumfeld bieten. Der Wettbewerb im Kataloggeschäft verschärft sich wellenförmig immer wieder. Damit mussten wir schon immer umgehen und müssen es auch weiterhin.
Schrauben die Museen die Leistungsanforderungen oder drücken sie den Preis?
Steingräber: Beides: Der Preis wird gedrückt, trotzdem soll mehr geleistet werden, Redaktion, Bildbeschaffung, Lektorat, Grafik, Litho. Das liegt daran, dass die Museen selbst keine Kapazitäten haben und das alles gar nicht mehr leisten können. Sie schätzen uns als Partner, weil viele von uns im Verlag aus dem Museumskontext kommen und die Anforderungen kennen. Auf internationaler Ebene und im privatwirtschaftlichen Sektor gibt es diesen Preiswettbewerb übrigens in dieser Härte nicht – die Qualität spielt eine größere Rolle, Einer der Gründe ist vielleicht, dass es hier nicht um öffentliche Gelder, sondern meist um privates Geld von Sammlern und Trustees geht, die mit Freude in die Kunst und Kultur investieren und großes Interesse an den bleibenden Werten haben, die wir für sie schaffen dürfen.
Was antworten Sie Museen, die so eifrig handeln? Muss man da auch mal Nein sagen?
Steingräber: Ja, natürlich. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, da muss man manchmal auch mal »Nein« sagen
Hatje Cantz gehört seit einigen Jahren zur Ganske-Gruppe. Fühlen Sie sich dort zuhause?
Steingräber: Ja, wir fühlen uns bei Ganske sehr wohl. Wir pflegen einen intensiven Austausch mit den anderen Buchverlagen unter dem Ganske-Dach. Von den "Best Cases" in der Gruppe kann man viel lernen, etwa beim Marketing von Gräfe und Unzer, bei der Pressearbeit von Hoffmann und Campe. Ein enormer Vorteil ist für uns aber auch der Zeitschriftenbereich, der wertvolle Vermarktungsmöglichkeiten bietet. Wir können stetig große Anzeigen in den Magazinen schalten – das ist etwas, das wir uns sonst als Kunstbuchverlag nicht leisten könnten. Darüber freuen sich im Übrigen auch unsere Kunden, die Museen. Denn natürlich bewerben wir nicht nur das Buch, sondern immer auch die Ausstellung dazu. Das alles sind Gründe, warum wir positiv in die Zukunft sehen, auch wenn das Kunstbuchgeschäft in den vergangenen Jahren sicher nicht leichter geworden ist. Wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen und halten die Qualität hoch.
Interview: Sabine Cronau