Was braucht man noch, wenn man in seinem Sessel sitzt und sich dabei ertappt, dass man auf einmal ein seliges Lächeln im Gesicht hat, Zeichen tiefer Zufriedenheit, freundlicher Vorbehandlung und Einverständnis mit sich selbst und dem, was einem da so unscheinbar auf dem Schenkel liegt: dem Buch.
Allerdings nicht irgendeines. Sondern, in diesem Fall – und alle anderen Bücher der ewigen Saison, die auch gelesen werden möchten, ihre Autoren und ihre Verlage mögen es verzeihen – Marion Poschmann, "Die Kieferninseln".
Wir haben es ja als Freunde der Literatur immer mit dem Miteinander (und Gegeneinander, natürlich, was aber ja auch ein Miteinander ist) zweier Individuen zu tun, der Autorin und dem Leser. Beide beschäftigt immer wieder mitten in ihrem konkreten Dasein als Text oder als Alltag bewusst und unbewusst Grundsätzliches: das Leben und wie man mit ihm sinnvoll umgeht. Ja, wie man sich mit ihm so bewegt, dass es Eleganz hat, niemanden stört und einem die Überzeugung gelassen wird, dass das alles ein Ziel hat und dass man das nicht nur erreichen kann, sondern womöglich im selben Moment gerade erreicht hat.
Und da kann dann schon ein wie beiläufig dastehender Absatz genügen, der so geht: "Er trat durch die Sperre und zeigte einem Beamten seine Fahrkarte vor. Dann bückte er sich und streichelte den Bahnhofsvorplatz. Er war da."
Ich könnte mir denken, dass sich die Autorin, als sie das geschrieben hatte, kurz zurückgelehnt und gefragt hat, ob das mit dem Streicheln nicht ein Hauch zu viel war. Und ihrer Muse sei Dank, sie hat es genau so stehen lassen. Denn manchmal ist im Leben wie in der Kunst das kleine Überschreiten genau das, was uns dahin bringt, wohin wir wollten. Und eigentlich immer wollen.
Aber gut möglich, dass Sie jetzt gar nicht wissen, was ich meine; was bei dem einen zündet, kann durchaus den anderen völlig unberührt lassen. Es ist so mit der Literatur. Für mich war es die Herausforderung, das blaue Buch zu streicheln, das mir diese ver- und geborgene Freude geschenkt hat.
Mein Lesesessel stand im Zug von Frankfurt zurück nach Hause, und um mich herum waren die Bäume von Franken, die in ihrer unfassbaren Herbstpracht leuchteten. Das Hilfswort "poetisch" bezeichnet ja eine persönlich geprägte zustimmende Empfindung der außerordentlichen Art.
Und schon war es wieder ein handfestes, streichelbares Buch, das mir an einer Stelle und vielen anderen Stellen mehr das Gefühl bestätigt hatte: Wie schön, dass ich Essen und Trinken, Gehen und Lieben gelernt habe und das Lesen von Büchern, die nicht mehr von mir wollen als ein paar Stunden Geduld und Konzentration, Blättern, Aufblicken und wieder Hineinschauen und Sich-Offenhalten und die mir dafür die Identität von Schönheit, Erfahrung, Wissen und Glück bescheren.
Bücher können wie Engel sein.
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Solche schönen Liebeserklärungen gibt es nicht alle Tage.
Nö! Ist gebongt!