Lesekreise scheinen ihr angestaubtes Image abgelegt zu haben. Sie gehen von 700.000 in Lesekreisen organisierten Literaturfans für Deutschland, Österreich und die Schweiz aus. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Das ist eine seriöse Hochrechnung. Allein in den Katholischen Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland sind über 1.000 Gruppen organisiert und in Bad Honnef, wo ich herkomme, gibt es bei 25.000 Einwohnern 20 Lesekreise. Pro Lesekreis geht man von zehn Mitgliedern aus. Ein paar ältere Damen, die beim Kaffeekränzchen über Bücher plaudern – diese Vermutung trifft nicht zu.
Wie sind die Lesekreise organisiert? Gibt es einen Moderator?
Zwei Drittel der Gruppen treffen sich privat, in der Regel ohne Moderatoren. Etwa ein Drittel sind öffentliche Lesekreise, organisiert beispielsweise von Volkshochschulen, Literaturhäusern, Kirchengemeinden oder Bibliotheken. Dort wird moderiert, auch weil die Gruppen größer sind und die Teilnehmer sich nicht so gut kennen.
Verlage wie Hanser und dtv bieten Lesekreisen einen umfangreichen Service an. Wie erklären Sie sich das Interesse?
Die aktuelle Käuferstudie des Börsenvereins hat ergeben: Weniger Leser kaufen mehr Bücher. Das sind natürlich Lesekreis-Mitglieder. 25 Prozent der Lesekreismitglieder kaufen einer Umfrage auf Mein-Literaturkreis.de zufolge über 50 Bücher im Jahr. Und sie sind Lesemeinungsführer in ihrem Freundeskreis.
Engagiert sich der Buchhandel Ihrer Meinung nach ausreichend beim Thema Lesekreise?
Viele Buchhandlungen bieten Lesekreise an, einige auch mehrere für verschiedene Genres, Altersgruppen oder auch nur für Jungs. Ich würde mir wünschen, dass der Buchhandel sich noch mehr für Lesekreise interessieren würde, zu bestehenden Gruppen Kontakt aufnimmt, Empfehlungsabende veranstaltet oder ein Regal mit Titeln für Lesekreise einrichtet. Was für die Verlage gilt, gilt schließlich auch für die Buchhandlungen.
Vor vier Jahren haben Sie die Plattform Mein-Literaturkreis.de gegründet, eine Plattform, die Mitglieder von Literaturkreisen mit nützlichen Tipps und Informationen versorgt. Welche Unterstützung wird dort besonders nachgefragt?
Ein wesentlicher Aspekt der Seite ist die Vorstellung von Büchern, die für Lesekreise geeignet sind. Außerdem stellen wir Lesekreise und Autoren vor, geben Tipps zur Gründung und wie man einen Literaturkreis lebendig hält, und vieles mehr.
Seit Mitte 2017 gibt es auf Facebook auch eine digitale Lesegruppe von Mein-Literaturkreis.de. Was tut sich da?
Die geschlossene Facebook-Gruppe zählt etwa 650 Mitglieder; bei jedem Buch diskutieren etwa zehn bis 15 Prozent mit. Das Procedere ist folgendes: Jeden Monat wird ein Buch gemeinsam ausgewählt, gelesen und ab dem 1. des Folgemonats anhand von Fragen diskutiert. Begleitet wird die Lesephase durch Informationen zum Autor, Hinweise zu Interviews, einer eventuell vorhandenen Literaturverfilmung, einer Verlosung, etc.
Und worin liegt das Geschäftsmodell von Mein-Literaturkreis.de?
Wir finanzieren uns über Anzeigen für Kulturgüter auf der Webseite. Die Buchtipps werden allerdings nicht bezahlt; bei unserer Auswahl möchten wir unabhängig bleiben. Ein Ergebnis von Mein-Literaturkreis.de ist auch mein Lesekreis-Handbuch "Ein gutes Buch kommt selten allein", das im September bei Kiepenheuer & Witsch erscheint. Außerdem arbeiten wir an einem Konzept, Literaturkreise physisch in großen Städten anzubieten. Die Nachfrage dafür ist da.
Verraten Sie uns zum Schluss: Wie muss das ultimative Lesekreis-Buch gestrickt sein?
Das gibt es so nicht. Für die meisten Lesekreise trifft aber zu, dass die Bücher Themen enthalten, über die man sprechen und diskutieren kann, dass die Bücher gut geschrieben und nicht zu umfangreich sind.
Kerstin Hämke:
"Ein gutes Buch kommt selten allein. Das große Lesekreis-Handbuch"
Kiepenheuer & Witsch (erscheint im September)
352 Seiten
15 Euro