Darf ein „Ungläubiger“ den Koran übersetzen?
Bobzin: Natürlich. Der Koran ist zwar auf arabisch offenbart worden, wurde aber im Zuge der Ausbreitung des Islams auch nicht-arabischen Völkern, z. B. den Persern oder Türken, vermittelt: Bei der Freitagspredigt wurde und wird er in der Muttersprache ausgelegt. Schon sehr früh hat man auch Interlinearübersetzungen angefertigt, d.h. zwischen die Zeilen der arabisch geschriebenen Koranverse muttersprachliche Übersetzungen – oft Wort für Wort – und kurze Erläuterungen eingefügt. Die ersten europäischen Übersetzungen des Korans stammten von Christen, also Gegnern des Islams. Die früheste, im 9. Jahrhundert im Byzantinischen Reich nachgewiesene ist eine griechische Übersetzung, von der aber nur wenige Fragmente auf uns gekommen sind; oder eine lateinische Übersetzung, die von Abt Petrus Venerabilis in den Jahren 1142/43 in Auftrag gegeben wurde. Auf letzterer beruhte im wesentlichen das europäische Wissen über den Koran in der frühen Neuzeit. Erst später, im Zusammenhang mit der beginnenden Aufklärung, folgten bessere Übersetzungen, etwa ins Französische, Englische oder Deutsche. Friedrich Rückerts vielgerühmte, aber unvollständige Übersetzung erschien erst postum im späten 19. Jahrhundert.
An welche Leser wendet sich ihre Neuübersetzung?
Bobzin: Meine Absicht ist es, ein Brückenbauer zu sein und mit meiner Übersetzung den sowohl literarisch wie religiös interessierten deutschen Leser zu erreichen. Ich habe mich um einen verständlichen Text bemüht, der die sprachliche Schönheit des arabischen Originals möglichst getreu wiedergibt. Daher auch die „gehobene“ Sprachform.
Der Koran gilt manchen als unübersetzbar. Stimmt das?
Bobzin: Prinzipiell ist jeder Text übersetzbar, und solange es die Menschheit gibt, wird übersetzt. Beim Koran gibt es nur die Besonderheit, dass er gläubigen Muslimen als das heilige, in arabischer Sprache offenbarte Gotteswort gilt. Im liturgischen Gebrauch – z. B. beim rituellen Gebet – darf nur der arabische Text rezitiert werden, nur er ist authentisch und nur er kann, vereinfacht gesagt, etwas von der Heiligkeit des göttlichen Wortes ausstrahlen. Daher ist beispielsweise die kunstvolle Koranrezitation, auch außerhalb des Gottesdienstes, von sehr großer Bedeutung. Auch im Bereich des religiösen Rechts, der sog. Scharia, können Entscheidungen nur auf der Grundlage des arabischen Textes getroffen werden. Aber als Verstehenshilfen sind Übersetzungen von großer und zunehmender Wichtigkeit.
Hat die klassische Übersetzung von Rückert Ihnen Anregungen gegeben oder mussten Sie bei Null anfangen?
Bobzin: Natürlich habe ich Anregungen daraus bezogen, aber ich habe die Rückertsche Übersetzung nie als Hilfsmittel im engeren Sinne benutzt. Die Überlegung, den Text zu ergänzen, hatte ich früher einmal erwogen, aber bereits 1995 verworfen. Für die Neuübersetzung musste ich also quasi am Nullpunkt beginnen.
Ist der Koran ein Hypertext avant la lettre, wie der Übersetzer Stefan Weidner neulich behauptet hat?
Bobzin: Diese Ansicht teile ich nicht. Der Koran lässt deutlich erkennen, dass er eine Phase mündlicher Überlieferung hinter sich hat, ja dass die mündliche Überlieferung des arabischen Textes und seine mündlich gelehrte Vortragsweise bis heute von überragender Bedeutung sind. Aus der Verschriftung des Korans hat sich dann im Lauf der Zeit eine weitere Kunst entwickelt, nämlich die des schönen Schreibens, der Kalligraphie. Ich bin glücklich, dass ich für meine Koranübersetzung einen Kalligraphen gewinnen konnte, Shahid Alam, der Sure 1 und alle Surennamen in arabischer Schrift wiedergegeben hat. Kalligraphien spielen im Islam eine ähnliche Rolle wie Ikonen im östlichen Christentum: in ihnen wird Gott Gegenwart.
Warum wissen die meisten Nicht-Moslems so wenig über den Koran?
Bobzin: Dieses Nicht-Wissen, Voneinander-nicht-Notiz-Nehmen, ist leider sehr verbreitet; der Koran gehörte nie zum klassischen Bildungsgut. Auch bei mir ist der Koran erst durch mein Studium der Arabistik und dann die Beschäftigung mit der Kalligraphie in meinen Gesichtskreis geraten. Die Forschungen von Annemarie Schimmel, die ja 1995 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, haben mir zudem viele Anregungen gegeben und gezeigt, welch hochinteressantes Buch der Koran ist.
In den Niederlanden haben die islamfeindlichen Rechtspopulisten um Geert Wilders bei der Parlamentswahl einen deutlichen Stimmenzuwachs erzielt. Was ist von Wilders’ Behauptung zu halten, der Koran sei gefährlich und müsse daher verboten werden?
Bobzin: Das ist Demagogie. Es gibt natürlich Passagen im Koran, die problematisch sind und die man nicht gern übersetzt – wie etwa den berüchtigten Vers über das „Schlagen der Frauen“. Aber auch in der Bibel, im Alten wie im Neuen Testament gibt es Texte, deren Inhalt man heute für inakzeptabel hält. Man muss berücksichtigen, dass es sich in allen Fällen um historische und damit deutungsbedürftige Texte handelt.
Könnte sich die Koran-Lektüre durch Christen, Juden und Atheisten positiv auf die Integration muslimischer Mitbürger auswirken?
Bobzin: Zunächst einmal könnte dadurch das gegenseitige Verständnis sehr befördert werden. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung wäre aber auch die Einführung eines staatlich organisierten islamischen Religionsunterrichts. Dann würde der Koran sicher mehr gelesen werden. Und es würde mich natürlich freuen, wenn meine Übersetzung einen Beitrag dazu leisten könnte.
Was halten Sie von offiziellen Gipfeln wie der Islamkonferenz?
Bobzin: Das sind Foren, auf denen vor allem eine gute Atmosphäre zwischen den Beteiligten geschaffen werden soll. Allzuviele konkrete Lösungen darf man sich nicht davon erwarten, das gelingt eher in kleineren Gremien, wie es sie ja in zahlreichen Kommunen auch gibt.
Ist das Fernbleiben des Zentralrats der Muslime das richtige Signal?
Bobzin: Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich halte es für unklug. Sicher ist es aber die Folge von einigen Ungeschicklichkeiten, die möglicherweise auf gegenseitige Vertrauensdefizite zurückgehen.
Wie stehen Sie zu Kopftuchstreit und der französischen Diskussion um ein Burkaverbot?
Bobzin: Mit religiöser Kleidung gibt man zu erkennen, welcher Gruppierung man angehört. Darin liegt meiner Meinung nach ein Verstoß gegen eine stillschweigende Übereinkunft in unserer Gesellschaft: dass man normalerweise nicht an der Kleidung ablesen sollte, welcher Religionsgemeinschaft, ja überhaupt, welcher besonderen Gruppierung ein Mensch angehört. Die Burka als Ganzkörperverhüllung ist im übrigen ein ganz besonderer Fall, der nicht primär etwas mit dem Islam zu tun hat, sondern mit einer Art von archaischem Brauchtum, das mit einer modernen säkularen Gesellschaftsordnung, in der die Würde des Individuums von grundlegender Bedeutung ist, nicht vereinbar ist. Das Wort Burka (arabisch burqu’) sucht man übrigens im Koran vergebens.
Interview: Michael Roesler-Graichen
Zur Person
Hartmut Bobzin ist Professor für Semitische Philologie und Islamwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten zählt der Koran und dessen Druck- und Auslegungsgeschichte in Europa. Bei C.H. Beck liegen neben der Koranübersetzung die Titel "Der Koran. Eine Einführung" (7. Aufl. 2007) sowie "Mohammed" (3. Aufl. 2006) vor.
Bibliographie
Der Koran. Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin unter Mitarbeit von Katharina Bobzin. (Neue Orientalische Bibliothek.) C.H. Beck, 2010, 831 S. mit 121 Kalligraphien von Shahid Alam, 38 Euro. Seit Ende Mai ist zudem eine limitierte Lederausgabe im Schmuckschuber (128 Euro) und eine Vorzugsausgabe von 114 Exemplaren mit beigefügter Originalkalligraphie (298 Euro) erhältlich.
Weitere Koran-Übersetzungen aus jüngster Zeit:
Der Koran. Übersetzt von Ahmad Milad Karimi, hrsg. von Bernhard Uhde. Herder, 2009, 576 S., 49,95 Euro
Muhammad Asad: Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar. Aus dem Englischen von Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn. Patmos, 2009, 1.262 S., 44 Euro