Grimmelshausen-Literaturpreis 2017

Christoph Hein ausgezeichnet

5. Juli 2017
Redaktion Börsenblatt
Der Grimmelshausen-Literaturpreis 2017 geht an Christoph Hein − für seinen Roman "Glückskind mit Vater" (Suhrkamp). Den Förderpreis erhält die Lyrikerin Sophie Passmann.

In "Glückskind mit Vater" (Suhrkamp, 2016) spannt der 1944 geborene Autor den erzählerischen Bogen von der NS-Zeit bis in die Gegenwart, fasst die Presseinformation zusammen: "Wie ein bedrohlicher Schatten liegen die Verbrechen seines Vaters auf dem Leben des Konstantin Boggosch. Der Sohn eines am Kriegsende hingerichteten Fabrikbesitzers und SS-Offiziers wird in der DDR zwar gesellschaftlich ausgegrenzt, aber wie im Schelmenroman findet er als 'Glückskind' seiner Mutter immer wieder Menschen, die ihm helfen. Alle Versuche des Protagonisten, sich der öffentlichen Stigmatisierung, seinem 'Vatermal', durch Flucht zu entziehen, scheitern. Die Erinnerungen bleiben."

Christoph Hein mache an einem scheinbar unspektakulären Leben die jüngere deutsche Geschichte begreifbar, so die Mitteilung der Stadt Renchen. Er spüre den Gründen nach, die Menschen dazu bringen können, sich jedem politischen System anzupassen. Oder aber, diese Anpassung, wie der Protagonist, zu verweigern. Die Figuren seines Romans, die Hein in all ihren Widersprüchlichkeiten fein konturiert, müssen sich entscheiden, ob sie ihrem Gewissen folgen wollen oder ihren materiellen Interessen.

Hein habe nicht nur einen herausragenden Roman, sondern auch ein geschichtsträchtiges Lehrstück geschrieben. Am Beispiel eines Menschenlebens demonstriere er die Fehler und Versäumnisse der beiden deutschen Staaten, die nach dem Ende der NS-Herrschaft entstanden sind. Seine Kritik sei fundamental, weil sie unangenehme Fragen stellt und bequeme Antworten verweigert. Die Preisstifter empfehlen den Roman eindringlich als Schullektüre.

Grimmelshausen-Förderpreis 

Die 23-jährige Lyrikerin Sophie Passmann erhält den Grimmelshausen-Förderpreis 2017 für ihre "Monologe angehender Psychopathen" (Hirnkost, 2014). Außergewöhnlich sei nicht nur der Titel, mit dem Passmann vorgibt, sich "über ein bestimmtes Gefühl in vielen Texten lustig" zu machen; außergewöhnlich sei ihre "kleine, aber feine Textsammlung auch deshalb, weil die 14 Gedichte erst dann gelesen sein wollen, nachdem sie live zu Gehör gebracht wurden". Und das macht die Poetry Slammerin bereits seit ihrem 15. Lebensjahr so erfolgreich, dass sie 2011 die Slam-Meisterschaften in Baden-Württemberg in der Sparte U20 gewann und 2013 den Förderpreis der Internationalen Bodensee Konferenz erhielt.

Sophie Passmann stehe längst nicht mehr nur in Freiburg und anderen deutschen Städten, sondern auch im Ausland auf der Bühne. In den gedruckten "Monologen", deren Alternativtitel "von Pudeln und Panzern" die unkonventionelle Klang- und Themenvielfalt ankündige, schwinge Passmanns Bühnenpräsenz in Form von Kommentaren mit.

Der mit 2.500 Euro dotierte Grimmelshausen-Förderpreis wird seit 2003 von den Kommunen Renchen und Gelnhausen in Zusammenarbeit mit den Sparkassen und dem Museum für Literatur am Oberrhein Karlsruhe vergeben.

Zum Grimmelshausen-Preis

Der Grimmelshausen-Preis wird seit 1993 in jedem ungeraden Kalenderjahr vergeben, wobei der Ort der Verleihung jeweils zwischen Grimmelshausens Geburtsstadt Gelnhausen und Renchen wechselt, wo der Autor des" Simplicissimus Teutsch" 1676 verstarb. Gemeinsam mit den beiden Städten stiften die Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen die Auszeichnung.

Mit dem Preis zeichnet die Jury Autoren aus, die mit einem in den vorausgegangenen sechs Jahren erschienenen erzählerischen Werk einen bemerkenswerten Beitrag zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte geleistet haben und somit in der literarischen Tradition des berühmten Namensgebers stehen. Die Auszeichnung ist mit 10 000 Euro dotiert.

Bisherige Preisträger waren Ruth Klüger, Alban Nikolai Herbst, Michael Köhlmeier, Robert Menasse, Adolf Muschg, Brigitte Kronauer, Dieter Forte, Feridun Zaimoglu, Reinhard Jirgl, Peter Kurzeck, Ulrike Edschmid und Robert Seethaler.

Der Grimmelshausen-Preis-Jury 2017 gehören Bürgermeister Bernd Siefermann (Renchen) und Dieter Ullrich (Gelnhausen), Florian Balke (FAZ), Beate Laudenberg, (PH Karlsruhe), Hans Sarkowicz (Leiter des Bereichs Kultur und Wissenschaft beim Hessischen Rundfunk), Elisabeth Volck-Duffy (Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst) und Ministerialrat Christoph Heinkele (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) an.

Die Preisverleihung findet am Donnerstag, den 9. November 2017 in Renchen statt.