Ein Kommentar von Preisbindungstreuhänder Christian Russ zum Thalia-Brief

Rechnungen ohne Rechtsgrund

3. August 2017
Redaktion Börsenblatt
"Es ist wohl auch eine Frage des kollegialen Umgangs in der Branche, andere nicht sehenden Auges in Situationen zu bringen, in denen sie gegen das Gesetz verstoßen müssen, um nicht einen wichtigen Händler zu verlieren", schreibt der Preisbindungstreuhänder Christian Russ in seinem Kommentar zum Thalia-Brief und rät den Verlagen, sich gut zu überlegen, ob sie die Forderung begleichen.

Das Schreiben von Thalia sorgt nicht ohne Grund für Aufsehen. Darin werden Verlage zur Kasse gebeten: „Zur Sicherung unserer Geschäftsbeziehung“ heißt es. Den Vertragspartnern und Lieferanten werde ein Beitrag berechnet, um sicherzustellen, dass auch deren Umsätze mit Thalia „nachhaltig stabilisiert“ würden. Beigefügt ist eine Rechnung, „Verkaufsförderungsbonus 2017“, zahlbar „innerhalb von 14 Tagen“.

Ein Anruf in Hagen bringt Gewissheit: Ja, auch dieses Schreiben stammt tatsächlich von Thalia. Es sei an etwa 1.000 Verlage gegangen, mit denen Thalia solche Zahlungen nicht individuell vereinbaren könne. Die Höhe der in Rechnung gestellten Beträge sei unterschiedlich und umsatzbezogen, eine Auskunft über die Spannweite der Forderungen bekommt man aber nicht. Was denn passieren würde, wenn ein Verlag nicht bezahlt? Die Pressedame weicht aus: Es ginge ja vor allem um ein Zusammenhalten der Branche in schweren Zeiten, um Unterstützung der Investitionen und Anerkennung der Leistungen von Thalia. Ob sie denn zusagen könne, dass kein Verlag ausgelistet werde, der nicht bezahlt? „Nein“, sagt sie, „das kann ich nicht zusagen“. (Anmerkung der Redaktion: Nach Auskunft der Presseabteilung lautete die Antwort nicht "Nein, das kann ich nicht zusagen", sondern "Dazu kann ich nichts sagen". Christian Russ bleibt bei seiner Darstellung.)

Wie ist das Schreiben rechtlich zu werten?

Der von Thalia geltend gemachten Forderung liegt kein Anspruch zu Grunde. Ein Zahlungsanspruch könnte sich ja nur aus einer vertraglichen Vereinbarung ergeben, die es in diesem Fall aber nicht gibt. Thalia stellt einen „Verkaufsförderungsbonus“ in Rechnung, obwohl Boni bereits per definitionem freiwillige Zahlungen sind, auf die gerade kein Anspruch besteht. Es handelt sich damit um eine Rechnung, der gar keine einklagbare Forderung zu Grunde liegt, die also einen Anspruch behauptet, der tatsächlich nicht besteht.

Das Schreiben wirft aber auch preisbindungsrechtliche Fragen auf. Denn man wird davon ausgehen können, dass Thalia bei den angeschriebenen Verlagen ohnehin Höchstrabatte erhält. Die Forderung eines "Verkaufsförderungsbonus" darüber hinaus ist dann nichts anderes als das Verlangen einer Verbesserung der Handelsspanne. Denn die Zahlungen sollen ja nicht dazu dienen, bestimmte konkrete Werbeaktionen für die Produktionen der Verlage zu finanzieren. Verlangt wird diese Zahlung ja ausdrücklich für allgemeine Investitionen. Konditionen sind auf dem preisregulierten Buchmarkt aber nicht allein Verhandlungssache. Lieferungen der Verlage an Letztverkäufer unterliegen zwar nicht der Preisbindung. Dennoch setzt die Preisbindung dem Nachfragewettbewerb des Buchhandels beim Bucheinkauf Grenzen: So verbietet § 6 Abs. 3 BuchPrG den Verlagen, Händlern im Direktbezug einen höheren Rabatt als dem Barsortiment zu gewähren. Da die von Thalia geforderten Verkaufsförderungsboni Bestandteil der Handelsspanne sind, gelten die gesetzlichen Schranken auf für sie. Weil also Einzelhändler keine besseren Konditionen bekommen dürfen als der Zwischenbuchhandel, dürfte die Begleichung der Thalia-Rechnung vielfach einen Verstoß des Verlages gegen § 6 Abs. 3 BuchPrG darstellen.

Dazu telefoniere ich mit dem Thalia-Geschäftsführer Klaus Ortner, der den fraglichen Brief unterschrieben hat. Er kenne die Konditionen des Barsortiments nicht, sagt er, und er interessiere sich auch nicht dafür. Eine klare Aussage. Aber so einfach sollte es sich Thalia vielleicht nicht machen: Denn Thalia selbst könnte unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung in Anspruch genommen werden, wenn Verlage nachweisen, dass sie von Thalia zu Gesetzesverstößen aufgefordert wurden. Und es ist wohl auch eine Frage des kollegialen Umgangs in der Branche, andere nicht sehenden Auges in Situationen zu bringen, in denen sie gegen das Gesetz verstoßen müssen, um nicht einen wichtigen Händler zu verlieren.

 

Was kann man den Verlagen raten?

Anschreiben und Rechnungen dieser Art muss man an sich nicht beachten. Es versteht sich von selbst, dass niemand einer Zahlungsaufforderung nachkommen muss, wenn dieser keine Forderung zu Grunde liegt. Das Problem ist aber hier die im Subtext des Schreibens latent mitklingende Drohung: Wer nicht zahlt, muss die Auslistung oder andere Konsequenzen fürchten. Damit setzt Thalia seine Marktmacht ein, etwas zu erhalten, was man ohne die Drohung niemals bekommen würde: Zahlungen nämlich ohne einen Anspruch darauf.

„In anderen Branchen ist das schon längst üblich“, sagt Herr Ortner. „Der Buchhandel muss sich daran gewöhnen, dass die Verhältnisse sich ändern. Alle sind glücklich, wenn wir investieren, da ist es eine Frage der Gleichbehandlung, dass wir auch alle daran beteiligen.“

Viele Verlage werden sich sagen: Wegen des vergleichsweise geringen Betrags legen wir uns besser nicht mit Thalia an. Aber Vorsicht: Die Rechnung bezieht sich nur auf den „Bonus 2017“. Nicht ausgeschlossen, dass ein solches Schreiben künftig öfter kommt, nicht ausgeschlossen, dass die Forderungen steigen, nicht ausgeschlossen, dass andere das auch machen, wenn es jetzt bei Thalia funktioniert. Man sollte sich also gut überlegen, ob man sich darauf einlässt.


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