Sie haben den Aufbau Verlag verlassen, fangen am 4. Oktober bei Ullstein an. Ist Ullstein der schönere Aufbau Verlag?
Es ist mir natürlich nicht leicht gefallen, Aufbau nach 18 Jahren zu verlassen. Ich habe als Praktikant da angefangen, war Lektoratsassistent, Lektor, Programmleiter, und am Schluss war ich Verleger. Die letzten dreieinhalb Jahre waren sehr erfolgreich. Allerdings habe ich mich gefragt, welche Ziele und verlegerischen Visionen ich habe und wie und wo ich sie erreichen kann. Ich meine, diese mit Ullstein besser umsetzen zu können. Zudem bin ich jetzt in einem Alter, da ich noch einmal etwas Neues gut anfangen kann, und ich möchte auch Neues hinzulernen.
Was meinen Sie mit hinzulernen?
Ullstein ist ein Haus mit einer großen Tradition, der Verlag ist noch ein ganzes Stück älter als Aufbau. Er vereint sehr starke Verlagsmarken unter seinem Dach, neben Ullstein vor allem Propyläen, Econ und List. Über diese Marken decken die Ullstein Buchverlage das gesamte Spektrum der Literatur und des Sachbuchs ab. Mich reizt es, mit trennscharfen und schlagkräftigen Programmen auf allen Feldern erfolgreich zu agieren. Im digitalen Geschäftsbereich ist der Verlag ebenfalls führend.
Was ist für Sie so interessant an Größe?
Verglichen mit anderen Publikumsverlagen gehört ja Ullstein keinesfalls zu den Giganten. Mit unter 100 Mitarbeitern und einer Umsatzgröße, die die 50 Millionen ins Auge nimmt, ist der Verlag genau richtig groß. Er kann beweglich und schnell agieren – das hat er in seiner Geschichte immer wieder bewiesen. Andererseits kann er nicht übersehen werden. Ullstein verfügt über wirkungsvollere Mittel, seine Autoren kräftiger durchsetzen zu können. Ich bin nun darauf gespannt, wie es funktioniert, mit solch einem Hintergrund verstärkt Literatur zu offerieren. Da existiert ein Bedarf bei Ullstein. Seit vielen Jahren, eigentlich seit Gründung des Verlages, wird ein Spagat zwischen der Unterhaltung und der Literatur versucht. In den 20er und 30er Jahren gelang diese Spreizung sehr gut, in anderen Zeiten nicht. Die Ullstein-Mitarbeiter möchten sich stärker in der Belletristik engagieren, gezielt auf verkäufliche Qualität setzen, und das will ich auch. In einigen Jahren sollte der Verlag zu den führenden literarischen Häusern in Deutschland gehören – und weiterhin im Sachbuch, der Spannung und der Unterhaltung an der Spitze stehen.
Manche sehen Verlage wie Ullstein als Buchfabriken. Ihr Job gliche aus dieser Perspektive eher der eines Managers als eines Verlegers.
Natürlich sind die Aufgaben vielfältiger, und auch die Verantwortung ist größer. Aber es ist mein Anspruch, die Programme mitzugestalten. Ich werde nicht bei jedem Buch ein verlässlicher Lesepartner sein. Aber ich habe den Anspruch, es bei deutschsprachiger und internationaler Literatur zu sein, und ich werde auch als ein kreativer Gesprächspartner in anderen Bereichen präsent sein. Ich gehe davon aus, dass es bei Ullstein eine Gesprächs- und auch Streitkultur gibt, die sich in den Dienst der Autoren und ihrer Bücher stellt. Diese würde ich gerne nutzen, um jenen literarischen Bereich zu stärken, für den man mich von Aufbau zu Ullstein geholt hat. Schon immer gefiel es mir, wenn Lektoren eigensinnig und leidenschaftlich für ihre Autoren stritten und wenn sich ein Verlag mitsamt seinen Programmen lustvoll zur Geltung bringt. "Fabrik" ist keine geeignete Beschreibung für diese Art des Arbeitens.
Bisher ist es nicht gelungen, den Ullstein Verlag als wichtige Adresse für deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu etablieren. Warum soll es Ihnen nun glücken?
Ullstein hat in den letzten Jahren einiges dafür getan, in der Literatur sichtbarer zu werden. Erste Teilerfolge sind auch gelungen wie seinerzeit mit Helene Hegemanns Roman, und auch die Longlistplatzierung für Robert Prosser in diesem Herbst steht dafür. Aber der Verlag ist in diesem Bereich noch nicht dort, wo er sein möchte und sein sollte. Ich finde es reizvoll, etwas anzupacken, das möglicherweise schwierig ist. Auf geradezu schlichte Art und Weise denke ich immer, dass alles gelingen kann. Ich möchte mich, wie in den letzten Jahren, sehr für die Autoren und ihre Bücher einsetzen – für alle, die sich Ullstein anvertraut haben und anvertrauen werden.
Wie wollen Sie Autoren überzeugen, dass es besser ist, zu Ullstein zu kommen als zu ausgewiesenen Literaturverlagen wie Suhrkamp, Hanser, Fischer oder Rowohlt?
Durch genaues Hinhören: Welche Wünsche und Vorstellungen hat ein Autor. Durch die kreative und originelle Umsetzung dieser Wünsche. Durch Loyalität und Kompetenz. Durch die wachsende Reputation des Hauses, durch Erfolg. Interessant für Autoren und Agenten könnte auch sein, dass die Programme nicht überladen sind. Ein deutschsprachiger Spitzentitel würde herausragen und viel Rückenwind vom Verlag bekommen. Das alles wird natürlich ein Prozess sein, der schneller, aber auch zäher verlaufen kann. Ich bevorzuge Ersteres.
Der jüngste Anlauf von Ullstein, sich literarisch entschiedener zu positionieren, heißt Ullstein fünf. Fehlt es nicht vor allem im Hauptprogramm an markanten literarischen Stimmen?
Ich halte ein Label wie Ullstein fünf für interessant und gut. Es ist ein Raum, wo Talent sich entfalten kann und nicht sofort glänzen muss. Aber es stimmt, es ist natürlich wichtig, die Hauptmarke zu stärken. Ullstein muss als Flaggschiff vornewegfahren und die gewichtigen und großen literarischen Titel transportieren.
Kommen Autoren mit Ihnen von Aufbau zu Ullstein?
Das liegt nicht in meinem Ermessen. Autoren entscheiden autonom. Sie entscheiden sich für eine Reputation, für ein Umfeld und nicht nur für Vorschüsse. Sie entscheiden sich vor allem für Vertrauen.
Was ist der Plan für den ersten Tag bei Ullstein?
Ich glaube, den ersten Tag werde ich damit verbringen, mit meinen neuen Kollegen zu reden, Bilder aufzuhängen und Bücher einzuräumen.
Was wollen Sie anders als Ihre Vorgängerin machen?
Siv Bublitz hat das Haus in einer exzellenten Verfassung hinterlassen, es wäre vermessen und respektlos, ihre Arbeit und die der Ullstein-Kollegen korrigieren zu wollen. In den nächsten Wochen möchte ich den Verlag und alle Mitarbeiter besser kennenlernen. Gemeinsam mit den Kollegen will ich für die oben genannten Bereiche eine neue Handschrift entwickeln. Dafür müssen wir nicht die Schreibhand wechseln. Allerdings wünsche ich mir, dass diese neue Handschrift bereits im Herbstprogramm 18 sichtbar wird.
Ein paar Ideen bringen Sie doch aber sicher mit.
Mich interessiert vor allem die deutschsprachige und internationale Gegenwartsliteratur. Aber auch zeitgeschichtliche Themen finde ich spannend. Darüber hinaus gilt mein Interesse Wiederentdeckungen – da habe ich viel gelernt bei Aufbau, Stichwort Fallada oder Klemperer. Angesichts der langen Ullstein-Geschichte lassen sich gewiss viele Schätze heben. Das Buchgestalterische ist mir auch wichtig, also schöne, haptisch ansprechende Bücher vorzulegen. Gleichwohl denke und fasse ich den Begriff "Buch" weiter. Buchverlage sollten heute intensiv darüber nachdenken, welche Wege sie für ihre Inhalte ebnen könnten. Ein großartiger Stoff – das haben mich die Aufbau-Erfolge um "Auerhaus" und "Hool" gelehrt – kommt nicht im gedruckten Buch zu seinem Ende, im Gegenteil, das gedruckte Buch ist oftmals erst der Anfang. Buchverlage sind eben auch Medienhäuser, die ihre Stoffe im Sinne der Autoren noch konsequenter verwerten können. Verlegerarbeit heißt, das Neueste neben dem Ältesten anzuerkennen. Im Übrigen möchte ich auch erfolgreich in der Unterhaltung agieren. Ich stamme von Marktfrauen ab und bin persönlich beleidigt, wenn die Ware liegenbleibt. Meine Großtante hat als fliegende Händlerin Kurzwaren feilgeboten, als Junge habe ich sie oft begleitet und in Potsdam und Berlin Damenstrümpfe verkauft. Die Damen und die Strümpfe zusammenzubringen, das war immer sehr lustig.
Ullstein und Piper gehören beide zu Bonnier. Wie werden sich die Verlage unterscheiden?
Erst einmal freue ich mich sehr auf den Austausch mit Felicitas von Lovenberg, deren Elan und Expertise ich sehr schätze. Bonnier denkt dezentral. Jedes Haus hat seine eigene Geschichte und Identität, darauf wird Wert gelegt. Die Geschichte Ullsteins ist natürlich eng mit Berlin verbunden, mit der Vitalität dieser Stadt und dem Zeitungsgewerbe. Autoren wie Remarque oder Vicki Baum stehen dafür, und darauf kann man sich auch heute noch gut berufen. Die Nähe zur Politik und den Medien war und ist sehr nützlich fürs Sachbuch. Und in Berlin leben die Autoren und solche, die noch gar nicht wissen, dass sie es sein werden. Aber ein Lektor – bevorzugt ein Ullstein-Lektor – merkt und sieht das. Sicherlich werden sich Piper und Ullstein gelegentlich um dieselben Autoren bemühen, aber immer kollegial.