Debatte um Laugwitz und Rowohlt hält an

Die missratene Trennung

12. September 2018
von Börsenblatt
Zwei Wochen nach dem Rauswurf der Verlagsgeschäftsführerin Barbara Laugwitz bei Rowohlt hält das Entsetzen über den Vorgang an. Themenkarrieren von solcher Länge sind für Personalia ungewöhnlich. In diesem Fall hat man das Desaster aber kommen sehen.

Kommunikativ ging von Anfang an schief, was schiefgehen konnte. Jetzt schauen alle auf den Scherbenhaufen einer beispiellos missratenen Trennung. Als Mittwoch vorvergangener Woche um 12 Uhr die Pressenotiz zur Abberufung von Barbara Laugwitz per E-Mail verschickt wurde, war es in Reinbek kurz vorher zu einer Zuspitzung gekommen, die man als "amerikanische Kündigung" bezeichnet. Nach nur vier Jahren an der Spitze des Traditionshauses wurde der Rowohlt-Verlegerin vom CEO der Holtzbrinck-Buchverlage, Joerg Pfuhl, auf die harte Tour der Laufpass gegeben: fristgerechte Kündigung bei sofortiger Freistellung, E-Mails gleich abgeklemmt, Kontaktverbot zu Mitarbeitern und Autoren. Das Vorgehen weicht, um es vorsichtig zu sagen, von den Usancen der Buchbranche ab. Ob es rechtlich standhält, werden womöglich Arbeitsgerichte zu prüfen haben. Eine sofortige Freistellung ist hierzulande an Voraussetzungen gebunden: Sie muss entweder im Arbeitsvertrag als Möglichkeit vorgesehen sein; oder es liegt ein Tatbestand vor, der auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde; oder man verständigt sich einvernehmlich über die Freistellung (für diesen Fall nicht anzunehmen).

In etwa zeitgleich zum Reinbeker Rausschmiss publizierte SPIEGEL online einen Bericht über den Verlegerwechsel (Florian Illies soll, wie bekannt, ab Januar 2019 übernehmen). Im Schwunge dieses fürs Kulturressort untypischen Echtzeit-Journalismus ließ es der Autor des Berichts, der Literaturredakteur Volker Weidermann nicht aus, der Geschassten gleich mal ein mäßiges Zeugnis auszustellen: Dem Haus fehle "in den letzten Jahren ein klares verlegerisches Profil. Auch war man an der Konzernspitze womöglich unzufrieden mit der geringen öffentlichen Präsenz, der geringen Strahlkraft von Laugwitz." Das saß, tat weh, schmeckte stark nach lancierter Meldung – und brachte viele Rowohlt-Mitarbeiter, die ohnehin geschockt auf die Nachricht reagierten, erst recht gegen die Verlagsführung auf. So einen Abgang hatte Laugwitz, die in dem Ruf steht, wie eine Besessene zu arbeiten, für ihre Autoren immer da zu sein und eine exzellente Spürnase für erfolgreiche Stoffe zu haben, sicher nicht verdient. Bei Holtzbrinck wird nun beteuert, dass die Meldung keineswegs lanciert worden sei. Gleichviel, der weiteren Erhitzung der Gemüter dürfte sie zuträglich gewesen sein.

So wird es niemanden gewundert haben, dass sich Anfang vergangener Woche der Schriftsteller Daniel Kehlmann zu Wort meldete. Der international renommierte Rowohlt-Autor kam im Rahmen seiner Dankesrede für den soeben erhaltenen Frank-Schirrmacher-Preis auf das Debakel einer Personalmeldung zu sprechen, in der das wertschätzende Danken für Geleistetes auf verstörende Weise missglückt war. Kehlmann wollte nachholen, was der Holtzbrinck-Konzern versäumt hatte, und tat dies in Anwesenheit des Bundespräsidenten, seines Laudators an dem Tag, aufs Deutlichste. Er tat es im Namen auch von Martin Walser, Ildikó von Kürthy, Jonathan Franzen und Eckart von Hirschhausen (ein Quartett, nebenbei, das exemplarisch für ein weiteres Talent von Laugwitz steht: das gedeihliche Nebeneinander von Hochliteratur und Unterhaltungsstoff verlegerisch zu organisieren): Er, Kehlmann, danke Barbara Laugwitz "für vier Jahre der souveränen und tatkräftigen Arbeit – und dieser simple Satz ist leider schon mehr Dank, als die Holtzbrinck-Führung für ihre erfolgreichste Verlegerin erübrigen konnte".

International bedeutende Autoren des Verlags folgten dem Deutschen und brachten ihr Unverständnis und ihren Ärger zum Ausdruck. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete über Statements etwa von Jonathan Franzen, Siri Hustvedt, Paul Auster und Elfriede Jelinek. Einmütig werten diese Stars der Literaturszene den Vorgang als "schrecklichen Irrtum" (Jonathan Franzen) und "rätselhaft" (Siri Hustvedt). Für Paul Auster ergibt die rüde Trennung, wie er schrieb, "keinen Sinn". Die Schriftsteller zeigten sich entgeistert ob des Umgangs mit ihrer "brillanten Verlegerin".

Elfriede Jelinek diagnostizierte bei der Gelegenheit einen feministischen Skandal: "Jetzt ist schon wieder eine Frau rausgekippt worden wie Abfall. Eigentlich wäre das Saubermachen ja ihre Aufgabe, das macht sie gut, das hat sie geübt. Vielleicht sollte sie sich selbst entsorgen? Das nimmt den Herren die Arbeit ab", wird die Österreicherin von der Zeitung zitiert. Abgesehen von der sprachlichen Schärfe, die man goutieren mag: In der Sache ist die Literaturnobelpreisträgerin hier auf dem Holzweg. In den Holtzbrinck-Buchverlagen folgten bzw. folgen in kurzem Zeitraum drei Verlegerinnen auf Verleger: bei S. Fischer Siv Bublitz auf Peter Sillem, bei Droemer Knaur Doris Janhsen auf Hans-Peter Übleis, bei Kiepenheuer & Witsch demnächst Kerstin Gleba auf Helge Malchow. Nach einem männerbündischen Feldzug sieht das eher nicht aus. Aber geschenkt! Dieser Einwand wäre bloß eine Fußnote und tut für die Bewertung der Causa nichts zur Sache.

Vor wenigen Stunden stellte die Journalistin und Rowohlt-Autorin Margarete Stokowski (Untenrum frei) in der "taz" klar, dass ihr die Zusammenarbeit mit ihrer Verlegerin Barbara Laugwitz eine Freude gewesen sei. "Laugwitz hat so eine entgegenkommende, charismatische Art, dass ich schnell das Gefühl hatte: Hier ist alles richtig. Es macht Spaß, mit ihr über Bücher zu reden." Dieser Persönlichkeit mangelnde Strahlkraft nachzusagen, wie Weidermann es tat, nennt Stokowski schlicht eine "Unverschämtheit".

Auch im Rundfunk dauert die Debatte an. Der Alfred-Kerr-Preisträger Hellmut Böttiger hält die Entscheidung für "mehr als verwunderlich". Sie stehe in Kontrast zu den Erfolgen der vergangenen vier Jahre, die Laugwitz vorzuweisen habe, sagte der Literaturkritiker am Montag in der Sendung "Kultur heute" des Deutschlandfunks. Böttigers interessante Analyse weist über den konkreten, unverständlichen Fall hinaus: Nach seiner Ansicht zeigt sich in der vergeigten Personalie die generelle Nervosität in den Buchverlagen, ein Ausdruck der Krise am Buchmarkt. Das "autorenzentrierte Verlegen" à la Laugwitz, eine Arbeit, die vom Inhalt her denke, gerate immer mehr ins Hintertreffen. Mit Illies vertraue Rowohlt "auf den Glamourfaktor" – und müsse nun die Erfahrung machen, dass der Glamour nicht reiche, das Entsetzen über den Umgang mit einer höchst Erfolgreichen zu mildern.

Verwundert reibt sich am selben Tag der Verlagskenner und Journalist Hans von Trotha in einer anderen Sendung des Deutschlandfunks die Augen. Das Munkeln über eine angeblich mangelnde Außenwirkung von Laugwitz verstehe er nicht. Für verlegerischen Erfolg brauche es "ein Gespür für Menschen, für Stoffe und für den Markt – und das zu gleichen Teilen", so von Trotha, der diese Dreifachbegabung bei Laugwitz ideal gegeben sah. "Mir schien sie einen sehr guten Job zu machen."

Wenige Monate vor dem Verlagsumzug Rowohlts nach Hamburg und vier Wochen vor der Frankfurter Buchmesse ist in Reinbek der größte anzunehmende Unfall eingetreten. Die Mitarbeiter haben dabei durchaus unterschiedliche Sichten auf die vergangenen vier Jahre unter Laugwitz. Es gibt nicht nur die Fans, sondern auch solche, die sich an unerfreuliche Meetings erinnern, an Laugwitz‘ dem Vernehmen nach schwierige Art, die Teams zu führen. Auch löst der Name Illies keineswegs eine kollektive Abstoßungsreaktion aus, man traut ihm viel zu. Aber niemand, der einem – und sei es in einem Off-Gespräch – erklären könnte, wie es vor zwei Wochen zu dem Showdown gekommen ist.

Joerg Pfuhl bittet mit Verweis auf die laufende arbeitsrechtliche Auseinandersetzung um Verständnis dafür, dass er nichts kommunizieren könne. Laugwitz selbst wäre schlecht beraten, sich jetzt vor der Presse in Rage zu reden. Der Eigentümer Stefan von Holtzbrinck, von dem es heißt, er sei kreuzunglücklich über die entstandene Situation, hat gut mit der Beantwortung von Autorenfragen zu tun, die direkt an ihn gerichtet werden. Natürlich ist in diesen Tagen die Holtzbrinck-Spitze mit den aufgebrachten Autoren in Kontakt, um zu retten, was sich retten lässt. Über das ganze Ausmaß des entstandenen Schadens wird man erst später urteilen können. Auch über die Vorfreude bei Florian Illies auf den neuen Job lässt sich vorläufig nur spekulieren; dass er sich atmosphärisch günstigere Startbedingungen gewünscht hätte, darf vermutet werden.

Der innere Prozess einer im Zerwürfnis endenden Entfremdung zwischen Barbara Laugwitz auf der einen und anderen Holtzbrinck-Führungskräften auf der anderen Seite mag Monate, vielleicht Jahre gedauert haben. Was geschah, wissen (wenn überhaupt) nur die unmittelbar Beteiligten. Die äußere Eskalationsgeschichte, die nun in harschen Protesten aus der Weltliga der Literatur gipfelt, begann vor wenigen Tagen mit der schnöden Meldung einer Personalie. Darin wurde einer verdienten Verlagsgeschäftsführerin auf denkbar unzureichende Weise gedankt. Die Art der Kommunikation erwies sich bald als der untaugliche Versuch, einem außer Kontrolle geratenen Vorgang den Anschein von Normalität und Führungsroutine zu geben, Motto: Chefinnen kommen, Chefinnen gehen. Diese hier bleibt medial länger als geplant. Ihre Präsenz ist gewissermaßen unkündbar.

Wer die bei der Verlagsgruppe handelnden Personen kennt, wer sie schätzt und ihre Fähigkeit zu umsichtiger Kommunikation in der Vergangenheit schon oft erlebt hat, steht auch in Bezug auf das kommunikative Handwerk vor einem Rätsel. Dass sich das Trauerspiel um Barbara Laugwitz nicht allein aus Dissens in Sachthemen erklärt, ist jedenfalls evident. Aber worum dann mag es gehen? Alle Fragen bleiben nach wie vor offen, keine Antworten sind bisher in Sicht. Deshalb dauert die Debatte an.