Die diesjährige Jahrestagung des Landesverbandes Berlin-Brandenburg im Literaturhaus in der Fasanenstraße ist eine, die länger im Gedächtnis bleiben und fortwirken wird.
Sie begann mit einer Schweigeminute für den legendären Buchhändler Robert Kiepert, der im Februar im Alter von 88 Jahren gestorben war. Und sie fand ihre gedämpfte Fortsetzung mit einem knappen, dafür umso eindrücklicheren Satz von Kilian Kissling, dem Vorsitzenden des Landesverbands: "Es ist keine gute Zeit für unsere Branche", sagte der Argon-Verleger - und machte dafür eine ganze Reihe von Gründen aus.
Kissling nannte etwa das VG-Wort-Urteil des Bundesgerichtshofs, das manche Verlage in finanzielle Bedrängnis gebracht hat und zu einer "Eintrübung des Verhältnisses von Kreativen und Verlagen" geführt habe. Er sprach über die Bedrohung der Presse- und Meinungsfreiheit. Und er diagnostizierte eine "spürbare Zurückhaltung der Käufer".
Kissling glaubt, dass diese Zurückhaltung in Verbindung steht mit einem Gefühl der Unsicherheit: "Die Lust am Lesen, am Stöbern hat gelitten." Der Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche sei eine deutliche Zäsur.
Der Verleger weiß: Die Buchbranche war noch nie bekannt dafür, gänzlich unbesorgt und lauthals optimistisch aufzutreten. Aber verantwortlich dafür seien bislang vor allem ökonomische Probleme gewesen. Dies habe sich geändert: "Die Themen, die uns gegenwärtig beschäftigen, sind elementarer, existenzieller. Wir müssen für Dinge kämpfen, die wir lange als selbstverständlich empfunden haben."
Kissling forderte dazu auf, genau dies zu tun, sich also noch stärker in gesellschaftliche Debatten einzumischen, die Meinungsfreiheit zu verteidigen.
Ein "Weckruf" von Tanja Dückers
Wer dabei im großen, gut gefüllten Saal des Literaturhauses lediglich an Erdogans Türkei, Trumps Amerika oder Putins Russland dachte, dem empfahl Tanja Dückers auch auf die hiesigen Verhältnisse zu schauen. In ihrem "Weckruf" warnte die Schriftstellerin vor einer immer größeren Bedrohung durch Rechtspopulisten. Sie erinnerte die versammelten Buchhändler und Verleger daran, dass sie eine besondere Verantwortung hätten und rief zu einem engagierten Eintreten für Toleranz und Menschenrechte auf.
Die Schriftstellerin hat umfangreiche Recherchen betrieben, das AfD-Parteiprogramm studiert und Statistiken ausgewertet. Allein 2016 seien im Stadtteil Neukölln 77 rechtsextreme Gewalttaten bei der Polizei gemeldet worden.
Dazu zählt auch die Zerstörung der Schaufenster der Buchhandlung Leporello Mitte Dezember vergangenen Jahres. Die Buchhandlung ist Teil der Initiative Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus und wurde offenbar deswegen zum Anschlagsziel. Wenig später, im Januar, ging das Auto des Inhabers Hans Jürgen Ostermann vor dessen Wohnung in Flammen auf.
Reale Bedrohung in Neukölln - aber auch viel Solidarität
Es war ein Moment in der Mitte dieser ohnehin außergewöhnlichen Jahrestagung, der besonders nachwirkt: Hans Jürgen Ostermann, der auch ins Literaturhaus gekommen war, stand auf mit den Worten, er wolle ein wenig Einblick in sein Seelenleben geben: "Wenn ich vor meiner Buchhandlung stehe, dann schaue ich jetzt zuerst nach, ob die Scheiben noch ganz sind. Mein Auto parke ich bewusst an verschiedenen Orten, so lange bis ich eine Garage gefunden habe."
Die Bedrohung ist sehr real für den Mann. Ostermann bedankte sich aber auch für die große Solidarität; über 5.000 Euro an Spenden hat er erhalten, am Freitag begrüßt er zehn Autoren zu einer weiteren Solidaritäts-Veranstaltung.
Ein Plakat, das nicht allen gefällt
Der Landesverband hat auf den Anschlag reagiert. "Wir müssen Farbe bekennen und Flagge zeigen", formulierte der bebra-Verleger Ulrich Hopp den Anspruch der Hauptstädter und Brandenburger. Eine Plakataktion soll das deutlich machen. Hopp fügte aber auch an: "Das Plakat wird nicht alle ansprechen." Und so war es dann auch, als der Chef der Agentur Zitrusblau, Martin Keune, das von ihm gestaltete Plakat auf offener Bühne auspackte und zur Begutachtung vorzeigte.
"Nicht zündeln!" steht groß über einem vom Feuer bedrohten Bücherstapel, die Buchrücken tragen Aufschriften wie "Menschenrechte", "Meinungsfreiheit", "Toleranz".
Die Beraterin Martina Tittel wünschte sich mehr Finesse und Witz und monierte gar plakative "Propaganda". Hopp hielt dagegen: "Das Plakat soll auffallen. Und das wird es." Der Disput fand damit jedoch längst kein Ende und wird wohl fortgeführt werden. Es war die Buchhändlerin Ruth Klinkenberg, die trotzdem eine Art versöhnliches Schlusswort fand: "Das Plakat ist ohnehin nur ein Anfang. Eine Aktion müssen wir noch daraus machen."
Einige brachen danach auf zum Brandenburger Tor, wo bei einem Solidaritätskonzert am Tag der Pressefreiheit ein Bündnis aus Künstlern und Journalisten die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Reporters Deniz Yücel forderte.
Andere blieben noch länger und unterhielten sich mit den beiden Frauen, die ab Januar kommenden Jahres das Literaturhaus gemeinsam leiten werden. Zuvor hatten Sonja Longolius und Janika Gelinek ihr Veranstaltungskonzept kurz skizziert. Sie wollen unterschiedliche Programmformate erproben und künftig "das ganze Haus bespielen – auch der Garten soll dann zur Lesebühne werden". Ein Schwerpunkt im Programm, so kündigen sie an, sei Europa mit den Stimmen der Migranten.