In der Begründung des Stiftungsrats heißt es: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2018 an Aleida und Jan Assmann und ehrt damit ein Forscherpaar, das sich in seiner Arbeit seit Jahrzehnten wechselseitig inspiriert und ergänzt. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann greift mit ihren wissenschaftlich fundierten Studien engagiert die immer wieder neu virulenten Themen von Geschichtsvergessenheit und Erinnerungskultur auf. Angesichts einer wachsenden politischen Instrumentalisierung der jüngeren deutschen Geschichte leistet sie in hohem Maße Aufklärung zu Fragen eines kulturellen Gedächtnisses einer Nation. Ihr Werk weist darauf hin, dass ein offener und ehrlicher Umgang mit der Vergangenheit grundlegende Bedingung für ein friedliches Miteinander ist. Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann hat durch sein umfangreiches wissenschaftliches Werk internationale Debatten um Grundfragen zu den kulturellen und religiösen Konflikten unserer Zeit angestoßen. Mit seinen Schriften zum Zusammenhang von Religion und Gewalt sowie zur Genese von Intoleranz und absolutem Wahrheitsanspruch leistet er einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis der Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit der Religionen in der Weltgesellschaft von heute. Aus dieser spannungsvollen, komplementären Einheit, die Aleida und Jan Assmann bilden, ist ein zweistimmiges Werk entstanden, das für die zeitgenössischen Debatten und im Besonderen für ein friedliches Zusammenleben auf der Welt von großer Bedeutung ist.“
Aleida Assmann, geboren am 22. März 1947 in Bethel bei Bielefeld, beschäftigte sich in ihrem wissenschaftlichen Arbeiten neben der Anglistik und Archäologie seit den 1990er Jahren vornehmlich mit der Thematik des kulturellen Gedächtnisses, der Erinnerung und des Vergessens. 1993 folgte sie dem Ruf an den Lehrstuhl für Anglistik und allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz und nahm in den folgenden Jahrzenten zahlreiche Gastprofessuren weltweit wahr.
In ihrem 2006 erschienenen Buch „Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik“ untersucht sie die Spannungen zwischen persönlicher Erfahrung und offiziellem Gedenken, gibt Ratschläge für eine angemessene Erinnerungskultur und plädiert dafür, dem Gedächtnis einen „gemeinsamen Erinnerungsraum“ zu geben, der sich auch in einem Gedenktag wiederfinden sollte. In ihrem jüngsten, 2017 erschienenen Buch „Menschenrechte und Menschenpflichten“ plädiert sie angesichts der aktuellen Flüchtlingsdebatte für einen neuen Gesellschaftsvertrag, für den die Menschenrechte, Werte wie Empathie und Solidarität sowie ein Kanon von Regeln für ein faires und respektvolles Zusammenleben von Einheimischen und Zugewanderten maßgeblich sind.
Ihr Ehemann Jan Assmann, geboren am 7. Juli 1938 in Langelsheim (Harz), leistete wissenschaftliche Grundlagenarbeit bei der Erschließung, Edition und Interpretation von Quellen zur ägyptischen Religion. Dabei verlegt er sich früh auf interdisziplinäre Ansätze, indem er philologische Deutungen von Texten in den Zusammenhang mit archäologischen Befunden stellt sowie den kulturellen und sozioökonomischen Hintergrund berücksichtigt. Über die Analyse des Totenkults setzt Jan Assmann sich zudem mit der Frage auseinander, welches Selbstverständnis eine Kultur späteren Generationen von sich vermitteln will.
Mit seinen ägyptologischen und kulturwissenschaftlichen Arbeiten revidiert Jan Assmann das biblische Bild des Alten Ägyptens von einer versklavten Gesellschaft unter pharaonischer Willkür und porträtiert stattdessen eine Zivilisation, die von Ordnungs- und Gerechtigkeitsvorstellungen geleitet ist. Einem erweiterten Kreis wird Jan Assmann über seine Arbeiten zur Entstehung des Monotheismus bekannt, dessen Anfänge er in dem Auszug der Israeliten aus Ägypten sieht. In dem 2016 erschienenen Buch „Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung“ schlägt Jan Assmann schließlich einen Bogen zur aktuellen Diskussion über das Gewaltpotential monotheistisch geprägter Gesellschaften.
Zusammen mit seiner Frau Aleida gründet Jan Assmann 1978 den Arbeitskreis „Archäologie der literarischen Kommunikation“, in dem beide Vertreter verschiedener Disziplinen und Kultur-Fächer in einen Dialog bringen. Im Rahmen ihrer Arbeit formulieren Aleida und Jan Assmann das Konzept des kulturellen Gedächtnisses, das sie als offiziell institutionalisierte, konstruierte Form kollektiven Erinnerns vorstellen und von den rein subjektiven individuellen Erinnerungen abgrenzen. Sie greifen auch Themen der aktuellen Gegenwart auf wie zum Beispiel die Frage der individuellen und kollektiven Erinnerung an die Shoah, und machen es sich zur Aufgabe, auch die Erforschung von Literatur in diesen weiten kulturwissenschaftlichen Rahmen zu stellen.
Aleida und Jan Assmann erhielten zahlreiche Auszeichnungen, für ihr gemeinsames Schaffen unter anderem den Balzan-Preis (2017) und den Karl-Jaspers-Preis (2017). Aleida Assmann wurde mit dem A.H.-Heineken-Preis für Geschichte (2014), dem Max-Planck-Forschungspreis: Geschichte und Gedächtnis (2009) und weiteren Ehrungen ausgezeichnet. Jan Assmann wurde für sein Schaffen unter anderem mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa (2016) und dem Thomas-Mann-Preis (2011) geehrt. Er erhielt 2006 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Aleida und Jan Assmann leben in Konstanz. Das Ehepaar hat fünf Kinder.
Die Verleihung der Auszeichnung findet zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 14. Oktober 2018, in der Paulskirche in Frankfurt am Main statt und wird live im Fernsehen übertragen. Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.
http://www.esv.info/aktuell/assmann-den-kulturwissenschaften-geht-es-um-die-faehigkeit-flexibel-neugierig-und-kreativ-auf-wandel-zu-reagieren/id/86094/meldung.html