Ist die Branche familienfreundlich? Sie sollte es sein, denn es lohnt sich − für die Unternehmen wie für die Beschäftigten. Familie ist kein privates Problem. Familienfreundlichkeit ist eine strategische Maßnahme der Unternehmen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Und dafür setze ich mich nicht nur im Auftrag der BücherFrauen ein.
Sicherlich steht die Branche − wie viele andere Branchen auch − im digitalen Wandel. Diese Herausforderung besteht aber nicht nur aus der technischen Aufrüstung von Arbeitsumgebungen und Produkten, auch die gewohnten Arbeitsprozesse mit starren Hierarchien und Präsenzzeiten werden vermehrt von neuen, digitalen Formen der Zusammenarbeit abgelöst. Dieser Wandel wird von Menschen gestaltet. Sie bestimmen sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt mit Crowd- und Clickworking die neuen Spielregeln, zu denen auch der Wunsch nach gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern bei der Arbeit und in der Familie gehört.
Die digitalen Prozesse übernehmen zunehmend alltägliche Routinearbeiten, wodurch die MitarbeiterInnen immer mehr die Rolle fachlich versierter ExpertInnen einnehmen, von deren Engagement die Qualität des Endprodukts abhängt. Doch das Selbstverständnis dieser ExpertInnen ist heute genauso flexibel wie es die Anforderungen der neuen Arbeitswelten sind. Was die MitarbeiterInnen brauchen, ändert sich in der Regel entlang der Lebenszyklen. Wen es als junger Mensch ins Ausland zieht oder wer die regelmäßige Veränderung sucht, wird als Vater oder Mutter glücklich über einen festen Standort mit familiengerechten Arbeitszeiten und -bedingungen sein.
In der Arbeitswelt 4.0 geht es außerdem darum, dass die MitarbeiterInnen gesund bis ins hohe Alter arbeiten können. Die ArbeitnehmerInnen gehen also nicht irgendwann in Rente und genießen diese. Sie müssen länger arbeiten, und damit ist es zwingend notwendig, dass die Ressource Arbeitskraft über einen längeren Zeitraum verteilt werden muss. In der Praxis von vielen Unternehmen ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen. Nicht anders sind die politisch zahlreichen Bündnisse zu erklären, Pakte und Grünbücher zur Arbeitswelt 4.0. Auch die einschlägigen Studien der Branche, etwa eine Onlinebefragung im Auftrag der BücherFrauen, belegen vor allem den "women drain": "Die Mehrheit der Auszubildenden und BerufseinsteigerInnen ist weiblich, aber nur wenige von ihnen werden der Branche langfristig erhalten bleiben. Hohe Investitionen in die zukünftigen Mitarbeiter – und damit auch in die Zukunft der Branche – verpuffen, unter anderem, weil sie in Branchen abwandern, in denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser gewährleistet wird, in denen flexiblere Arbeitszeiten und weniger starre Sitzungskulturen geboten werden, die Führungsaufgaben geschlechtergerechter verteilt sind und insgesamt besser bezahlt wird." (vgl. Whitepaper "Vorsicht Familie", S. 2).
Knappheit wird in Zukunft dort spürbar, wo es zum einen darum geht, die richtigen Leute an sich zu binden, und zum anderen, die hohen Lohnnebenkosten zu tragen. Was also tun? Mehr Gehalt ist in den meisten Personalbudgets der Unternehmen nicht drin. Aber es gibt andere Ansatzpunkte. Wie können (auch kleine und mittlere) Unternehmen der Branche nicht nur zum Kunden hin ihr Profil schärfen, sondern insbesondere hinsichtlich der Frage: Wie kann ich mein Unternehmen als attraktiven familienorientierten Arbeitgeber positionieren? Wie kann ein familienfreundliches Unternehmens- beziehungsweise Branchenmodell entworfen werden? Es kann nicht sein, dass wir keine Zeit für die Zukunft haben und uns nicht mit den Fragen nach Bedürfnissen und Erwartungen von Unternehmen und MitarbeiterInnen beschäftigen, sondern nur versuchen, mit den Veränderungen Schritt zu halten, anstatt diese mitzugestalten.