Personalia

Harry Rowohlt ist tot

16. Juni 2015
Redaktion Börsenblatt

Seine rauchig-tiefe Stimme war in Deutschland so bekannt wie keine zweite: Der Autor, Übersetzer und Hörbuchsprecher Harry Rowohlt (70) ist gestern in Hamburg nach langer Krankheit gestorben. Legendär waren seine oft vier- bis fünfstündigen Lesungen samt Whiskykonsum, bei dem er höchst geistreich extemporierte − die Presse nannte ihn den "Paganini der Abschweifungen".

Rowohlt litt seit längerem an der Nervensystemkrankheit Polyneuropathie, die ihn zeitweise in den Rollstuhl zwang. Er kämpfte dagegen an, trat auch im vergangenen Frühjahr noch im Berliner Theater an der Parkaue im Rollstuhl und ohne seinen markanten Rauschebart auf, um aus seiner Übersetzung aus "Mr. Gum und der fettige Ingo" zu lesen. Nicht nur Kinder liebten seine sonore Stimme, die in den unterschiedlichsten Tonlagen brummen, flüstern, toben, quieken konnte − Rowohlt holte aus Texten einfach alles heraus. "Qualitäten wie ausladende Komik, Schrägheit, Hintersinn, Skurrilität, Absurdität, Übertreibung und Genialität, die das gesamte Übersetzungs-Oeuvre Rowohlts durchdringen − sein ganzes Schaffen zeichnet sich aus durch höchste Ansprüche an sich selbst und Sprachverliebtheit bis zur Sprachbesessenheit": Die Jurybegründung des Deutschen Jugendliteraturpreises für Rowohlts Gesamtwerk als Übersetzer kennzeichnen prägnant die herausragende Stellung Rowohlts in der deutschen Übersetzerlandschaft. Er übersetzte so gut wie nie linear, sondern schuf neue sprachliche Kunstwerke.

Seine brillianten Sprachfeuerwerke begeisterten die Zuhörer, auch im Gespräch liebte er das Schräge. Unvergessen auch in der Börsenblatt-Redaktion seine auf der Maschine getippten und durchgefaxten Schreiben, in denen er es sogar fertigbrachte mitzuteilen, dass er lieber keine Buchempfehlung schreiben würde, um dann wenige Zeilen später verschmitzt und begeistert ein neues Buch zu loben.

Harry Rowohlt gehörte zu den Gründungsautoren des Verlags Kein & Aber, eine Vielzahl seiner Werke sind bei den Zürchern erschienen. "Einen wie ihn wird es nicht mehr geben. Ich verliere einen großartigen Autor und wahrhaftigen Freund", sagt Verleger Peter Haag in einer Mitteilung.

Rowohlt, Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt und Halbbruder des Verlegers Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt, wurde am 27. März 1945 in Hamburg geboren. Er absolvierte eine Lehre als Verlagsbuchhändler bei Suhrkamp, volontierte im Rowohlt Verlag und bei Grove Press in New York und war Werbetexter. Seit 1971 arbeitet er als Übersetzer. 1982 verkaufte Harry Rowohlt seine Anteile von 49 Prozent am Rowohlt Verlag an die Holtzbrinck-Gruppe.

Der mit seiner Frau Ulla in Hamburg-Eppendorf wohnende Rowohlt erhielt eine Reihe von Auszeichnungen, 1997 den Brüder-Grimm-Preis, 1998 für seine Übersetzung von Kurt Vonneguts "Zeitbeben" den Kurd-Laßwitz-Preis, 1999 den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzungen und das "Hörbuch des Jahres" von HR2 und Börsenblatt, 2000 die Goldene Schallplatte für 250.000 verkaufte CDs des von ihm übersetzten und gelesenen Hörbuchs "Pu der Bär", 2003 den Deutschen Jugendliteraturpreis für die Übersetzung von Philip Ardaghs "Schlimmes Ende", 2005 den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk als Übersetzer.

Das Fernsehpublikum kannte Rowohlt als Nebenrollen-Schauspieler in der Rolle des Obdachlosen Harry in der Serie "Lindenstraße".