Die Sonntagsfrage

Was reizt Sie, wieder selbst Buchhändlerin zu sein, Frau Tittel?

15. Februar 2015
von Börsenblatt
Bis 2006 war sie Geschäftsführerin des Berliner Kulturkaufhauses Dussmann, anschließend Unternehmensberaterin: Im März will Martina Tittel mit der Übernahme der Nicolaischen Buchhandlung in Berlin-Friedenau noch einmal durchstarten. Was reizt Sie daran, wieder selbst hinter der Ladentheke zu stehen, Frau Tittel?

Wenn man Kunden aus dem Handel berät, befindet man sich immer in einem Bereich, in dem sich der Kunde selbst kompetent gefühlt hat; wenn er jahrelang bestimmte Dinge so und so gemacht hat, es ist oft anstrengend, ihn zur Veränderung zu bewegen. Viele fallen nach einiger Zeit doch wieder in ihre alten Muster zurück, und dann denke ich mir: Wozu habe ich bloß meine ganze Energie da hineingesteckt? Da bekommt man mehr und mehr Lust, wieder eine Buchhandlung selbst zu betreiben. im Laden zu stehen und zu gestalten.

Dennoch werde ich als Beraterin nicht ganz aufhören; meine Erfahrungen kann ich wieder in die Consultingarbeit einbringen, da gibt es viele Synergien. Ich werde mit den beiden Mitarbeiterinnen, die auch schon vorher in der Nicolaischen gearbeitet haben, einen Neustart hinlegen. Das bedeutet unter anderem neue Ladeneinrichtung, bessere Präsentationsflächen, erstmal Orientierungspunkte wie Regalbeschriftungen, überhaupt ein Warenwirtschaftssystem, einen Onlineshop und Veranstaltungen, das alles gab es bislang nicht. Mit den Veranstaltungen will ich sowohl Stammkunden, als auch neues Publikum interessieren. Es gibt inzwischen viele junge Familien in der Gegend, deswegen will ich den Kinderbuchbereich erweitern  und Kooperationen forcieren, zum Beispiel mit einem Kindertheater.

Eine meiner Freundinnen, die in Friedenau lebt, hat mir den Kiez erklärt und ich habe selbst sehr genau geschaut und analysiert: Rund um den Rathausplatz und die angrenzenden Straßen gibt es außer drei Supermärkten und einem Filialbäcker keine Filialen von großen Ketten, sondern viele kleine und alteingesessene Geschäfte, einen Wochenmarkt, Restaurants und Cafés – das Eigenständige, Unverwechselbare wird hier geschätzt. Unter den Kunden ist das Bildungsbürgertum sehr stark vertreten, das eine individuelle Ansprache mag, die es bei uns bekommen soll. So will ich zum Beispiel in der Buchhandlung auch den vielen Künstlern und Literaten einen Raum geben, die in Friedenau gelebt haben oder noch leben. Herta Müller, Günter Grass, Uwe Johnson, Ingeborg Bachmann, Max Frisch, Nicolas Born, Karl Schmitt-Rottluff, Rosa Luxemburg, Kurt Tucholsky und und und …, sie alle will ich im Laden in einem Regal versammeln – das ist identitätsstiftend. Ich will Bezüge zwischen dem Ort und den Kunden herstellen, auch mit Verlagen vor Ort wie Katharina Wagenbach-Wolffs Friedenauer Presse.

Momentan ist gerade der Tischler dabei, neue Regale zu schreinern, die alten waren leider nur in den 80ern hip Zwar soll der Duktus der Einrichtung bleiben, viel Holz und Weißtöne, aber praktischer, mit Stauräumen und trotzdem luftiger Anmutung. Zum Renovieren habe ich mir den Februar ausgesucht, das ist immer der schlechteste Monat im Sortiment, da ist eine zweiwöchige Schließung wegen kompletter Renovierung am ehesten zu verkraften.