Stimmen aus der Branche zum Terroranschlag gegen "Charlie Hebdo"

"Je suis Charlie"

16. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Der menschenverachtende Terroranschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo", bei dem zwölf Menschen getötet und weitere schwer verletzt wurden, erschüttert weltweit die Öffentlichkeit. "Wir dürfen unser Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit nicht aufgeben", erklärt Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller. Stimmen aus der Buchbranche zum Anschlag.

"Durch Anschläge wie auf das Magazin 'Charlie Hebdo' sollen der freie Geist und die Toleranz vernichtet werden", sagt Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. "Doch unser Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit dürfen wir nicht aufgeben. Umso wichtiger ist es, weltweit immer wieder aufs Neue um die Freiheit des Wortes und des Publizierens zu kämpfen. Aufklärung und Information sind zentraler denn je, damit die Anschläge nicht zum  Anlass unreflektierter Gegenpropaganda werden."

"Die Barbarei, die Autoren, die Schrift und den Geist angreift, wird nicht das letzte Wort haben", schreibt der französische Verlegerverband Syndicat national de l'Edition (SNE) auf seiner Website.

 

Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse:

"Der blutige Terroranschlag  auf das Satiremagazin 'Charlie Hebdo' entsetzt uns und wir verurteilen diesen Angriff auf die Pressefreiheit zutiefst. Derart schreckliche Ereignisse machen einmal mehr deutlich, wie wichtig das Einstehen für demokratische Werte und Meinungsfreiheit ist. Daher setzt die Leipziger Buchmesse weiter auf den freien Dialog zwischen Autoren, Übersetzern, Medienvertretern und dem Publikum. Diese Offenheit des Geistes und des Wortes werden wir auch zur Leipziger Buchmesse 2015 und ihrem Messeschwerpunkt '1965−2015. Deutschland-Israel' pflegen."  

Ulrich Nolte, Verlag C.H. Beck, Lektorat (Sachbereich Islam, Judentum, Theologie, Weltreligionen):

"Wir haben ein breites Programm zum Islam. Da ist auch manches dabei, was Islamisten nicht gefallen wird: Abbildungen von Mohammed in einem Koran für Kinder, historische Arbeiten zur Entstehung des Islams, die nicht gerade der traditionellen muslimischen Sicht entsprechen. Mein erster Gedanke war ein Gefühl der Bedrohung: Könnten auch wir zur Zielscheibe werden? Mein zweiter Gedanke ist: Jetzt erst recht! Nämlich jetzt erst recht zeigen, dass es auch einen liberalen, reformfreudigen und weltoffenen Islam gibt."

 

 

Filip Kolek, Verlag Reprodukt:

"Der Schock ist da - wir kennen Kollegen aus französischen Verlagen, die die Ermordeten kannten, die Comicszene ist ja klein. Morgen eröffnet unser Verlag mit „Le Monde diplomatique“ in Berlin eine Ausstellung mit 47 Künstlern aus 22 Ländern: „Comics zur Lage der Welt“, da wird das Attentat mit Sicherheit thematisiert werden. In Deutschland sehe ich die Situation etwas anders als in Frankreich. Auf jeden Fall kommt eine Zensur von Themen für uns nicht in Frage."

 

Georg Stein, Palmyra Verlag:

"Man kann sich nur wünschen, dass der Dialog mit dem Großteil der Muslime, die sich ja von dem Anschlag distanziert haben, unbeirrt fortgesetzt und verstärkt geführt wird. Dass Autoren im Visier von islamistischen Gruppierungen stehen, ist nicht auszuschließen; das gab es auch schon in der Vergangenheit. Ich fände es höchst bedenklich, wenn künftig Bücher aus Angst heraus nicht gemacht werden würden."

René Strien, Leiter der AG Publikumsverlage:

"Der Anschlag gestern richtete sich gegen alles, wofür die deutschen Verlage stehen: Meinungsfreiheit, erst recht da, wo die neuralgischen Punkte einer Gesellschaft betroffen sind; bunte Vielfalt; das Ausloten von gedanklichen Möglichkeiten, wozu immer auch das Zulassen von Irrtümern gehört; eine demokratische Kultur des offenen Diskurses auf allen Ebenen, wie sie nur in einem absolut gewaltfreien Raum möglich ist. Daher ist der feige Anschlag von Paris weder eine französische Angelegenheit noch eine Frage von Islam und Christentum, es geht vielmehr ganz grundsätzlich um unser demokratisches Selbstverständnis.

Die Folgen sind unabsehbar. Wir müssen nicht nur jetzt klar Position beziehen und unsere Solidarität mit den Opfern ausdrücken und dem, wofür sie standen: Wir müssen zugleich all denjenigen eine scharfe Absage erteilen, die bereits aus ihren Löchern gekrochen kommen, um ihr unerträgliches Süppchen zu kochen − mögen sie nun Le Pen heißen oder Pegida. Und indem wir kämpferisch für unsere in langen Jahrhunderten errungenen Grundwerte eintreten, müssen wir klar machen, dass Demokratie und Toleranz nicht mit Wehrlosigkeit zu verwechseln sind. 

Genau in solch einer schwierigen Situation zeigt sich, warum eine Gesellschaft freie Medien braucht. Statt Stammtischparolen und kurzfristigem politischem Aktivismus brauchen wir Aufklärung, differenzierte Analyse und die ständige Demonstration der Attraktivität demokratischer Werte. Wir als Publikumsverlage sehen uns hierbei in der vordersten Reihe und werden uns mit der aktuellen Situation selbstverständlich auch auf dem AG Pub-Treffen befassen. In welcher Form das geschehen soll, diskutieren wir gerade intensiv im Vorstand."

Der Hanser-Autor Navid Kermani zeigt sich in einer Stellungnahme sichtlich erschüttert, fordert ein entschiedenes Eintreten für Freiheitsrechte: "Das ist nicht nur ein Anschlag auf eine Zeitschrift und auch nicht nur auf die Kunst. Das ist ein Anschlag auf ein Europa, das den Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung Würde, Freiheit und gleiche Rechte zuspricht − auch und zumal den Muslimen. Tun wir, was den Tätern am meisten missfällt und den Opfern am meisten entspricht: Bleiben wir frei."

 

Ian McEwan, Autor:

"Murderous and self-sanctifying,  radical Islam has become a global attractor for psychopaths. It has never been embarrassed to proclaim its list of hatreds: education, tolerance, plurality, pleasure and, above all, freedom of expression - the freedom that underpins all others. Even more important than the abstractions are the people that jihadists hate and have killed: children, schoolgirls, gays, women, atheists, non-Muslims, and many, many Muslims. To that list we must now add the brave and lively staff of Charlie Hebdo, who hoped to face down hatred with laughter. The slaughter in Paris is a tragedy for the open society. On a dark night for mental freedom, a few fragile points of light: the calm, determined crowds gathered in cities across France; the hope that the general revulsion at these murders might have a unifying effect; the fact that a cult rooted in hate is a frail thing and cannot last; the fact that the psychopaths are vastly outnumbered."

Manuel Herder, Verlag Herder:

"Hätte mir jemand vor wenigen Jahren gesagt, dass wir im Europa unserer Generation, nach all den Jahren seit 1933 und nach dem friedlichen Ende der Diktaturen von 1989 Zeugen von Gräueltaten gegen die Meinungsfreiheit werden, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Ich bin entsetzt. Wir haben die Solidaritätsbekundung heute auf unserer Homepage eingebunden."

Martina Bergmann, Buchhändlerin:

"Zivilcourage ist Bestandteil des Berufsbilds, und man sollte jetzt zeigen: Ich bin kein unpolitischer Buchhändler. Wir haben deshalb einen Tisch mit französischer Literatur und einigen wenigen Titeln zur religiösen Problematik. Mohsin Hamid, Der Fundamentalist, der keiner sein wollte (Heyne Tb), Ich bin Malala (Knaur Tb), Marjane Satrapi, Persepolis (Edition Moderne). Wichtig finde ich, seine Meinung verständlich zu präsentieren. Ich habe hier kein akademisches Publikum und schaue, dass ich Titel finde, die grundsätzlich informieren, vor billiger Polemik aber bewahren. Der neue Houellebecq wird sich vermutlich als Skandalbuch à la Sarrazin blendend verkaufen."

Lucien Leitess, Unionsverlag:

"Der faschistische Terror, der schon lange Journalisten, Autoren, Kollegen in Kabul, Karatschi, Nairobi, Lagos, Istanbul (um nur einige zu nennen) trifft, ist in die Nähe gerückt. Schriftsteller wie Yaşar Kemal, Nagib Machfus, Mahmud Doulatabadi, Assia Djebar, Abdelwahab Meddeb, Shahriar Mandanipur leben und lebten lange damit und erzählen davon, ohne sich zu ducken. Warum sollten wir Verlage es tun?"

 

Weitere Reaktionen:

"Killing authors, their colleagues and those who were protecting them is an act of extreme cowardice. But freedom of expression will win over barbarity", erklärt die Federation of European Publishers (FEP). "The publishers members of the Federation are fighting day after day to ensure that freedom of expression and freedom to publish remain a reality in Europe and worldwide."

Die Kölner BUNT Buchhandlung reagiert mit einem Büchertisch auf den Hass.
Auch in Mainz hatte Susanne Lux in ihrer Kinderbuchhandung Nimmerland einen Aktionstisch rund um Islam, Islamismus, Engagement, Pegida, Flucht und Vertreibung und Fremdsein gestaltet - "weil gerade Kinder dringend Erklärungen und Perspektiven brauchen".

Lars Baumann, Zweitbuchhandlung in Obernhausen:

"Stehe ich mit einem mulmigen Gefühl im Laden? Nein, selbst unsere Dorfnazis haben Schiss vor mir, seit ich denen mal erklärt habe, dass es "Döner Kebab" und nicht "Donar Kebab" heißt. Meine muslimischen Kundinnen und Kunden schätzen mich, genau wie alle anderen Konfessionen hier. Es gibt glaube ich keine Religion, die hier im Kundenkreis nicht vertreten ist. Und meine Haltung zu politischen und religiösen Themen ist allseits bekannt. Und wenn hier mal jemand bewaffnet hereinstürmt, dann soll es wohl so sein. Respekt kenne ich, Angst nicht."

PEN International hat auf seiner Website Stimmen der PEN-Verbände aus Frankreich, Libanon, Großbritannien, Türkei, den USA und Kanada zusammengestellt. In der Einleitung heißt es: "In the face of such violence, it is incumbent on all governments and religious leaders to strengthen their commitment to press freedom and to safeguard freedom of expression as a fundamental human right."

Der Präsident der Arab Publishers Association, Assem Shalaby, verurteilte den Anschlag ("vicious attack"), der den Prinzipien des Islam und der Botschaft des Propheten widerspreche, berichtet das britische Branchenmagazin "The Bookseller".

Bei dem Terroranschlag in Paris wurden am 7. Januar zwölf Menschen ermordet, darunter der Chefredakteur von "Charlie Hebdo", der Zeichner Stéphane Charbonnier, bekannt als "Charb", sowie seine Kollegen Jean Cabut, Georges Wolinski und Bernhard Verlhac, bekannt als "Cabu", "Wolinski" und "Tignous" und zwei Polizisten. Weitere Personen wurden schwer verletzt.

Gestern versammelten sich in Paris und anderen französischen Städten zehntausende Menschen, um ihre Solidarität mit den Opfern auszudrücken und ein Zeichen für die Pressefreiheit zu setzen − "Je suis Charlie" war auf zahlreichen Schildern zu lesen. Auch vor der französischen Botschaft in Berlin kamen zahlreiche Menschen zusammen − aufgerufen hatte dazu unter anderem das internationale literaturfestival berlin.

Auf der Website des französischen Magazins steht − in weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund − der Satz "Je suis Charlie". Ein Link darunter führt zu einem PDF, in dem der Satz auf sieben Seiten in sieben weiteren Sprachen, darunter auch auf Deutsch ("Ich bin Charlie"), wiedergegeben wird.