Deutschland bekommt zum Jahreswechsel den Mindestlohn: 21 von 28 europäischen Ländern haben das staatliche Instrument gegen Lohndumping schon eingeführt. Der deutsche Stundenbruttolohn, den die Große Koalition zunächst auf 8,50 Euro festgesetzt hat, landet im Ländervergleich gerade mal im Mittelfeld. Dennoch zeigen sich viele Unternehmen alarmiert – während die Arbeitnehmerseite von der Neuregelung positive Effekte erwartet. Vor allem der Branchennachwuchs hofft darauf, dass die Große Koaliton ihr Versprechen einlöst, das Experiment "Generation Praktikum" durch eine Lohnuntergrenze zu stoppen.
„Unter unseren Mitgliedern ist der Mindestlohn ein Thema“, bestätigt Eva Heptner, 1. Vorsitzende der Jungen Verlagsmenschen. Wie auf boersenblatt.net bereits berichtet, sind die Jungen Verlagsmenschen in den vergangenen Jahren stark gewachsen - auf 570 Mitglieder; was als loses Nachwuchsnetzwerk begonnen hat, hat sich zu einem organsierten Verein mit aktuell 570 Mitgliedern ausgewachsen, der seine Aufgaben noch feststecken muss. „Der Verein richtet sich neu aus. Insbesondere prüfen wir, wie politisch wir auftreten möchten“, deutet Heptner an, dass die bisherige Zurückhaltung womöglich bald der Vergangenheit angehören könnte. Eine AG Zukunft im Verein erarbeitet dazu gerade ein Konzept. In der ebenfalls im Sommer gegründeten AG Nachwuchsrechte brodelt dagegen der Unmut über die Einschätzung aus dem Bundesministerium für Arbeit, laut der Volontären kein Mindestlohn zustehen soll.
Dennis Schmolk, 2. Vorsitzender der Junge Verlagsmenschen sagt: „Aus vielen Gesprächen geht hervor, dass Volontäre keine andere Arbeit als ihre festangestellten Kollegen verrichten. Ohne Mindestlohn verdienen sie dann für Vollzeitarbeit weiterhin weniger als ungelernte Kräfte anderswo − und das trotz Studium und/oder Ausbildung. Bei Amazon Päckchen zu packen ist und bleibt lukrativer, als in einem Verlag anzufangen.“ Die AG Nachwuchsrechte bereitet aktuell eine Umfrage vor, die klären soll, wie die breite Basis der Jungen Verlagsmenschen über das Thema denkt, „und wie weit verbreitet es ist, dass Volontäre als Dumping-Arbeitskräfte eingesetzt werden“. Nach Einschätzung von Schmolk sind die meisten Volontäre nichts anderes als billige Arbeitskräfte: „Mein Eindruck ist, dass es sich bei den meisten Volontariaten nicht um Ausbildungen handelt − es gibt keine Ausbildungspläne, keine Lernziele, meistens nur ‚learning by doing‘. Also ganz reguläre Arbeit."
Bei Buchkarriere.de können Ex-Praktikanten und Volontäre ihre Arbeitgeber in Multiple-Choice-Fragebögen bewerten. Möglich sind auch Kommentare, allerdings nur unter Klarnamen. So sollen Verzerrungen und Internetprangerei verhindert werden: „Kritisiert wird bei uns nur auf Augenhöhe“, sagt Norsin Tancik, eine der beiden Gründerinnen von Buchkarriere.de. Auf dem Server der Plattform liegen zahlreiche brisante Erfahrungsberichte über erschreckende Praktika, die nie den Weg an die Öffentlichkeit finden. Inwiefern diese Berichte Arbeitsbedingungen der breiten Masse abbilden, ist nicht klar: Es kommentieren naturgemäß vor allem die Frustrierten, was ihnen in der mitunter ersten echten Begegnung mit dem Traumberuf wiederfahren ist: Miese Arbeitszeiten, wenig oder gar keine Bezahlung oder nicht eingehaltene Absprachen. Viele Absolventen sind frustriert und wütend. Dennoch: Die Generation Bachelor hat Angst, sich mit einer öffentlichen Beschwerde über Missstände in Sachen Bezahlung, Betreuung oder Arbeitsklima die Zukunft zu verbauen. Darum ändert sich am Status quo wenig. Lieber wäre es den Buchkarriere-Betreiberinnen darum, wenn der Nachwuchs sich zu seiner Meinung auch öffentlich, statt hinter vorgehaltener Hand bekennen würde: „Wir wollen an der momentanen Situation arbeiten, das geht aber nur im konstruktiven Miteinander“, sagt Norsin Tancik. Fairness fordert die Plattform auch von den Arbeitgebern: Auf der Stellenbörse von Buchkarriere finden sich aktuell keine unvergüteten Praktika, die länger als drei Monate dauern und keine Volontariate, die mit weniger als 800 Euro vergütet sind. Eine Regelung, bei der die Buchkarriere-Betreiberinnen manchmal selbst Bauchschmerzen haben. Gerne würden sie die Messlatte noch höher legen, sehen sich aber gezwungen, unter ihren Wunschvorstellungen zu bleiben: „Das ist der Struktur des Marktes geschuldet, der von sehr vielen kleinen und mittelständigen Unternehmen geprägt ist.“ Heißt so viel wie: Egal wie gut die persönliche Betreuung und wie hoch der Lernfaktor sein mag: Die Indies bezahlen den Nachwuchs oft schlecht – oft genug sind es aber auch größere Häuser, die bei der Ausbildung den Geldbeutel zusammenkneifen.
Monika Kolb-Klausch, Bildungsdirektorin des Börsenvereins und Geschäftsführerin des mediacampus frankfurt, ist besorgt, dass sich der Mindestlohn als zweischneidiges Schwert erweisen und am Ende zu Lasten der Berufseinsteiger gehen könnte: „Ich kenne viele Betriebe − in Handel und Verlag − die gut für ihre Praktika bezahlen und dennoch unter dem Mindestlohn liegen. Von anderen Betrieben weiß ich, dass ihnen der der finanzielle Spielraum fehlt, ihre bisherigen Praktikantenlöhne deutlich zu erhöhen und damit neue Planstellen zu schaffen. Im Ergebnis befürchte ich, dass viele dieser für junge Menschen wichtigen Stellen wegfallen werden und es für viele Absolventen ohne Berufserfahrung schwieriger wird, Einstiegschancen zu finden.“
Eine Befürchtung, die auch von Nachwuchssprecherin Jana Zawadzki geteilt wird. „Wenn es keine Ausnahmen beim Mindestlohn gibt, werden Stellen wegfallen. Nicht jede kleine Buchhandlung oder Verlag kann sich diese Personalkosten leisten.“ Vor allem größere Buchhandlungen und Verlage könnten die Zahl ihrer Einstiegsstellen halbieren, meint Zawadzki. „Das Thema Mindestlohn ist noch lange nicht ausdiskutiert“, glaubt die Nachwuchssprecherin.
Zumindest im Buchhandel sind keine lawinenartigen Verschiebungen abzusehen, zum Teil liegt das an geltenden Tarifen, die ohnehin über dem Mindestlohn liegen. Von Unruhe ist im Sortimenter-Ausschuss des Börsenvereins darum auch wenig zu merken. „Der SoA befürwortet den Mindestlohn von 8,50 Euro, mit der Ausnahme, dass er einen Mindestlohn von 8,50 Euro für Schüler für unangemessen hält“, sagt Kyra Dreher, Geschäftsführerin des Gremiums. Warum ist der SoA gegen die Ausnahme? „Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass aufgrund geringer Abzüge ein Schüler netto mehr verdient als ein fester Mitarbeiter, obwohl Schüler nur für einfache Tätigkeiten eingesetzt werden“, gibt Dreher zu Bedenken.
Im unabhängigen Sortiment nimmt man den Mindestlohn gelassen: Matthias Dölger, Inhaber der 2011 gestarteten Buchhandlung Bukafski in Mainz, sagt: „Neben mir gibt es hier einen festen Kollegen, wir stemmen die Arbeit alleine.“ Betreffen dürfte die Regelung nach seiner Einschätzung vor allem „die Filialisten, die viele Minijobber an der Kasse sitzen haben.“
Doch dass es bei den „Buchketten“ zu Streichungen kommt, kann eine Börsenblatt-Umfrage nicht erhärten. Thalia-Pressesprecherin Mirjam Berle erklärt auf Nachfrage, dass beim Filialisten aufgrund der Regelung keine Praktikantenstellen wegfallen sollen. Mit dem Mindestlohn habe man bei Thalia „kein Problem“, heißt es aus dem Unternehmen. Das liege nicht zuletzt daran, dass ohnehin kaum Kräfte ohne buchhändlerische Ausbildung im Unternehmen beschäftigt seien – die angestellten Buchhändler verdienen heute mehr als 2015 mindestens Pflicht sein wird.
Nach eigener Aussage wird sich auch für die Mayersche Buchhandlung nur in geringem Maße etwas ändern. „Nur ganz selten haben wir Praktikanten, die länger als drei Monate bei uns im Unternehmen sind. Wenn, dann sind es in der Regel Praktikanten, die im Rahmen eines Kooperationsverfahrens den praktischen Teil Ihrer Ausbildung bei uns absolvieren“, heißt es aus Aachen. Diese Praktika laufen über Träger wie "Terzia" oder die "DDA − Deutsche Angestellten Akademie", die die jeweilige Ausbildung, bzw. die Praktika finanzieren. Für Praktikanten, die im Rahmen des Studiums bei der Mayerschen tätig werden, vereinbart der Buchhändler eine Vergütung, die über dem Mindestlohn liegt und „die in der Regel auch erfolgsabhängig ist“ – also erfolgreiche Projekte mit finanziellen Anreizen belohnt.
Auch bei Osiander ist der Mindestlohn kein Thema, das Besorgnis auslöst: „Bei uns ändert sich durch den Mindestlohn nichts“, sagt Kathrin von Papp-Riethmüller, Teil der Osiander-Geschäftsleitung und beim Familienbetrieb für das Personalmanagement zuständig. Langzeitpraktikanten gibt es beim Buchhändler nicht, alle Mitarbeiter bei Osiander liegen mit ihrem Gehalt über der gesetzlichen Mindestlohngrenze. Von Papp-Riethmüller schätzt: „Vor allem Verlage werden wohl längere Praktika streichen, das ist schade für die Unternehmen und die Bewerber.“
Änderungen dürften sich indes für einen Teil der Angestellten bei Weltbild ergeben: Vor allem Aushilfen (u.a. bei Jokers) verdienen dort derzeit weniger als den ab Januar verpflichtenden Bruttostundenlohn von 8,50 Euro: Laut Ver.di Infoblog wurde (Stand Sommer 2013) 6,27 Euro pro Stunde bei Weltbildplus und der Wohlthat‘schen für Mini-Jobber gezahlt. Je nach Bundesland fallen auch die Löhne für die Angestellten unterschiedlich aus. Im angestrebten Haustarifvertrag wird sich die niedrigste Lohnstufe künftig auf Mindestlohnniveau bewegen, zumal das Unternehmen mit dem Investor Droege die Insolvenz überwunden hat und sich nun neustrukturiert.
Blickt man auf die Buchbranche, scheint das Thema Mindestlohn vor allem den Nachwuchs in den Verlagshäusern zu betreffen. Bei vielen Verlagen ist die Unsicherheit groß. Viele Personalabteilungen sind sich nicht im Klaren darüber, wie Stellen künftig auszuschreiben sind, was noch erlaubt und was im Bereich Praktikantenvergütung untersagt ist. Auch beim Oetinger Verlag gibt man sich entsprechend der unklaren Lage etwas zugeknöpft: „Wir können noch nicht abschätzen, wie sich die neuen Regelungen auswirken“, heißt es aus Hamburg. Schüler- und Orientierungspraktika bietet der Verlag derzeit prinzipiell nicht an, heißt es auf der Homepage. Auch Volontariate sind nicht ausgeschrieben – lediglich Initiativbewerbungen nimmt der Verlag entgegen. Oetinger ist nicht alleine.
Bei Random House sieht man zumindest bezogen auf die Volontärsvergütung keinen Handlungsbedarf. Volontäre werden bei den Münchnern schon lange über Mindestlohnniveau bezahlt, erklärt Personalreferent Remigius Eberle. "Wir verstehen die Ausbildung unserer Volontäre als Gelegenheit, die vielversprechendsten Kandidaten (z.B. für eine Tätigkeit als Lektor) schon früh für uns zu interessieren und an uns zu binden." Die Wertschätzung, die sich nicht nur durch Fortbildungsprogamme ausdrückt, sondern sich auch im Geldbeutel der Young Professionals bemerkbar macht, soll dazu beitragen, "die Besten zu rekrutieren", so Eberle.
Bei der Vergabe der Praktikumsstellen will sich auch Random House dem Wettbewerb um die begehrten Pflichtpraktikanten stellen: "Vor dem Hintergrund, dass für Studenten nach ihren Studienordnungen die nachgewiesene Teilnahme an Praktika verbindlich ist, sehen wir Unternehmen in der gesellschaftlichen Pflicht, ausreichend Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen. Wir werden daher, wie in der Vergangenheit, auch künftig Studenten unterstützen, um ihnen die Erfüllung ihrer Studienvorgaben zu ermöglichen."
„Auch nach der Gesetzesänderung werden wir bei Carlsen Studierenden die Chance bieten, im Rahmen eines Praktikums über sechs Monate Einblicke in das Verlagswesen zu gewinnen“, informiert Gerald Kiene, kaufmännischer Leiter beim Hamburger Verlag. Eine Einschränkung gibt es allerdings: Grundvoraussetzung ist, dass das Praktikum „als Pflichtpraktikum innerhalb der Studienordnung vorgesehen ist“ und damit von der Mindestlohnregelung ausgenommen ist. Aktuell zahlt der Verlag für ein halbjähriges Praktikum 400 Euro pro Monat. Volontariate will der Verlag wie gewohnt ausschreiben: „Die Verlagsausbildung wird von Carlsen weiterhin auch im Rahmen von Volontariaten angeboten. Da die Ausbildung der Mindestlohnregelung nicht unterliegt, sehen wir hier keinen Anlass, etwas zu verändern.“
Nadja Kneissler, Verlagsleiterin bei Delius Klasing, appelliert an ihre Kollegen, Volontäre und Langzeit-Praktikanten nach Möglichkeit zu bezahlen. „Hochschulabsolventen, die ein Praktikum von mehr als drei Monaten oder ein Volontariat absolvieren, erfordern nicht nur Ausbildungsaufwand – sie tragen auch zum Erfolg des Unternehmens bei. Darum sollten sie bezahlt werden. Wie hoch diese Bezahlung ausfällt, sollte allerdings jedes Unternehmen individuell entscheiden können“, findet Kneissler. Ihrer Meinung nach liegt es im Eigeninteresse der Branche, junge Leute in die Firmen zu holen, um deren Know-How zu nutzen und um vom bevorstehenden, demografisch bedingten Nachwuchsmangel nicht zu sehr beeinträchtigt zu werden. „Die Buchbranche wird von vielen Hochschulabsolventen nicht als zukunftssichere Branche eingeschätzt“, sagt Kneissler. „Gerade dann sind bezahlte Praktika und Volontariate attraktiver.“ Kneissler stellt aber auch klar: “Ich bin kein Freund der Mindestlohnregelung, denn die ist für viele Verlage, vor allem für kleinere Häuser, zu teuer. Ihre Einführung kann deshalb dazu führen, dass weniger Langzeit-Praktika und Volontariatsstellen angeboten werden als bisher.“
Schlägt angesichts dieser Unsicherheit 2015 also die Stunde der studentischen Pflichtpraktikanten? Es scheint so.
Grundsätzlich befürwortet man beim Gmeiner-Verlag die Einführung des Mindestlohns. Über mangelnde Anfragen für längere Praktika müssen sich die Meßkircher nicht sorgen: „Vor allem HdM-Studenten möchten ihre langen Pflichtpraktika bei uns absolvieren“, erklärt Frank Liebsch. Schon heute machen die Studenten der buchnahen Studiengänge das Gros der beschäftigten Praktikanten aus, ein Mindestlohn wird für sie auch in Zukunft nicht fällig. „Wir hätten ein Problem, wenn wir Praktikanten rund 1.400 Euro zahlen müssten. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Unternehmen künftig weniger Stellen anbieten, das Personalbudget für Neuanstellungen ist letztlich limitiert“, gibt Liebsch zu Bedenken. Kurze Praktika werden bei Gmeiner selten vergeben, auch standortbedingt ist man auf Pflichtpraktika spezialisiert; die Ausbildungspläne des Verlags sehen vor, dass auch Praktikanten in der Regel verschiedene Bereiche einer Abteilung bzw. mehrere Abteilungen durchlaufen: „Sonst haben beide Seiten davon nicht viel“, findet Liebsch. Für Volontariate gibt es einen dreistufigen Ausbildungsplan: Nach einer halbjährigen Orientierungsphase und einem Kennenlernen der verschiedenen Aufgabenbereiche seiner Abteilung spezialisiert sich der Volontär gewöhnlich im letzten halben Jahr auf eine bestimmte Tätigkeit. Ausbildungsziel des Volontariats ist es, so steht es wörtlich im Ausbildungsvertrag der Volontäre, „durch die Vermittlung und den Erwerb aller erforderlichen Fachkenntnisse und fachspezifischen Erfahrungen die Befähigung zur Arbeit als qualifizierter Mitarbeiter“ in seinem Bereich zu erreichen. „In den letzten Jahren sind wir von 15 auf fast 30 Stellen gewachsen. Ständig wechselnde Volontäre kennen wir bislang nicht, wir konnten jeden Volontär übernehmen.“ Ins Unendliche zu wachsen, damit rechnet man bei Gmeiner nicht. Wie regelmäßig der Verlag künftig Volontariate ausschreibt, ist noch offen.
Gerade Independent-Verlage dürften künftig genau überlegen, ob sie so regelmäßig wie bisher Volontäre ausbilden und einsetzen können. Verlegerin Hanna Mittelstädt sagt: „Wir bieten bei der Edition Nautilus regelmäßig niedrigschwellige Praktika an, die nicht vergütet sind. Unsere Praktikanten sind in der Regel zwei Monate bei uns. Längerfristige unbezahlte Praktika finden wir sehr schwierig und würden sie darum auch nicht anbieten. Auch wenn wir ein anarchistischer Verlag sind, werden wir uns auch im nächsten Jahr an die Gesetze halten. Volontariatsstellen sind sehr begehrt, das wissen wir aus eigener Erfahrung. Der Wissenstransfer ist erheblich und man freut sich als Independent Verlag immer, wenn man eine Stelle besetzen kann. Wir bezahlen unserer Volontärin aktuell nicht viel weniger als den Mindestlohn und werden wohl aufstocken.“
Leif Greinus, Verleger bei Voland & Quist, hat sich ebenfalls mit den neuen Gesetzen befasst: „Wir mussten uns ja zwangsläufig mit dem Thema Mindestlohn beschäftigen. Da die Regelung für Praktikanten noch einmal dahingehend überarbeitet wurde, dass Kurzzeitpraktika vom Mindestlohn ausgenommen sind, ändert sich bei uns wenig. Wir hatten schon Praktikanten, die länger bei uns waren, aber das sind Pflichtpraktikanten von der HTWK. Volontäre haben wir derzeit keine – wir arbeiten lieber langfristiger mit festen Kräften.“ Greinus vermutet, dass künftig bei Independent-Verlagen „viel unter der Hand“ passieren wird – viele Studenten suchen sich die Independent-Verlage bewusst aus und nehmen niedrige Löhne freiwillig in Kauf. „Die Gesetzesänderung wird darum in der Praxis eher die mittelgroßen Verlage betreffen“, schätzt Greinus.
Bei S. Fischer sind in der Regel vier bis fünf Volontäre im Haus, dazu kommen sechs Azubis (je zwei Azubis aus drei Jahrgängen). „Der Schwerpunkt liegt bei uns auf den Volontariaten und der Ausbildung. Zum Vergleich: In diesem Jahr gab es bei uns nur zwei Praktikanten, das ist nicht ungewöhnlich“, sagt Personalleiterin Cristina Bartz. Die Volontäre werden nach Tarif bezahlt (Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen), sie erhalten Urlaubsgeld, ein 13. Monatsgehalt, ein Bücherkontingent und vermögenswirksame Leistungen. Das Gehalt liegt, wie bei Tarifverträgen üblich, klar über Mindestlohnniveau. „Wir fördern unsere Volontäre individuell mit Aus- und Fortbildungen“, so Bartz. Auch Praktikanten, die häufig von der HTWK Leipzig und der HdM in Stuttgart nach Frankfurt kommen, werden fair vergütet. Nicht nur die Namen berühmter Autoren ziehen den Nachwuchs an, auch die guten Arbeitsbedingungen haben sich herumgesprochen. Im Verlag bewerben sich 200 Nachwuchskräfte um die heiß begehrten Stellen – monatlich. Umso mehr erstaunt es, dass es im Bewerbungsgespräch häufiger vorkommt, so Bartz, „dass Bewerber leider unvorbereitet“ erscheinen und nicht nur die Verlagsschwerpunkte nicht kennen, sondern mitunter mit Begriffen wie „populäres Sachbuch“ Verständnisprobleme haben. Mit dem Know-How und Ausbildungsstand der Nachwuchskräfte insgesamt ist der Verlag sehr zufrieden. „Wir haben aktuell einen Superjahrgang“, findet Bartz.
Es bleibt abzuwarten, ob die Young Professionals, vor allem Volontäre ihr Recht auf den Mindestlohn vor den Arbeitsgerichten erstreiten können. Das Mindestlohngesetz birgt vor allem mit der Lücke der Volontariatsvergütung Sprengstoff, den viele Unternehmen lieber frühzeitig entschärfen wollen. Das Mindestlohngesetz bietet den Unternehmen mit den vorgesehenen Ausnahmen nach ihrer Ansicht genug Spielraum, sich bei der Ausbildung des Nachwuchses nicht einschränken zu müssen.
Beim Ravensburger Verlag, der neben Dorling Kindersley und dtv beim Buchkarriere Award zu den fairsten Arbeitgebern der Branche gewählt wurde, sieht man die Sache ähnlich. Personalleiter Jan Westphal sagt: „Hochschulabsolventen, die länger als drei Monate bei uns bleiben, erhalten ab Januar 2015 natürlich den Mindestlohn. Das war bei uns gar keine Diskussion. Wir suchen für unser Ausbildungsprogramm Praktikanten, die bis zu sechs Monate bei uns bleiben. Volontäre bekommen bei uns ohnehin schon seit vielen Jahren deutlich mehr als den künftigen Mindestlohn. Hier ergibt sich für uns keine Änderung. Natürlich sind die Volontäre bei uns zum Lernen, es gibt ein eigenes Volontariatsprogramm, das die Volontäre durchlaufen. Sie leisten auch eine ganze Menge und bearbeiten ihre Projekte und das wollen wir fair vergüten. Besonders freut mich darum die Auszeichnung mit dem Buchkarriere Award, die zeigt, dass der Nachwuchs sehr zufrieden ist mit unserer Ausbildung. In die steckt unsere Personalabteilung viel Engagement. Auch die Kolleginnen und Kollegen, die die Praktikanten betreuen, tun das mit viel Herzblut.“
Für Valeska Henze ist das Thema angemessene Bezahlung nicht bloß ein Nachwuchsthema, sondern eines der wichtigsten Kernthemen der BücherFrauen überhaupt. Im Netzwerk sind Frauen aus vielen Berufsfeldern der Branche vertreten. „Wir können wir natürlich nicht für eine besondere Berufsgruppe sprechen, auch stellt sich die Situation für Angestellte und Freiberuflerinnen oder Unternehmerinnen unterschiedlich dar“, gibt Henze zu Bedenken. „Gemeinsam ist uns, dass wir alle in einer Branche mit hohem Selbstausbeutungspotenzial arbeiten und viele dabei in den unteren Honorar- oder Gehaltsgruppen landen. Ein Mindestlohn könnte da einen Einstieg in die adäquate Entlohnung innerhalb der Branche bedeuten, und hoffentlich auch eine Nivellierung der Entgeltunterschiede zwischen den Geschlechtern einleiten“, hofft die Vorsitzende der BücherFrauen. Sie fordert: „Volontariate und längere Praktika sollten idealerweise auch berücksichtigt werden, auch wenn dies für viele kleine Verlage wahrscheinlich schwierig zu bewerkstelligen wäre. Aber grundsätzlich sollten Verlage erst einmal in die Pflicht genommen werden, Arbeit angemessen zu vergüten. Über Regelungen und Instrumentarien wie Ausbildungszuschüsse bei Volontariaten und Praktika könnte man sicherlich nachdenken; sie sollten aber keine generelle Ausweichmöglichkeit für Verlage und Arbeitgeber bieten, die Entgelte weiter zu drücken.“