Sachbücher Geschichte

Der Traum von der Weltherrschaft

20. Juli 2015
von Andreas Trojan
Vom römischen Erdkreis bis zur Sowjetunion: Die Idee des Imperiums ist bis heute lebendig und erinnert immer wieder an ihren größten Vollender - Kaiser Octavianus Augustus, der vor 2 000 Jahren starb. Ein Rückblick auf verschwundene Reiche.
Acta est fabula, plaudite!« - »Aus ist die Geschichte, applaudiert!« Das waren angeblich die letzten Worte des römischen Kaisers Augustus - vor nunmehr 2000 Jahren! Aber ist die Geschichte wirklich vorbei? Lebt sie nicht in den Büchern fort? Zum runden Todestag des ersten römischen Kaisers (14 n. Chr.) gibt es eine Menge interessanter Publikationen.

Augustus Ableben im damals biblischen Alter von 76 Jahren macht der Althistoriker Holger Sonnabend zum Ausgangspunkt seiner Rückschau. Augustus - eigentlich Octavian, Großneffe Julius Caesars und dessen Haupterbe - gilt allgemein als Friedensherrscher. In Wahrheit war er ein Meister der politischen Inszenierung. Und das blieb er bis in den Tod. In seinem Testament vermachte er den Bürgern Roms die gewaltige Summe von vierzig Millionen -Sesterzen! Das Volk liebte Augustus, und der Senat erhob ihn in den Rang eines Gottes. Sehr geschickt -beschreibt Sonnabend in »August 14« (Primus, 160 S., 19,90 Euro), wie eng Leben und Tod eines großen römischen Mannes verbunden waren - um so über den Tod hinaus Bedeutung zu haben.
Karl Galinsky, Professor für klassische Philologie, hat in seinem Buch »Augustus« (Philipp von Zabern, 224 S., 29,99 Euro) das ganze Leben des Herrschers im Fokus. In der Fülle von Augustus-Biografien zeichnet sich die von Galinsky durch das Arbeiten mit Gegensatzpaaren aus. Zum Beispiel schöpfte der Kaiser aus der Verbindung von Tradition und Innovation, egal ob das Politik oder Kunst betraf. Galinsky möchte auch nicht die Frage nach Gut und Böse stellen, sondern das Agieren des Augustus in seiner welthistorischen Dimension begreifbar machen.
Drei Altertumsspezialisten haben sich zusammengetan, um über die Biografie hinaus die Spuren des »göttlichen« Kaisers und seines Reichs in Geschichte, Kunst und Literatur zu verfolgen. Dabei wird die strategische Agenda sichtbar, die sich in seinen Herrschaftsformen, seiner Bildpropaganda und der Literatur seiner Zeit niederschlug (Ralf von den Hoff, Wilfried Stroh, Martin Zimmermann: »Divus Augustus. Der erste römische Kaiser und seine Welt«. C. H. Beck, 288 S., ca. 26,95 Euro; ET: März 2014).
Auf die »Pax Augusta« und die Schaffung eines impe-rialen Weltreichs unter Augustus legt der Althistoriker Jörg Fündling seinen Blick: Augustus einte per Gesetz, wo er einen konnte, er zögerte aber auch nicht, militärisch zuzuschlagen, wenn es das Gebot der Stunde verlangte. So bestand bald das Imperium aus »souveränen Gemeinden«, aber auch aus »folgsamen Fürsten«. Jörg Fündlings reich bebildertes Buch »Das goldene Zeitalter« (Primus, 160 S., 29,90 Euro) ist auch für interessierte Junghistoriker ab 15 Jahren geeignet.
Das gilt nicht minder für das Buch »Berufsziel: Römischer Kaiser« (Philipp von Zabern, 144 S., 16,99 Euro). Der Wissenschaftsautor Stephan Berry erzählt darin mit Witz und Augenzwinkern, wie man es zum gottgleichen Herrscher bringt; alles, was er schreibt, ist historisch verbürgt. Ein Blick in den »Bewerbungsratgeber« zeigt, worum es geht: Stichwort Dresscode - zu welchem Anlass trägt man welche Toga? Darf man sich als Gott verehren lassen? Darf man seine Verwandten umbringen lassen? Wie kommt eigentlich ein Kaiser zu Geld, und wie viel darf er besitzen? Berrys Buch ist eine amüsante, vergnügliche, aber eben auch informative Einführung in das römische Kaisertum.
Vom August 14 nach Christi in den August des Jahres 410 ist es ein weiter Schritt: Die Westgoten plündern und verwüsten Rom. Mischa Meier und Steffen Patzold lassen in ihrem Buch »August 410. Ein Kampf um Rom« (Reclam, 261 S., 12,95 Euro) Zeitgenossen wie Augustinus, Historiografen wie Otto von Freising und Historiker wie Edward Gibbon den Untergang des römischen Imperiums schildern.

Mit dem Expansionsdrang europäischer Mächte in der frühen Neuzeit begann eine neue Epoche von Weltreichen, die zwar mit der Kolonialzeit endete, deren globale Nachwirkung aber bis heute spürbar ist. Serge Gruzinski geht in seinem Buch »Drache und Federschlange« (Campus, ca. 380 S., ca. 34,90 Euro; ET: Mai 2014) zwei frühen Ereignissen europäischer Eroberungsbestrebungen nach, die nicht unterschiedlicher enden konnten: Auf der einen Seite stehen die Spanier unter Cortés, dem es im August 1519 mit wenigen Hundert Soldaten gelang, das Aztekenreich zu vernichten. Auf der anderen Seite brach ein halbes Jahr später eine portugiesische Expedition nach China auf, um eine Kolonialherrschaft zu errichten. Die Portugiesen scheiterten kläglich. Aber weshalb? Warum erfüllten sich die imperialen Träume der einen und die der anderen nicht? Diese Fragestellung beschäftigt den französischen Historiker, und er zieht bei seinen Überlegungen den Leser mit in den Bann.
Das »British Empire« hat spätestens mit der Phase der Dekolonisation aufgehört zu existieren. Um 1900 jedoch regierte Großbritannien ein Weltreich, das ein Viertel der Menschen und der Landmasse des Planeten umfasste. Wie es dazu kommen konnte, welche Auswirkungen dies auf die britische Mentalität hatte, und wie es heute um dieses Riesengebilde bestellt ist, behandelt der britische Historiker John Darwin in seiner Publikation »Das unvollendete Weltreich« (Campus, 482 S., 39,90 Euro). Darwin geht dabei nicht chronologisch vor, sondern untersucht anhand von Stichwörtern seine Entstehungsbedingungen: »Inbesitznahme«, »Krieg«, »Verkehr und Handel«, »Regierungsmethoden« - um einige Beispiele zu nennen. Der Leser kann so selbst die Mechanismen von Aufstieg und Niedergang des britischen Empires nachvollziehen.
Über ein ganz anderes Riesenreich mit imperialer Ausdehnung gen Osten schreibt die Geschichtsjournalistin Elisabeth Heresch: »Die Romanows« (Nicolai, 208 S., 39,95 Euro). Hier geht es um eine Dynastie, die Russland und sein Werden zur europäischen Großmacht 400 Jahre lang bestimmte. Neben Politik kommen bei Heresch auch die Charaktere der verschiedenen Herrscher zur Sprache, die wiederum das Selbstverständnis der Russen stark geprägt haben.
Zum Schluss sei noch ein ganz besonderes Buch in Sachen imperiale Träume vorgestellt. Reiche kommen und vergehen. Diese Tatsache ist jedermann einsichtig, nicht aber immer bewusst. Die DDR gibt es nicht mehr, ebenso wenig Jugoslawien, und auch die UdSSR ist perdu. Letzteres Gebilde behandelt auch Norman Davies in seinem Buch »Verschwundene Reiche« (Theiss, 958 S., 39,95 Euro). Doch der britische Historiker geht weit zurück: Die großen sagenumwobenen Reiche »Byzanz«, »Burgund« und »Aragón« lässt er wiederauferstehen, ebenso Staatengebilde im Osten Europas wie Galizien. Und auch »Ruthenien: Die Eintages-Republik« ist bei Davies zu finden. Immer verbindet der Historiker längst vergangene Geschichtsmomente mit der Jetztzeit. Wenn man sich in dieses über 900 Seiten starke Werk eingelesen hat, will man gar nicht mehr aufhören! Träume sind Schäume. Imperiale Traumwelten sind das auch - aber sie ergeben gewaltige, bunt schillernde Luftblasen!