Einige, vor allem amerikanische, Verlage erzielen heute schon mehr als 50 Prozent ihres Buchumsatzes mit E-Books. Aber auch von deutschen Verlagen hört man, dass der elektronische Umsatzanteil sich inzwischen im deutlich zweistelligen Prozentbereich bewegt. Ein neuer Markt etabliert sich, der rasant wächst, über den wir aber dennoch noch nicht so sehr viel wissen.
Die Emanzipation des Geschriebenen vom Trägermedium Papier ist ein irreversibler Prozess; soviel ist sicher. Aber was kommt dann? Bisher produzieren die großen Publikumsverlage in erster Linie Digitalisate ihrer Printprodukte. Neue Verlage wie dotbooks liefern originale E-Books, aber zumeist im konventionellen Format. Dabei wird die Entwicklung aber ganz gewiss nicht stehen bleiben. Der Verlag wird nicht nur seine Rolle als Händler mit bedruckten Papier aufgeben müssen und zum Anbieter von Inhalten (Content Provider) werden. Der Verlag der Zukunft wird, wenn er bei der Literaturproduktion weiterhin eine wichtige Rolle spielen will, auch zum Organisator interaktiver Prozesse zwischen Autoren und Künstlern und ihrem Publikum werden.
In der Kommunikationswissenschaft spricht man heute vom Prozessjournalismus (Liquid Journalism), aber es gibt genauso auch Prozessliteratur. Wenn Gerhard Polt seine Texte auf der Bühne vorträgt, lauten sie jeden Abend anders, je nach Umständen und Publikum, nur in Papierform waren sie bisher immer gleich. Künftig wird es möglich sein, den kreativen Prozess des Autors auch in Buchform mitzuverfolgen.
Das Prinzip Buch, wie es charakteristisch für die bürgerliche Gesellschaft war, wird sich auflösen. Fokussierung (des Autors auf sein Thema, des Lesers auf die Lektüre), Textlichkeit (in Abgrenzung zu anderen Kunstformen wie Film oder Kunst), Abgeschlossenheit (das Buch als geronnenes Produkt eines kreativen Prozesses) und Linearität (des Erzählens, des Rezipierens) werden nicht länger, jedenfalls nicht ausschließlich, die Produktion von Worturhebern definieren. Es wird sehr lange und ganz kurze Bücher geben, Bücher, die ihre Gestalt immer wieder verändern, Bücher, in denen Leser diskutieren, so wie das heute schon bei Wikipedia der Fall ist, einer Enzyklopädie, die längst alle anderen Nachschlagewerke hinter sich gelassen hat.
Es gibt Raum für Formen des Erzählens, die es in der Vergangenheit schwer hatten. Die Digitalisierung hat bereits eine ganze Reihe sehr erfolgreicher Magazine hervorgebracht wie z.B. Byliner, Atavist, The Magazine. In ganz neuen Formaten veröffentlichen sie Texte, die für Papierbücher zu kurz und für Papierzeitschriften wiederum zu lang sind. Es wird mit der Grafik experimentiert, mit der Einbindung von Materialen wie Bildern, Videosequenzen und natürlich mit der Interaktivität zwischen Autoren und Lesern. Auf der Selfpublishing-Plattform wattpad.com werden jeden Monat etwa 2,5 Millionen neue Geschichten hochgeladen. Die Plattform hat monatlich über 20 Millionen Besucher.
Was bringt die Zukunft? Nach dem E-Book ist vor dem E-Book. Wir sollten uns klar machen, dass es um sehr viel mehr geht als nur um die Substitution von Umsätzen mit Printprodukten durch Umsätze mit elektronischer Ware. Die Digitalisierung eröffnet uns unendlich viele neue Möglichkeiten. Sie revolutioniert nicht nur den Handel (Bedeutungsverlust des stationären Handels), das Verlagswesen (ein ganz neues Verständnis des Dienstleistungsangebots der Verlage) und die Beziehung zwischen Autor und Leser (Interaktivität statt linearer Rezeption). Sie revolutioniert auch die Produktionsbedingungen der Urheber und wird ihre Produkte langfristig vollkommen verändern.
Diesen Prozess so zu organisieren, dass das Ergebnis den Markteilnehmern, Urhebern wie Verwertern, auch in Zukunft wirtschaftlichen Erfolg verspricht, ist eine spannende Herausforderung.