Ich bekam einen Anruf von Dionen Clauteaux vom Verlag Albert René: Er tat ziemlich geheimnisvoll und verriet wenig. Er sagte, dass man einen Zeichner für die Zeit nach dem 35. Asterix-Heft suche, das gerade in Arbeit war. Er fragte mich, ob ich zu ein paar Tests bereit sei, und ich sagte ja, da habe ich gar nicht gezögert. Ich wusste, dass man schon mit anderen Zeichnern Kontakt aufgenommen hatte und dass Uderzo selbst seinen Nachfolger auswählen würde. Ich begann mit den Tests, die der zukünftige Texter, Jean-Yves Ferri, vorbereitet hatte. Und mir wurde klar, dass das kein leichtes Unternehmen sein würde. Meine Tests gefielen Uderzo, und Dionen sagte mir, ich solle schon das Heft 35 zeichnen, das Frédéric Mébarki [der langjährige Mitarbeiter Uderzos, der zunächst dessen Nachfolge antreten sollte, aber aufgab. Anmerkung der Redaktion] liegengelassen hatte.
Das hieß ein sofortiger Sprung ins kalte Wasser: Haben Sie gezögert, die Aufgabe zu übernehmen?
Das hieß vor allem völlig von vorn anfangen und dazu hoher Zeitdruck. An diesem Punkt habe ich tatsächlich gezögert. Ich wollte keine Arbeit beginnen, die ich nicht rechtzeitig hätte fertigstellen können. Ich wollte ja auch kein Asterix-Heft verpfuschen und es sollte doch ein absolut gelungenes Album werden. Es ist uns schließlich gelungen,weil alle Beteiligten sich ungeheuer eingesetzt haben. Ich konnte das nur schaffen, weil Dionen alles tat, um die Fristen hinauszuschieben und mit den Druckern riskante Verhandlungen führte. Weil Ferri mich unablässig unterstützte, Uderzo effiziente Anleitungen gab, die Koloristen Tag und Nacht arbeiteten. Ferri hat sogar an meiner Stelle die Aufgabe übernommen, den Farbdruck zu überwachen, damit ich Zeit gewinne.
Ihr Stil, Ihr Rhythmus, Ihr Humor sind dem von Franquin näher als Uderzo. Kann man sich als Künstler so weit verleugnen, dass man wie ein anderer zeichnet?
Ich bin es gewöhnt, meinen Zeichenstil an die Geschichte anzupassen die ich erzähle. So mache ich es seit Beginn meiner Karriere als Zeichner. Ich habe die Serie "Kid Lucky" [ein "Lucky Luke" für Kinder, Anmerkung der Redaktion] unter dem Pseudonym Pearce in einem mir persönlich ganz fremden Stil gezeichnet, nämlich eher mit klarer Linie wie bei Hergé, ebenso "Raj" zum Text von Wilbur. Seinen Stil zu ändern ist schwierig, aber ein ausgezeichnetes Mittel, um Neues auszuprobieren und sich die Ticks abzugewöhnen, die man unvermeidlich nach einigen Jahren hat. In einem Stil ganz ähnlich dem von Uderzo zu zeichnen war eine Erfahrung, die mich verändert hat. Ich hatte das Gefühl, dass ich mein Handwerk ganz neu lerne. Allerdings ist das nur dann eine positive Erfahrung, wenn man den Stil eines echten Meisters studiert.
Wie verlief die Überwachung Ihrer Arbeit durch Uderzo?
Er war anspruchsvoll, aber auch respektvoll. Er wollte sicher sein, dass ich dem Druck standhalten würde. Die Arbeitsbedingungen waren hart, aber eine gute Vorbereitung für die Herausforderungen dieses in der Geschichte des Comics einmaligen Unternehmens. Es ist das erste Mal, dass eine Serie mit dieser Bedeutung in andere Hände gelegt wird.
Sie sind eine Generation jünger als Goscinny und Uderzo. Was hat sich geändert in der Kunst, Comics zu zeichnen?
Die beiden gehören zu einer Pioniergeneration, die in einer Zeit strenger Zensur Comics für das breite Publikum schufen. Dann wurde die Zensur gelockert und die folgenden Generationen probierten neue Geschichten aus. Die Pioniergeneration hatte noch den Krieg erlebt und war gewöhnt, die Details der Bilder und Ideen sehr genau auszuarbeiten. Sie war ausdauernder und erreichte ein hohes Niveau, das heute schwer zu erreichen ist. Kunst speist sich aus Zwängen, und heute ist der Comic sehr viel weniger künstlerischen Zwängen ausgesetzt als früher. Heute kann man Geschichten problemlos über sehr viele Seiten hinweg erzählen. Die Zwänge sind ökonomischer Art, und es ist sehr schwer, sich mit seiner Arbeit in der immer größeren Produktion durchzusetzen. Es wird überproduziert und die Autoren suchen Stile oder Techniken, mit denen sie eine immer höhere Produktionsgeschwindigkeit durchhalten können.
Was sind Ihre Lieblingscomics?
Ohne eine bestimmte Reihenfolge zu wählen: Pepito (von Luciano Bottaro), Johann und Pfiffikus (von Peyo), Spirou (von Franquin), Gaston (auch von Franquin), Asterix, Lucky Luke, Chlorophyle (von Macherot), Jeff Jordan (von Maurice Tillieux), Corto Maltese (von Hugo Pratt), Adeles ungewöhnliche Abenteuer (von Tardi), Terry und die Piraten (von Caniff) , Tim und Struppi, Blake und Mortimer (von Edgar-Pierre Jacobs), die Comics von Altan – und viele mehr ...
Was bedeutete Asterix für Sie in Ihrer Jugend und was ist es für Sie heute?
Als Kind habe ich jedes Asterix-Heft mehrmals gelesen. Heute ist es ein Beispiel vollkommenen Erfolgs: Ein Comic der auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung nicht aus der Mode gekommen ist, das ist selten.
Man hat die Asterix-Hefte, die Uderzo nach dem Tod von Goscinny alleine machte, oft kritisiert. Wie finden Sie sie?
Ich finde das ungerecht gegenüber Uderzo, der alles dafür tat, daß Asterix trotz aller Schwierigkeiten weiterlebt. Uderzo ist einfach Opfer seines Erfolgs. Wenn die Leute Asterix ein bisschen weniger lieben würden, dann wären sie gegenüber Uderzo auch nicht so kritisch.
Das hängt von den Nachfolgern und den Verlagen ab. Aber ich habe nur wenige davon gelesen.
Der Erfolg von Asterix verdankt sich auch der besonderen Chemie zwischen Goscinny und Uderzo. Sie leben in den USA, der neue Asterix-Texter Jean-Yves Ferri in Frankreich. Wie verstehen Sie sich?
Wir kennen uns wenig, aber wir verstehen uns prächtig! Mir gefällt sein Zugang zu der Serie sehr, nämlich dass er wieder zu den Wurzeln von Asterix vordringen will. Die Zukunft wird zeigen, ob wir echte Freunde werden, aber ich hoffe es und die Voraussetzungen sind da. Ich lebe in den USA, aber dem Herzen und der Kultur nach bin ich Franzose und Europäer.
Haben Sie schon eine Idee für den 36. Asterix-Band?
Noch nicht, ich konzentriere mich ganz auf "Asterix bei den Pikten". Aber vielleicht kann Jean-Yves etwas dazu sagen.