Der Treffpunkt: Ein Hinterhof zwischen Elbe und Reeperbahn. Wo früher das Erotic Art Museum die Touristen anlockte, ist heute eine Baustelle − wie an so vielen Orten auf St. Pauli. Der Hamburger Stadtteil befindet sich im Umbruch, neben Prostitution, Kneipen und junger Clubszene macht sich immer mehr das Kapital breit: Gentrifizierung in Form von Neubauten mit teuren Eigentumswohnungen, Büros und schicken Hotels.
Nicht ohne Protest und nicht ohne Gegenentwürfe. Einer davon ist der Nochtspeicher in den Räumen des ehemaligen Museums. "Hier eröffnen wir einen Spielplatz für die Kultur abseits der Partymeile und Saufschneise Reeperbahn", versucht Tina Übel sich über den Lärm der Baumaschinen Gehör zu verschaffen. In dem 160 Jahre alten Backsteinbau, der ursprünglich eine Spirituosenfabrik beherbergte, wollen die Hamburger Autorin und ihre sechs Mitstreiter demnächst zu Musik, Tanz, Kunst und Literatur einladen. Ab dem 2. September soll es unter anderem mit Lesungen, Buchvorstellungen und Poetry Slams losgehen.
Bis dahin ist noch eine Menge zu tun, heute haben sich erst einmal rund ein Dutzend Medienvertreterinnen hier eingefunden. Der Anlass: Der mo media Verlag stellt seinen neuen Reiseführer "100% Hamburg" vor. Welchen besseren Ausgangspunkt könnte es dafür geben, als den weltbekannten Kiez auf St. Pauli. Tina Übel, die seit 20 Jahren auf der Reeperbahn wohnt, nimmt die Journalistinnen mit auf einen Spaziergang durch ihr Viertel, das noch in nachmittäglicher Ruhe vor sich hindöst. In den Biergärten auf dem Spielbudenplatz rücken die Kellner gerade erst die Tische und Stühle zurecht, nebenan auf dem Nachtmarkt, einem Wochenmarkt der bis 22 Uhr zum Feierabend-Einkauf einlädt, bauen die ersten Händler ihre Stände auf. Tina Übel empfiehlt im Vorbeigehen für das eine oder andere gepflegte Bier das "Sailors Inn" und die Kneipe "Zum Anker", die beide in ihren Langzeitstudien bestanden haben, weist auf die Esso-Tankstelle am Spielbudenplatz hin, die dank ihrer durchgehenden Öffnung längst eine feste Institution für Kiezgänger ist, und ohne die sie "längst verhungert" wäre.
Weiter abseits der Touristenpfade liegen viele weitere Kneipen, Cafés, das Postamt − ein „schrulliges Biotop, in dem das Herz von St. Pauli schlägt“ − und kleine Geschäfte, darunter das "Strips & Stories". Hans Ebert hat den Laden für Comic und Graphic Novel vor zwei Jahren eröffnet, "um gegen das Vorurteil anzugehen, dass Comics nur etwas für Kinder wären". Dass "Strips & Stories" im "100% Hamburg"-Führer als Shopping-Highlight auf St. Pauli empfohlen wird, macht sich bemerkbar. "Es kommen immer wieder Leute mit dem Buch in der Hand rein", stellt der Buchhändler fest. Tina Übel nimmt das Grüppchen weiter mit durch ihr Quartier, erzählt spontan vom dem, was sie hier im Alltag erlebt, mit kurzen Zwischenstopps bei ihrer Tango-Schule und im Art Store St. Pauli, einer kleinen Galerie für bezahlbare Kunst. Die Einblicke sind für Hamburger genauso interessant wie für Besucher, für die die Reiseführer in erster Linie gemacht sind.
"Ich denke vor allem an Leute, die einen Wochenendtrip machen und dabei nicht nur die bekannten Sehenswürdigkeiten erleben, sondern auch angesagte Cafés, Bars, Restaurants und besondere Läden entdecken wollen", erklärt Verleger René Bego, der nach seinem Marketingstudium mo media gegründet hat und Anfang der 90er Jahre mit seinen "100%"-Guides in den Niederlanden an den Start ging. Vor anderthalb Jahren ist Bego von Breda nach Deutschland übergesiedelt und hat eine Dépendance in Berlin aufgebaut, um die "100%"-Reihe auch hier zu vermarkten. Dabei setzt er auf die Kombination aus Buch im Taschenformat und mobilem Content: Mit jedem "100%"-Reiseführer kommt eine App, die alle Routen aus dem Buch offline auf dem Smartphone anzeigt.