Workshop der Frankfurt Academy in Amman

"Unsere Kinder haben Alpträume"

27. Februar 2015
von Börsenblatt
Die Frankfurt Academy hat in Zusammenarbeit mit dem Mediacampus und dem Goethe Institut in Amman einen Workshop zum Thema "Managing a Modern Publishing House" durchgeführt. Nadja Kneissler war als Referentin dabei und schildert auf boersenblatt.net die Probleme mit denen Verleger im Nahen Osten zu kämpfen haben. Auch die Buchtage Berlin, die morgen beginnen, stellen sich die Frage: "Welche Freiheit braucht das Buch?"

Schon vor dem Start des Workshops fließen die ersten Tränen. Es sind Freudentränen. Bärtige Männer liegen sich in den Armen, klopfen sich immer wieder auf die Schultern, sind tief berührt. Sie kennen sich − aus ihrer Heimatstadt Damaskus. Dort waren sie Freunde und Kollegen, aber wegen des Bürgerkriegs mussten sie Syrien verlassen. Jetzt leben sie in Kairo oder in Dubai, versuchen, dort ihre Verlage weiter zu führen und sich eine neue Existenz aufzubauen.

Verlegerfortbildung in Amman

Bei der Vorstellungsrunde zur Verlegerfortbildung in der jordanischen Hauptstadt Amman stellen wir fest, dass ein Teilnehmer nicht kommen konnte − es gab offensichtlich Visaprobleme. Für uns Referenten und die Organisatorin Iris Klose ist das eine Welt, die wir nur aus den Nachrichten kennen − jetzt sind wir mittendrin. Wir sollen im Auftrag der Frankfurt Academy, des Mediacampus und des Goethe-Instituts und finanziell gefördert vom Auswärtigen Amt, in Amman 28 Verlegern und Verlegerinnen aus Algerien, Palästina, Jordanien, Syrien, Ägypten und Irak zeigen, wie bei uns in Deutschland Verlagsstrategien und Verlagsprogramme entwickelt werden, wie unser Marketing funktioniert und welche Vertriebswege wir nutzen, wie wir mit unseren Autoren zusammenarbeiten und den Lizenzein- und verkauf organisieren, und wie Messeauftritte geplant werden. Im Gepäck haben wir jede Menge Materialien, eine ausgefeilte Powerpoint-Präsentation − und ein bisschen Nervosität, ob wir denn richtig liegen mit unserer Vorbereitung.

Es werden drei Tage voller neuer Erfahrungen. Wir gewöhnen uns schnell an den ständigen Wechsel zwischen Headsets und Mikros, der nötig ist, um mit Simultandolmetschern einen Workshop in englischer Sprache zu halten, der in Arabisch verläuft. Die Teilnehmer sind unglaublich motiviert, sie hören zu, sie machen jede Teamaufgabe mit, sie stellen viele Fragen – und immer wieder kochen auch die Emotionen hoch. "Das ist sehr interessant, wie perfekt ihr euer Vertriebssystem organisiert habt", sagt Ahmed Zahran, Chef der jordanischen Verlegerunion, "aber bei uns müssen wir in jedem arabischen Land die Bücher erst im Innenministerium zur Zensur vorlegen und oft Wochen auf die Freigabe warten, sofern wir sie bekommen. Jedes Land hat eine andere Währung, ein anderes Preisniveau − wie soll das bei uns funktionieren?" In der arabischen Welt sind die meisten Verleger gleichzeitig Verleger, Buchhändler und Vertriebsdienstleister − einen Zwischenbuchhandel gibt es nicht. "Wir arbeiten an Lösungsvorschlägen."

 

Bücher auf der Straße

Am Abend besuchen wir gemeinsam die größten Buchhandlungen in der 2-Millionen-Stadt Amman: es sind Straßenläden, die Bücher werden im Freien präsentiert, neben einer arabischen Ausgabe von "Twighlight" liegt Hitlers "Mein Kampf". Die einzige wirklich große Buchhandlung in einem Haus wird von allen "Bibliothek" genannt − hier stapeln sich die Bücher bis unter die Decke, doch man versichert uns, dass der Besitzer jedes gewünschte Buch findet. Einer der drei Räume ist für Koranausgaben reserviert.

Am zweiten Tag arbeiten wir an Zielgruppendefinitionen, die Teilnehmer zeichnen Personas − und plötzlich haben wir Bilder an der Wand: Eine Studentin in streng traditioneller islamischer Kleidung. Im nächsten Bild Bomben, die vom Himmel fallen, Geister, die Kinder in ihren Alpträumen verfolgen, ein Schutzhaus. "Unsere Kinder haben Alpträume und Ängste. Wir möchten sie mit Büchern in eine andere Welt entführen", erklärt Zeead aus Syrien die Persona, die seine Arbeitsgruppe entwickelt hat. "Die Kinder sind unsere wichtigste Zielgruppe". Die Bilder symbolisieren für uns das Spannungsfeld, das für uns Referenten so ungewohnt ist, für die Teilnehmer dagegen Alltag.

"Um meine Bücher zu vertreiben muss ich in die verschiedenen Länder reisen", erklärt mir Ahmed, ein Palästinenser, der in Jordanien lebt. "Aber weil drei meiner Brüder in der PLO sind, darf ich in einige Länder nicht einreisen, ich bekomme kein Visum".

Samir aus Ost-Jerusalem darf nicht in die Westbank reisen. Sein Vertriebsgebiet ist winzig − also startet er mit neuen Konzepten. Er hat einen eigenen Radiosender gegründet, er fährt mit einer mobilen Bibliothek zu den Schulen und veranstaltet dort Lesungen, er hat jede Menge Ideen und versucht, seine Kollegen im Workshop zu mehr Kooperation zu bewegen.

Den drei Frauen gelingt es immer wieder, die Diskussionen, die oft lautstark und emotional aufgeladen verlaufen, einzubremsen − es ist beeindruckend, wie sie sich Respekt verschaffen und ihre Meinung vertreten. Fatima, eine Syrerin, die jetzt in Dubai lebt, will eine Zeitung nur für Kinder gründen. Sie ist Autorin, Verlegerin, Journalistin. Wenn wir erklären, dass wir für die Festlegung von Bestsellern in unseren Verlagshäusern Meetings mit Vertrieb, Marketing und Programmbereich abhalten, lächelt sie und sagt: "Dann gehe ich mit mir selbst einen Kaffee trinken und bespreche das mit mir."

Das Internet als Chance

Bilal tippt während des Workshops immerzu Dinge in seinen iPad. Er ist CEO der Firma E-Kitab (E-Book auf Arabisch). Die Plattform soll in Kürze online gehen, und er verhandelt am Rande des Workshops mit seinen Kollegen: Sein Ziel ist es, all ihre Bücher in E-Books zu konvertieren und für sie anzubieten. Momentan arbeitet er am Bezahlvorgang, sobald das steht, geht es los. Begeistert erklärt er mir, dass er damit alle Grenzprobleme überwinden kann. "Das Internet ist unsere Chance", sagt er. "Es hat den arabischen Frühling ermöglicht, und es wird uns erlauben, Bücher in alle Winkel der arabischen Welt zu verkaufen − elektronisch." Seine Firma hat ihren Sitz auf den Virgin Islands, seine beiden Mitarbeiterinnen haben langes Haar und tragen High Heels und enge Jeans. Ein Verleger aus Jordanien, der traditionelle islamische Kleidung trägt und mir nicht die Hand gibt zur Begrüßung, weil ich eine Frau bin, sitzt neben den beiden. Ich frage mich, ob er das alles so in Ordnung findet...

Immer im Hintergrund: die politische Situation

Bei vielen Diskussionen geht es nicht nur um verlegerische Fragen − die Themen sind so eng verwoben mit der politischen Situation, dass sich das nicht trennen lässt. Immer wieder werden wir Referenten um Lösungsvorschläge gebeten − es ist ein Balanceakt, die politischen Verknüpfungen von den verlegerischen Fragestellungen zu lösen.

Fast alle Verleger haben uns Bücher aus ihrem Programm mitgebracht. Sie sind stolz auf die Qualität, die Farbigkeit, die teilweise sehr teure Ausstattung. Die meisten von ihnen, das spüren wir deutlich, sind Verleger aus Leidenschaft und Überzeugung. Erstaunen ist in ihren Minen zu lesen, wenn wir von Zielgruppenanalysen, Kalkulationen und Data Mining sprechen − das ist nicht ihre erste Priorität. Auch Salwa, eine junge Verlegerin aus Jordanien, die Kinderbücher macht und diese parallel bereits als App mit Audiofunktion anbietet, will vor allem eines: "Meine Bücher sollen schön sein und Freude machen", sagt sie.

Einer der Verleger ist bei allen Diskussionen sehr entspannt. Er verlegt ausschließlich den Koran. Seine Auflagenzahlen will er uns nicht verraten − aber er gilt als der größte und reichste Verleger im Teilnehmerkreis.

Während Thilo Schmid vom Carlsen Verlag eine Marketingkampagne für Twighlight vorstellt − mit Facebook-Fangruppen, Gewinnspielen, Online-Marketing, Point-of-Sales-Aktionen, Valentinstag-Geschenkaktionen − beobachte ich den Koran-Verleger. Er ist voll konzentriert. Ob es demnächst ähnliche Aktionen für sein Programm geben wird?

Am Ende des Workshops gibt es ein großes Dankeschön von seiten der Teilnehmer − und Organisatorin Iris Klose ist zufrieden. Ihr ist es immer wieder gelungen, mit viel Einfühlungsvermögen alles in die richtigen Bahnen zu lenken. Wir nehmen viele Eindrücke mit nach Hause − aus einem Wüstenland, geprägt von jahrtausendealten Kulturdenkmälern und einer Gesellschaftsstruktur, in der das Geschichtenerzählen  traditionell viel wichtiger war als das Lesen von Büchern. Wir haben tiefen Respekt vor den Verlegern, die wir kennengelernt haben und die in einer spannungsgeladenen Ecke der Welt alles tun, um Bücher als Kulturgut zu verbreiten.