Gastspiel von Jochen Jung

Mutlose Verleger

14. März 2013
von Börsenblatt

Nicht der Verleger, die Marktforschung bestimmt das Verlagsprogramm. Die altbewährte Folge Autor - Verlag - Buchhandel - Leser stimmt nicht mehr, meint Jochen Jung. Und fragt sich, wo eigentlich der Mut der Verleger geblieben ist. 

So lange ist es noch gar nicht her, dass ich zum ersten Mal las, das Berufsbild des Lektors habe sich fundamental geändert: Es handle sich da jetzt um einen marktorientierten, vertriebsversierten, werbeaffinen Textmodulator, der als Bindeglied zwischen Publikumserwartung und Autorenhoffnung Entscheidungsprozessen zuarbeitet und Rückmeldungen von oben in Vorwärtsstrategien für unten um- und weiterformuliert.

Oder so ähnlich. Da saß ich, den Bleistift in der Hand, über das Manuskript gebeugt − das immerhin bereits ein Typoskript war, wenn nicht sogar schon ein Computer­ausdruck − und hatte das starke Gefühl, gerade irgendwo den Anschluss zu verpassen. Es war wie auf einem zugigen Bahnsteig im Winter, während man hechelnd dem Zug hinterhersieht, den man gern noch erwischt hätte. Das muss ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als die Welt um mich herum beschlossen hatte, dass der korrekte Konjunktiv der indirekten Rede so etwas Ähnliches ist wie weiße Socken.

Es war auch die Zeit, in der man endgültig begriffen hatte, dass es keinen Sinn mehr machte, aus einlangenden Manuskripten jene seltenen herauszufischen, die einem gut zu sein dünkten, sie den Buchhändlern anzuvertrauen (und den Rezensenten) und dann gespannt zu warten, was das pp. Publikum wohl dazu sagen würde. Man hatte schließlich Erfahrungswerte, das Spiel ging doch nicht jedes Mal von vorn los, es musste sich doch herausfinden lassen, worauf dieses Publikum (das dabei vom Leser zum Kunden mutierte), ohne es zu wissen, wartete. Und so verwandelte sich der Lektor vom Selektor zum Detektor, und das Publikum jauchzte an den Tischen der Buchhandlungen, wo sie genau das fanden, was sie schon immer lesen wollten. Bestsellerlisten bestätigten hinterher, wie recht alle gehabt hatten.

Nun gut, ich übertreibe ein wenig. Heute denken zwar tatsächlich einige, der Zug, den ich damals verpasst hatte, rolle gerade wieder rückwärts in den Bahnhof zurück (aber vielleicht träumen sie auch nur davon), die meisten aber haben natürlich längst verstanden, dass in unserer Branche kein Buch mehr auf dem anderen liegt. Das heißt, die altbewährte Kette Autor-Verlag-Buchhandel-Leser betreffend: Die Autorin, der Autor, so clever sie sich auch immer zwischendurch der Öffentlichkeit offerieren, sind nach wie vor die glücklichen armen Schweine, die die richtigen Wörter zu den richtigen Sätzen zusammenzutrüffeln versuchen. Und auch die Leserin, der Leser sind immer noch bereit, Geld dafür auszugeben und Abende und Nächte dafür zu opfern, dass man ihnen Bären aufbindet, nur weil sie hoffen, dass die sich als wunderbare Tanzbären entpuppen, denen man stundenlang zusehen mag.

Und die Buchhändlerin? Und der Verleger? Über Erstere diesmal kein Wort. Sie, die neben der Trüffel auch den Knofel im Regal haben muss, ist oft genug die eigensinnige Marketenderin und Mutter Courage des Buchhandels. Aber die Verleger? Wie sieht ihr Berufsbild heute aus? Wo zeigen sie Mut? Sie, die das Recht und die Pflicht haben zu sagen: Dies wird ein Buch bei uns, dies aber nicht − wie sieben sie aus, was bewegt sie, was treibt sie an, wie individuell meinen sie, sein zu dürfen? Wie souverän fühlen sie sich noch im Markt?