Interview mit Elke Rutzenhöfer

"Der Stoff hat ihn gereizt"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Wie gewinnt ein religiöser Verlag Belletristen wie Arno Geiger und Wladimir Kaminer als Autoren? Im Interview gibt Elke Rutzenhöfer, Programmleiterin der Edition Chrismon, Auskunft über die "Schiene Literatur und Religion".

Zsusza Bánk, Alina Bronsky, Navid Kermani, Sibylle Lewitscharoff, Thomas von Steinaecker – wie gewinnt man bekannte Gegenwartsautoren dafür, über das Thema Wunder zu schreiben?
Das Thema ist an uns herangetragen worden, und zwar durch die Initiative eines Buchhändlers. Die Kontakte hat die Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau angebahnt, aber ich habe sofort begeistert zugesagt, die Texte der 16 Autoren bei uns zu veröffentlichen. Wir haben ja auch sonst Autoren wie Wladimir Kaminer oder Roger Willemsen ermutigt, bei uns zu schreiben. Und dass sie bei uns andocken, hat den Grund, dass wir sehr bewusst die Schiene Literatur und Religion pflegen.

Eine nicht gerade alltägliche Verbindung – was reizt die Schriftsteller?
Kaminer reizte zum Beispiel die Idee, die literarische Kraft in vielen Bibeltexten in die heutige Zeit zu übertragen. Er war zunächst einmal verblüfft und amüsiert zugleich, dass er überhaupt gefragt wird, und hatte dann einen Heidenspaß an der Sache, im wahrsten Sinne des Wortes. Vor zweieinhalb Jahren haben wir ja begonnen mit dem Projekt „Das Alte Testament für Kinder nacherzählt“. Arno Geiger etwa, katholisch sozialisiert, hatte sich nach seinem letzten großen Erfolg zurückgezogen und die Figur des Jona ausgesucht. Der Stoff hat ihn gereizt: Jona ist ein rebellischer Prophet mit Wutanfällen, ein hyperaktiver Junge.

Spielt es da eine Rolle, dass hinter der Edition Chrismon das evangelische Magazin „Chrismon“ steht?
Die moderne Ästhetik von »Chrismon« kommt bei vielen Literaten schon gut an. Sie wissen dann gleich,  dass das evangelisch geprägte Christentum keineswegs verstaubt daherkommen muss, sondern lebendig sein kann.

Wie lernen Sie die Autoren kennen?
Thomas Brussig zum Beispiel habe ich bei einem Empfang des Berliner Bischofs kennengelernt, wir kamen ins Gespräch, und Brussig war sehr neugierig.  Ich war nachher begeistert von seinem Text über den Turmbau zu Babel und die Sprachverwirrung, der war von einer solch theologischen Tiefe, wie sie viele gestandene Theologen nicht erreichen.

Sind Sie selbst Theologin?
Ja, ich habe in Berlin evangelische Theologie und Germanistik studiert und über den Kirchenvater Augustinus promoviert. Aber ich hatte schon immer den Zugang zur Literatur – bei der Josephsgeschichte etwa denke ich gar nicht groß an die Bibel, sondern an Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“.

Und was lesen Sie am liebsten privat?
Vor allem Romane, gerne amerikanische,  auch Lyrik. Krimis schaue ich mir lieber als Verfilmung an. Ich lasse den Tag gerne mit Literatur beginnen – ich lese gern frühmorgens vor dem Laufen.

 

"Wunder". Edition Chrismon, 208 Seiten, 14,90 Euro