AKEP-Jahrestagung, der Nicht-Wirklich-Live-ticker

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Ist Sascha Lobo echt? Kickt die Buchbranche zu wenig? Wie schafft man es, Aufmerksamkeitsenergie in Monetärenergie umzuwandeln? 16 Stunden mit protoType-Bloggerin Sonja Vogt in Berlin.

8h, im Zug nach Berlin

Ha, dritter Meilenstein! AKEP-Jahrestagung! Ich bin nicht so oft bei Tagungen, außerdem interessiert es mich, ob Sascha Lobo schon digitale Kopien von sich hat anfertigen lassen, so oft, wie er im Internet präsent ist. Obwohl, Berlin, das wird schon the one and only SL sein. Ich finde, Sascha Lobo hat endlich mal ein Kürzel verdient, wie ein französischer Intellektueller. Er liest sich übrigens auch besser als ein französischer Intellektueller. Tod des Autoren, anyone? Ah, die Neunziger!

9h, im Zug nach Berlin

Im Zug nach Berlin lässt sich ganz gut die Endgeräte-Melange des Business-Proletariats studieren: Viel iPad, viel Smartphone, Zellulosebasiertes ist aber klar in der Überzahl. Das ist dann wohl die Ausgangslage für das, was später kommt.

11h, Plenarsaal

SL sagt viele bedenkenswerte Dinge, die er therapeutisch mit schönen historischen Bildern belegt, und sogar sein schlecht gefärbter Puschel hat noch einen kleinen Cameo-Auftritt in der Argumentationskette.

Ach so, und er will einen eVerlag gründen. Ach was. Schade, dass ich nie etwas Längeres zustande kriege als Kolumnen und Konzepte! Wo doch der Rowohlt Verlag in Zukunft öfter nein sagen will, wie der Herr mit dem roten Schal später im Panel erzählt. Ich stellte mir kurz vor, wie der Verlag in einer Gruppentherapie sitzt, Thema: „Nein sagen lernen".

12h Plenarsaal

Ein Panel zum Thema ePiraterie. Alle Teilnehmer argumentieren routiniert von ihrem Standpunkt aus (Verlag will Bezahlung, Leserin will gutes Produkt, Pirat will nicht missverstanden werden), außer Frau Passig, die elegant auf mehreren Standpunkten steht und die anderen dazu anregt, dies der Differenzierung willen auch zu tun. Ich bin ebenfalls ein Zwitter aus Urheber und User (U2) und außerdem Passig-Fangirl, deshalb scheint mir, dass das genau den Finger in die Wunde legt. Stichwort Fight Club.

Aber bevor der Mann von der Urheberrechtsverstößeverfolgerorganisation zugibt, dass die Drohtrailer der Filmindustrie die zahlende Kundschaft beleidigen, müsste uns schon der Himmel auf den Kopf fallen. Gehört halt auch nicht zu seinem Jobprofil - sinnvolle Vorschläge zur Problemlösung allerdings auch nicht.

Was soll's, Diskussionen über Urheberrecht erinnern irgendwie an den Stand-Off in Reservoir Dogs. Die Diskussion war dann eben auch zu Ende, aber die Beute hat keiner gekriegt.

14.30 Seminarraum

Jetzt an die Arbeit: ProtoTYPE goes Room Session, freundliche Menschen kommen vorbei und fragen, was geht. Wir erfahren, dass ein großer Wörterbuchverlag eine App für 80 EUR im Sortiment hat, die tatsächlich Leute kaufen, ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Stimmt aber wirklich. USP: Man kriegt für den Preis über eine Million Wörter aufs iPhone geschoben. Unterschiedliche! Will haben.

Später präsentieren noch Studenten ein paar ProtoTYPE Bonus Tracks und die Buchhändler-Toolkit-Gruppe erzählt, dass sie praktisch alles fertig haben und aus Langeweile noch ein Thema extra bearbeiten. Streber. Haben die keine Hobbys?

15.30 Seminarraum

Wir kriegen jetzt Hot Spots auf der Frankfurter Buchmesse zugewiesen, was auch immer das ist. „Sonja Vogt war hier: Hot Spot Mobile auf der Frankfurter Buchmesse". OK, nehm ich. Dürfen wir Booth Babes mitbringen? Die machen sich doch bestimmt gut auf dem Hot Spot.

20h Tucher am Brandenburger Tor

Das Interieur würde die Architekten in meinem Bekanntenkreis in den Selbstmord treiben. Die Säulen! Aber: lecker Essen; und die Branche beweist ihre Trinkfestigkeit. Ich finde keinen Partner für das Kickerturnier. Erst denke ich, keiner will mit mir spielen - ich bin auch im Sportunterricht schon als letztes gewählt worden - aber dann stelle ich fest, dass sowieso nur Spurenelemente der Anwesenden teilnehmen. Ich befinde mich halt nicht in der Design- oder Computerbranche, wo Kickern gleich nach Clubmate Trinken und Atmen kommt. Mein Tipp aus der Branchenfremde: Mehr Kickern! Echt! Sonst wird das nie was mit der Elektronik.

23.30h im Zug nach Hamburg

Bei der Nachlese stelle ich fest, dass ich im Dienst für ProtoTYPE leider die interessantesten Veranstaltungen verpasst habe und dass, wenn ich es recht bedenke, Frau Passig und Herr Lobo bislang deutlich mehr Aufmerksamkeit als Geld von mir gesehen haben für ihre ganzen Texte. Die beiden haben zum Glück Hybridantrieb und können außerdem Aufmerksamkeitsenergie in Monetärenergie umwandeln, was allgemein als das Modell der Zukunft gilt. Allerdings: Aufmerksamkeit ist eine endliche Ressource im Gegensatz zu Geld, wo plötzlich ungeahnte Mengen irgendwo auftauchen können. Mehr als 16 Stunden wache Zeit ist nicht drin, auch nicht aus dem Eurofonds. Das reicht höchstens für 320 KVE am Tag (KVE = Katzenvideoeinheiten). Was uns das sagt? Ich weiß noch nicht. Aber ich arbeite dran.

 

Sonja Vogt studierte Kulturwissenschaft, deutsche und englische Literatur in Bremen und Cambridge. Sie war einige Zeit am Theater tätig, bevor sie anfing, interaktive Ausstellungen zu konzipieren. Heute beschäftigt sie sich mit Inhalten und Interaktionen in unterschiedlichen Medien. Sie hatte noch nie etwas mit der Buchbranche zu tun, mag aber neue Herausforderungen insofern man sie interaktiv gestalten kann.