Leipziger Buchmesse

"Die Funktionäre wurden abwechselnd rot und weiß"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Donnerstagabend war ein Höhepunkt im umfangreichen Tranzyt-Programm, dem Osteuropa-Schwerpunkt der Leipziger Buchmesse. Im Polnischen Institut mussten eilig Stühle herbeigeschafft werden: Äußerst reger Andrang herrschte bei der Diskussion zwischen deutschen, ukrainischen und weißrussischen Autoren und Übersetzern.
Messedirektor Oliver Zille freute sich in seiner Begrüßungsrede über den großen Andrang im Polnischen Institut am Leipziger Markt. Für all jene, die dem vorausgegangenen Zwiegespräch zwischen Manfred Mack (Deutsches Polen Institut Darmstadt) und Tranzyt-Kurator und Übersetzer Manfred Pollack beigewohnt hatten, gab es eine tröstliche Botschaft: Trotz der verschwindend geringen Anzahl ins Deutsche übersetzter belarussischer und ukrainischer Autoren zeige sich schon jetzt, dass nachhaltige Kooperationen angestoßen wurden: In den nächsten Jahren sei mit einem deutlichen Anstieg der Übersetzungen zu rechnen, so Zille.
Der Abend im Polnischen Institut verlief geordnet, aber nicht nach Plan – was kein Nachteil war: Auf dem Podium saßen die ukrainische Autorin, Journalistin und Übersetzerin Natalka Sniadanko (1973) und der Präsident des belarussischen PEN-Clubs Andrej Chadanowitsch (1973). Die Moderation übernahm Manfred Pollack, der nicht bloß für die Macher der deutsch-polnisch-ukrainischen Zeitschrift „Radar“ eine Lanze brach, sondern auch den Übersetzer Thomas Weiler spontan aufs Podium bat, den er im Publikum ausgemacht hatte. Die Macher von „Radar“ seien ein mustergültiges Beispiel dafür, wie sehr es auf „einzelne“ engagierte Akteure im Bereich der Übersetzung und beim Tranzyt der Kulturen ankomme. Weiler, der lange Zeit in Minsk verbracht hatte, gehört zum Übersetzerteam von „Radar“ und dolmetschte am Donnerstagabend für Chadanowitsch, dessen Gedichte er für die Sonderausgabe des Magazins übersetzt hatte. Die Ausgabe liegt unter anderem in Halle 4 während der gesamten Leipziger Messe zur Mitnahme aus. Auf dem Podium fehlte Malgorzata Buchalik (Polen), die sich erkältet hatte.

Gesprächsgegenstand war die Mittlerrolle Polens bei der Vermittlung der Literatur und Kultur seiner östlichen Nachbarn. Die pro-europäische Haltung Polens und die gut geknüpften Netzwerke der Grenzregionen kamen zur Sprache, von denen die Deutschen noch einiges lernen könnten, so Pollack. Das Verdienst Polens wurde auch in einer Anekdote des belarussischen Schriftstellers Chadanowitsch deutlich: Ausgerechnet im Milosz-Jahr 2011 seien in Minsk Lesungen über den multinationalen Literaturnobelpreisträger ohne die massive Unterstützung von polnischen Kulturfunktionären nicht möglich gewesen: „Sonst hätten mit Sicherheit keine weißrussischen Autoren auf dem Podium gesessen“, deutete Chadanowitsch an. Der hatte bereits im Vorfeld der Messe nicht mit Kritik an der politischen Führung seines Landes gegeizt. „Die Funktionäre saßen in den Zuschauerrängen und wurden abwechselnd weiß und rot“, spottete der Dichter. Milosz hatte der Volksrepublik Polen den Rücken gekehrt und den autokratischen Charakter der Regierung in „Verführtes Denken“ entlarvt.

Der Ankündigung Pollacks, es gebe in der Ukraine und in Weißrussland für deutsche Literaturliebhaber „viel zu entdecken“, wurde entsprochen. Chadanowitsch trug zwei Gedichte vor (unter anderem über einen Flohmarktbesuch in Deutschland), Natalka Sniadanko las zuvor aus einem bislang nur in der Ukraine erschienen Roman, ein Abdruck des Fragments findet sich in der aktuellen Ausgabe von „Radar“.
"Vorhang auf" hieß es es aber auch im Anschluss an die Veranstaltung: Bei einem großen Empfang hatten die Gäste die Möglichkeit, bei polnischen Delikatessen miteinander ins Gespräch zu kommen und neue Kontakte zu knüpfen.