Aufbau-Haus in Berlin

Marktplatz und Generationenhaus

30. September 2011
von Börsenblatt
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit freut sich: "Wir sind Stadt der Autoren, aber auch der Verlage", sagte er  bei der Einweihung des Aufbau-Hauses am Berliner Moritzplatz. Elisabeth Grün war dabei und hat Stimmen und Stimmungen eingefangen.
Eigentlich sei es, so schmunzelt Buchhändler Ben von Rimscha, die dritte Eröffnung des Hauses, in dem auch seine Buchhandlung angesiedelt ist. Offiziell aber war der Empfang gestern Abend Auftakt:  Als die Sonne über Berlin unterging, feierten mehr als 600 Gäste mit den Verlagsmitarbeitern, darunter Autoren, Journalisten, Kollegen, Übersetzer und Agenten. Zwei Tage dauerte die öffentliche Einweihung des Aufbau-Hauses am heutigen Freitag und morgigen Samstag. Mit zahlreichen kreativen Aktionen stellt das Aufbauhaus sich jetzt vor (Programm unter www.aufbauhaus.de/veranstaltungen).

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, begrüßte die Entwicklung des Standorts als "wichtigen Impuls", Berlin "als Literaturstadt zu etablieren: Wir sind Stadt der Autoren, aber auch der Verlage." Sein Auftritt beim Festakt mag als Indiz dafür gelten, dass hier möglicherweise gerade ein dringend benötigter Dialog implementiert wird zwischen der (den Geldfluss) lenkenden Politik und den ambitionierten großen wie kleinen Unternehmern, die das Projekt auf Realitätstauglichkeit an diesem nicht unproblematischen Ort täglich prüfen müssen. Berlin ist ja seit Langem schon Hauptstadt der Kreativen, allein der Geldfluss geht an vielen von ihnen, wenngleich sie wertvolle Anstöße liefern, schlicht vorbei. Dafür, auch Wirtschaftszweige mit Käufer- und Förderpotenzial in die Stadt zu ziehen, tut die Politik bislang offenbar wenig.

Der Eigentümer und Finanzier des Hauses, Matthias Koch, bekannte sich in seiner Rede deutlich zu dem Mischkonzept von Kunst, Handel und Sozialem. Von den Unterstützern her sei das Aufbauhaus ein rot-grünes Projekt, eine typische Kreuzberger Mischung von Groß und Klein. Man habe niedrige Mieten angesetzt und langfristige Verträge mit den Mietern geschlossen. Spontan quittierte das Berliner Publikum diese Bemerkung, die als Bekenntnis gegen die viel kritisierte Gentrifizierung vor Ort aufgefasst wurde, mit einhelligem Applaus.

modulor-Geschäftsführer Andreas Krüger lobte das politisch starke Engagement, das es – gegenüber den Mitbewerbern etwa aus der Lebensmittelindustrie – erleichtert habe, sich mit dem jetzigen Konzept am Moritzplatz anzusiedeln. Der Grundidee eines kleinen Marktplatzes entspräche, dass sich hier neben den Wirtschaftsunternehmen auch soziale Einrichtungen wie der Kindergarten auf dem Gebäudedach oder das Theater Aufbau Kreuzberg befänden. Im kommenden Jahr wolle man noch einmal so richtig loslegen: „Hier werden sich noch viele Kleinunternehmen ansiedeln.“

Die von Koch und den von ihm viel gelobten Mitstreitern intendierte Internationalität, der Austausch mit jüngeren Generationen und anderen Wirtschaftszweigen dokumentierte sich auch beim Presserundgang durchs Haus: Das Innere des Gebäudes bildet der alte Bechstein-Bau aus 70er-Jahre-Waschbeton; seinerzeit residierte dort die Klavierfabrik. Um diesen Trakt herum wurde der Neubau errichtet. Wichtiger Partner bei der Gebäudekonzeption ist modulor, ein Vertrieb von Kreativität anregenden Materialien für den Modellbau. Das von Christof Struhk initiierte und weltweit rund 68.000 Stammkunden zählende Versandunternehmen operiert allein in Berlin und an dieser Stelle stationär; die 6500 Quadratmeter des Geschäfts in der Gebäudemitte sind umgeben von den kleineren Unternehmen überwiegend der Kreativindustrie, Mietern des Gebäudes: Grafikunternehmen, mit einer Goldschmiede, einem Mosaikleger und einer Druckerei, in der man „sogar eine Wohnungstür mit Motiven bedrucken lassen kann“ (so Marc Piesberger von modulor), auch altes Handwerk.

In einem eigens hergerichteten Raum ist die Imago 1|1, die in den 70ern von dem Physiker Werner Kraus und dem Künstler Erhard Hößle entwickelte größte begehbare Kamera der Welt, zu bestaunen – und zu nutzen: 340 Euro kostet ein Selbstporträt im Großformat. Die nicht ganz lebensgroßen Schwarz-Weiß-Abbilder Peter Sloterdijks und Marie Schraders etwa hängen bereits dort an den Wänden. Und die weltweit erste Galerie für Kunst der Sinti und Roma befindet sich ebenfalls unter dem Dach des Aufbau-Hauses; derzeit präsentiert Kai Dikhas dort von Schrottwaren inspirierte, reliefartige Bilder von Alfred Ullrich. Bis Jahresende wird im modulor-Treppenhaus die mit 228 Metern längste Kugelbahn der Welt, erbaut von Walter Mason, zu sehen sein: zehn Minuten Rollzeit für die Kugel.

Viele publikumswirksame Aktionen also an einer durch Krieg und Mauerbau bedingten ehemaligen Berliner Leerstelle. Das hier entstandene "Generationenhaus", wie der verlegerische Aufbau-Geschäftsführer René Strien es nannte, liefert möglicherweise das ehrgeizige Programm nicht nur für den Unternehmenskomplex und den genauen Standort in Kreuzberg selbst, sondern mag fast schon als so etwas wie ein Entwurf für eine Gesellschaftsutopie en miniature gelten.