Social Web

Kontroverse um Facebooks "Timeline"

29. September 2011
von Börsenblatt
Für Facebook-Chef Marc Zuckerberg war es eine Sternstunde, als er vor wenigen Tagen das jüngste Feature seines sozialen Netzwerks enthüllte: die "Timeline", ein persönliches Lebensarchiv mit Text-, Bild- und Multimediaeinträgen des Nutzers, das je nach Einstellung alle anderen Mitglieder sehen können. Für Datenschützer der blanke Horror.

Peter Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte, warnte die Nutzer vor Leichtfertigkeit: "Jeder sollte sich bewusst sein, dass einmal eingetragene Daten der eigenen Kontrolle entzogen werden." Und Thilo Weichert, der unabhängige Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins, wird in der Frankfurter Rundschau mit den Worten zitiert: "Das Unternehmen wird diese hochsensiblen Informationen über alle Mitglieder für sich selbst nutzen und kommerziell ausbeuten."

Was Thilo Weichert meint, ist vor allem die kontextsensitive, personalisierte Werbung, mit der Werbevermarkter im Netz auf die Nutzer (und potenziellen Konsumenten) zugehen. Je mehr sie über persönliche Informationen, über Vorlieben, Hobbys, Mentalitäten, verfügen, desto besser lassen sich Anzeigen im Facebook-Account oder auf anderen Websites, die mit Facebook verlinkt sind, platzieren. Und desto größer wird auch die Zahl der algorithmischen Empfehlungen, die den Nutzer zum Kauf bestimmter Produkte, die ihn interessieren könnten, stimulieren sollen. Im Extremfall könnte so neben das "Lebensarchiv" des Nutzers eine Werbestrecke treten, die sein Verhalten massiv beeinflusst.

Das Leben in eine Online-Show verwandeln 

Es gibt aber noch weitere bedenkliche Aspekte, zu denen sich unter anderen Frank Rieger (Chaos Computer Club) am 26. September in der "FAZ" geäußert hat ("Das ganze Leben ist eine Online-Show"): Der Ausbau von Facebook wird die digitale Spaltung der Gesellschaft vertiefen. Auf der einen Seite steht eine große Gruppe, die überwiegend in sozialen Netzwerken kommuniziert und die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit längst aufgehoben hat. Jede Lebensäußerung wird gleichsam über die virtuellen Synapsen in alle Winkel des Netzwerks transportiert. Dieser Web-Community steht die andere Gruppe gegenüber, die das Internet überwiegend als Informations- und Nachrichtenmedium nutzt, aber sonst gern auch offline lebt.

Rieger sieht eine Parallele zwischen Facebook und den klassischen Medien. Der Typus des Selbstinszenierers, der sein eigenes Leben im "Big-Brother"-Container oder im "Dschungelcamp" ausstellt, wird künftig das neue Facebook-Archiv nutzen, um sein ganzes Leben in eine Online-Show zu verwandeln.