Lektorenkonferenz in Göteborg

"Wir fischen alle im selben Teich"

26. September 2011
von Börsenblatt
Was verbindet deutsche und skandinavische Lektoren – und was trennt sie? Thorsten Ahrend, bei Wallstein Programmleiter für Literatur, über einen Erfahrungsaustausch auf der Buchmesse in Göteborg.

Mehr Unterschiede oder mehr Gemeinsamkeiten: Was haben Sie beim deutsch-skandinavischen Lektorentreffen ausgemacht?

Ahrend: Es gibt sicher mehr Parallelen als Unterschiede. Die skandinavischen Kollegen haben letztlich dieselben Probleme wie wir auch. Den Konzentrationsprozess im Buchhandel, die wachsende Abhängigkeit von Bestsellern, die Fragmentarisierung unserer Aufgaben bis hin zu Marketingaktivitäten auf Twitter und Facebook. Und natürlich die Herausforderungen der Digitalisierung. Mit dem Lektorieren, der eigentlichen Aufgabe, verbringen wir alle immer weniger Zeit. Die wird durch andere Tätigkeiten beschnitten.

Haben sich die Kollegen leicht damit getan, über die Probleme so offen und grenzüberschreitend zu diskutieren?

Ahrend: So ein Austausch braucht immer eine gewisse Anlaufzeit, eine vertrauensvolle Atmosphäre, denn wir fischen letztlich alle im selben Teich. Konkurrenzdenken muss außen vor bleiben. Die deutschen Lektoren treffen sich ja einmal jährlich in Hildesheim zur Lektorenkonferenz – ein Modell, das ich den skandinavischen Kollegen nur empfehlen konnte.

Wie stark verändert die Digitalisierung das Berufsbild?

Ahrend: Den Wandel sollte man nicht bejammern, sondern das muss man nüchtern und emotionslos analysieren. Ein Lektor kann zunächst mal die Qualität eines Texts beurteilen – er ist einfach kein IT-Fachmann, der von den Möglichkeiten des Computers her denkt, Text nur als Kleinbaustein für enhanced E-Books ultraplus betrachtet und dann pfiffige Ideen für virales Marketing entwickelt. Wenn Letzteres als das Primäre angesehen wird, schließt sich das Fenster für das klassische Berufsbild des Lektors, das müssen dann gleich ganz andere Leute machen; die sind darin einfach besser. Vermutlich ist das eine Generationenfrage. Mit spezifischen Möglichkeiten neuer Medien werden sich ganz neue Formen literarischen Sprechens entwickeln; aber ich glaube nicht, dass die "klassischen" damit obsolet werden.

Auch Selfpublishing-Plattformen verändern den Buchmarkt. Sind sie gewissermaßen der natürliche Feind des Lektors?

Ahrend: Ehrlich gesagt: Für mich ist es auch eine moralische Entlastung, wenn ich 99 von 100 Manuskripten mit einer Absage zurückschicke und weiß, dass der Autor seinen Text irgendwo im Netz publizieren kann. Ich glaube aber auch, dass der Leser Orientierung braucht, dass die Marke, das Branding, das Vorsortieren eines Verlags in der Informationsflut eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Selfpublishing ist dann erfolgreich, wenn ein Verlag den Autor vorher bekannt gemacht hat. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Welche Erfahrungen machen die skandinavischen Lektoren im E-Book-Geschäft?

Ahrend: Die E-Book-Umsätze scheinen zumindest auf einigen skandinavischen Märkten schon etwas höher zu sein – gleichzeitig treibt die Kollegen aber auch die Erkenntnis um, dass die Umsatzrückgänge im Printgeschäft über die E-Book-Verkäufe nicht zu kompensieren sind. Und sie sehen sehr scharf, dass enorme Kosten entstehen, wenn die Verlage Inhalte digital in verschiedenen Formaten und auf verschiedenen Plattformen bereitstellen. Das kann nur funktionieren, wenn die Kunden bereit sind, einen entsprechenden Preis dafür zu bezahlen. Ich hatte stark den Eindruck, dass nicht die Euphorie darüber, womit E-Books so alles aufzupeppen sind, das Nachdenken bestimmt – sondern die Frage, wie man ein Geschäftsmodell entwickeln kann, dass Kosten und Einnahmen in eine sinnvolle Relation bringt.

Hand aufs Herz: Ist so eine internationale Lektorenrunde nicht auch eine gute Gelegenheit, um für seine eigenen Bücher einen Lizenzpartner zu finden?

Ahrend: Im Mittelpunkt steht ganz klar der Erfahrungsaustausch. Aber natürlich nutzt man die Pausen für den informellen Informationsfluss, hört sich um und flüstert dem einen oder anderen etwas zu. Im Frühjahr 2012 erscheint bei Wallstein der erste Roman der Dramatikerin Dea Loher. Ihre Theaterstücke werden auch in Schweden viel gespielt, gerade hat ihr Theaterstück „Diebe" in Stockholm am legendären "Dramaten" Premiere. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn sich ihr Buch nicht bei einem skandinavischen Verlag unterbringen ließe.

Das Lektorentreffen zur Buchmesse Bok & Bibliotek in Göteborg ist von der Frankfurter Buchmesse organisiert worden - mit rund 20 Lektoren aus dem skandinavischen Raum.