Enriched E-Books

"Ein enormer Erfahrungsgewinn"

23. September 2011
von Börsenblatt
Der Verlag Dölling & Galitz entwickelt Enriched E-Books, mit und für Rowohlt. Verleger Robert Galitz über Produktentwicklung im Duett und das Lehrgeld des Pioniers.

Ein kleinerer Verlag arbeitet für einen großen Verlag als E-Dienstleister: Hätten Sie das bei Dölling & Galitz jemals gedacht?

Galitz: Wir feiern diesen Herbst unser 25-jähriges Verlagsjubiläum. Gelernt haben wir an den großen Audioeditionen für den Zweitausendeins Verlag „Benn spricht Benn“, Kamphoevener, Schwitters, 33 Stunden Canetti - dies damals bahnbrechend als MP3-Version. Parallel entwickelten wir für „Die ZEIT“ zwei große deutsche Filmeditionen. Und wir produzierten den 80-minütigen Film zu Helmut Schmidts 90. Geburtstag. Wir haben schon immer multimedial gedacht.

Wie kam diese Arbeitsbeziehung mit Rowohlt  zustande?

Galitz: Aus einer Freundschaft mit Uwe Naumann, Programmleiter fürs Sachbuch bei Rowohlt. In Gesprächen entstand die Frage, wie man die renommierten Rowohlt-Bildmonographien, die jeden Studenten begleitet hatten, in die neue Medienzeit retten kann. Heute denken die Studenten oft, bei Wikipedia stünde schon alles Entscheidende. Es ist ganz amüsant, dass jetzt ausgerechnet zwei „Fünfzig plus“ wie Naumann und ich zu Vorreitern neuer Technik und Form werden. Letztlich aber ist es logisch, da wir uns ganz traditionell den Inhalten verpflichtet fühlen und diese auf allen Medienebenen optimal präsentieren wollen. Und es  passt sehr gut zur Tradition Rowohlts als innovativer Verlag. Der Name RoRoRo kommt ja immerhin von den mutigen Rowohlt Rotations Romanen auf Zeitungspapier.

Vor einem Jahr sind die ersten gemeinsamen Enriched E-Books unter dem Label "Rowohlt Digitalbuch Plus"präsentiert worden. Ihr erstes Fazit? Hat sich der Aufwand gelohnt? Oder geht es vor allem ums Sammeln von Erfahrungen und ums Experimentieren?

Galitz: Der Erfahrungsgewinn auf allen Ebenen ist enorm  – inhaltliche Konzeption, Workflow innerhalb des Verlags, Aushandeln von Rahmenverträgen mit Lizenzgebern, Rechterecherche bis hin zu scheinbaren Details wie der Datenkomprimierung. Die Investitionen sind teilweise schon refinanziert. Wesentlich ist, dass wir frühzeitig auf plattformunabhängige Inhalte geachtet haben: Alle Videos wurden in High-Density-Qualität produziert und nur für die jeweilige App komprimiert. Sie sind jetzt eine „Spareinlage“, die in beliebige neue Formate überführt werden kann.

Was sind im Moment die wesentlichen Inszenierungsmöglichkeiten eines Enriched E-Books?

Galitz: Nehmen wir zum Beispiel die App „Ernest Hemingway Digitalbuch Plus“: Sie zeigt, wie man Buch, Audio und Film miteinander verzahnen kann. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat dazu geschrieben: „Dafür unterbricht man gern das Lesen, es fügt sich flüssig ein und ist ein unbedingter Gewinn.“ Diese App bietet Dokumentarfilme wie „Verbrannte Erde“ geschnitten auf Trailerlänge, Briefe mit Vorlesefunktion, originale Audioaufnahmen Hemingways mit Übersetzung ins Deutsche zum Mitlesen, Zoomfunktion von Bildern und Dokumenten, Bilder zum Scrollen, Karten als Pop-up. Das Material umfasst im Schnitt eineinhalb Stunden Film und Dutzende Dokumente. Das ist so viel wie ein Spielfilm plus Bonus.

Entsprechen die Erwartungen, die Verlage – aber auch die Autoren – an das angereicherte E-Book stellen, den technischen Möglichkeiten oder sind sie zu hoch geschraubt?

Galitz: Gerade in Apps lassen sich Animationen mit hoher Komplexität erstellen. Im App Store sind die Werke aber noch schlecht präsentiert, weil es dort keine Kategorie für Enriched E-Books gibt. Apple „versteckt“ die Buch-Apps in seinem App Store, weil die Firma die Enriched E-Books in den iBook Store lenken möchte. Dort wiederum laufen aber nur ePubs, die als eingeschränkte HTML-Seiten lediglich die Einbindung von Videos und Links erlauben. Wir hoffen, dass mit dem zukünftigen ePub-Standard auch bei Amazon und im iBook Store mehr möglich ist.

Sind Enriched E-Books ein sinnvoller Weg für Belletristik oder sollte man sich hier eher auf den Sach- und Fachbuchmarkt konzentrieren?

Galitz: Wir wissen es noch nicht. In den Musikclips haben sich wunderbare Formen der medialen Gestaltung entwickelt. Die Bonus-DVD hat auch zu literarischen Filmen wesentliche Mehrwerte geliefert - warum soll dies nicht auch bei Belletristik möglich sein?

Wie sollten Buchhändler mit den Enriched E-Books umgehen?

Galitz: Das große Pfund, mit dem die Buchhändler wuchern können, ist ihre Beratungskompetenz. Wenn man nicht nur  über anonyme Onlineportale e-Books vertreiben möchte, braucht man den Buchhändler. Der Buchhandel muss dafür aber entlohnt werden. Andererseits ist die Versuchung für die Verlage sehr groß, nur die 30 Prozent Rabatt an die Onlineportale wie Amazon, iBook Store oder zu zahlen. Ketten wie Thalia und Hugendubel bauen eigene Portale auf. Im Moment ist der Einzel-Buchhandel noch außen vor.

Wer zu den Pionieren auf dem Markt gehört, zahlt auch Lehrgeld: Welches musste Dölling & Galitz bislang bezahlen?

Galitz: Reden wir nicht davon.

Was ist momentan Ihr spannendstes Projekt?

Galitz: Gerade abgeschlossen ist das Projekt mit Miriam Meckel: „NEXT. Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns“. Hier haben wir zum ersten Mal parallel zur Entstehung des Romans angereicherte Inhalte entwickelt, so dass Print und Enriched E-Book gleichzeitig präsentiert werden konnten.

Sie haben Ihre Erfahrungen mit dem "Digitalbuch Plus" jüngst bei der Konferenz Publishing der Zukunft in Ismaning beschrieben. Welche Erkenntnisse nehmen Sie als Referent von der Tagung mit, die ja vor allem ein Erfahrungsaustausch unter Kollegen war?

Galitz: Wir sind weit davon entfernt, dass Enriched E-Books als vermarktbare Marke angenommen werden. Für die meisten Leser sind eBooks nur alter Wein in neuen Schläuchen. Wirklich gelungen ist die Einbindung von Zusatzinhalten als Kaufanreiz bisher nur bei der Bonus-DVD. Für sie gibt die Mehrheit gerne mehr Geld aus als für die nackte DVD. Jeder weiß, was er von einer Bonus-DVD erwarten kann. Wir brauchen ein verlags- und handelsübergreifendes Entwickeln klarer interessanter Formen. Und schließlich - ganz wichtig! - eine verlags- und handelsübergreifende Kampagne zur Präsentation der Mehrwerte des Enriched E-Books.

Zur Konferenz Publishing der Zukunft

E-Medien erfolgreich publizieren: Unter diesem Motto fand am 14. September im Zentrum Druck und Medien in Ismaning der zweite Fachkongress »Publishing der Zukunft« statt. Zu den Referenten gehörte auch Robert Galitz. Veranstalter: Landesverband Bayern des Börsenvereins. Kooperationspartner: Cluster Druck und Printmedien und die typografische gesellschaft münchen.