Kochbuch

"Eine Welt ohne Speckröllchen"

19. September 2011
von Börsenblatt
Auch das Kochbuch verändert im digitalen Zeitalter sein Gesicht. Rezepte-Apps und Koch-Portale gibt es längst. Wie könnte der Kochbuchmarkt im Jahr 2025 aussehen? Wir haben uns bei Foodexperten umgehört. Neun Visionen am Herd der Zukunft.

Regina Moths, Literatur Moths, München (seit dem Frühjahr mit eigenem Kochbuchkabinett):

"Mit Kochbüchern die Welt verbessern: Ernährung  – und Genießen – wird ein Hauptfach in den Schulen. Es fördert handwerkliches Geschick und Respekt gegenüber den zu verarbeitenden Zutaten, stärkt den Teamgeist, wirkt antineurotisch und alltagsertüchtigend und sensibilisiert für das jeweils Regionale. Und dafür benötigt man Kochbücher, nein: SCHULKOCHBÜCHER. Soziale und religiöse Bewegungen werden dem Trend folgen: Vespern mit dem Papst, buttern mit dem Dalai Lama, der WWF und WMF schließen einen Nichtangriffspakt und auf Facebook etabliert sich der Button SCHMECKT MIR. So schließen wir uns Franz Hessels „Ermunterung zum Genuss“ an und sehen zuversichtlich in eine bekömmliche und kochende Zukunft."

 

 

Frank Buchholz, Sternekoch aus Mainz:

„Ich hoffe, dass es immer Kochbücher aus Papier geben wird, mit zeitgemäßem Layout und Bildern, die einem nicht weglaufen. Denn für mich sind digitale Rezepte einfach nicht sinnlich genug. Wenn es nach mir ginge, so sollte es auch in 1000 Jahren noch Kochbücher geben, für eben so viele Köche, die Spaß an der Sache haben und die ihrer Kreativität keine Grenzen setzen. Und noch eines: Die einzige Convenience, die ich in der Küche verarbeite, ist deutscher Wein – denn der ist lecker!“

 

 

Frank Petzchen, Kochbuchhandlung Petzchen, Düsseldorf:

"Das Kochbuch der Zukunft wird sicher kein habtisches Erlebnis sein, sondern eher ein visuelles. Der Leser der Zukunft wird durch eine kostenpflichtige Registrierung die Gerichte bzw. Rezepte auf sein PC, Handy oder Pad abrufen können. Der Vorteil beim Abruf der Rezepte wird darin bestehen, dass beim Wunsch eines der Rezepte nachzukochen, ein direkter Bestellvorgang zum nächstgelegenen Lebensmittellieferanten per Linkschaltung geht. Die Zutaten werden daraufhin direkt nach Hause geliefert. Eine audiovisuelle Anleitung in Echtzeit vereinfacht dabei die Zubereitung. Ferner wird ein interaktives Kochforum es ermöglichen sich über die zubereiteten Gerichte mit dem Autor und anderen Lesern auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen."

 

 

Volker Oppmann, textunes:

"Ich gehe davon aus, dass sich der Kochbuchmarkt in zwei Bereiche aufteilen wird: Gebrauchstexte für das tägliche Kochvergnügen zum Einen – in Form von datenbankbasierten Desktop-Apps für den digitalen Bilderrahmen in der Küche – sowie hochwertig ausgestattete Coffeetable-Books zum Anderen. Während die Einen die Gaumenfreuden stimulieren, inspirieren die Anderen über Optik und Haptik. Optimales Zubehör für die digitale Variante: Ein Tintenstrahldrucker, der mit Esspapier und Lebensmittelfarbe befüttert wird. So kann man die Online-Rezepte gleich ausdrucken und muss auch nicht verhungern, wenn das Rezept wider Erwarten doch einmal nicht gelingen sollte. Oder noch besser: Ein 3D-Laser-Drucker, der in bester 4-farb-Manier selbst komplexeste Menüs aus Stärke, Protein, Öl und Wasser ausspuckt. Mahlzeit !!"

 

 

Niclas Dewitz, Lektoratsleitung Bücher,  Stiftung Watentest:

"2025 wird man einen Marsriegel nicht mehr auswickeln müssen, um ihn zu essen. Einfach mit Verpackung in den Mund schieben, kauen – aber bitte immer abspülen vorher! Essen wird also einfacher, kochen nicht. Bücher zum Kochen wird es daher kaum noch geben, dafür Schwenkdisplays in SieMatic-Küchen und Tablet-Computer auf dem WG-Tisch neben dem Herd. Nur wo solche Technik existiert, wird überhaupt noch Essen selbst zubereitet. Sehr-gut-kochen-Videos der Stiftung Warentest erklären das Dressieren von 3-Kilo-Bio-Hähnchen just zum richtigen Zeitpunkt, mit sonorer Stimme unterlegte Animationen ermutigen dazu, das tote Fleisch anzufassen. Kunsthandwerklich und preislich abgehobene Kochbildbände (eventuell mit Rezepten) wird es noch geben – vielleicht sogar mehr als heute –, aber nur auf Englisch. So sieht sie aus, die Zukunft – und morgen ist ein neuer Tag."

 

 

Katharina Höhnk, Kochbuchblog Valentinas-kochbuch.de

"Kochbücher aus Papier gibt es nur noch im Antiquariat. Sie sind ein No-go im Jahr 2025. Weltweit bemüht man sich um ihre Einstellung zur Schonung der Umwelt. Auch über das Wort Digital können wir nur noch schmunzeln: Das führt sogar der Duden nicht mehr. Wir brauchen es nicht mehr zur Unterscheidung, denn alles ist digital. Aber eines ist im Jahr 2025 wie 2011. Manche kochen begeistert, Kochbücher inspirieren sie. Die anderen kaufen Convenience Food."

 

 

Gabriele Heins, Resortleiterin Wein-Küche, "Der Feinschmecker":

"In einer Welt, in der jedes Speckröllchen vom Staat unverzüglich mit Rentenkürzungen bestraft wird, windschnittige Menschen mit vegan-probiotischen-lactosefreien Smoothies in der Hand durch die Innenstädte huschen, sind Kochbücher das letzte Tabu. Ja, es gibt sie noch - die dicken Bände mit sinnlichen Fotos von buttrigen Saucen, Braten, Pasta und Torten - aber sie werden nur noch heimlich gehandelt, zumeist in illegalen Wohnungen ergrauter Herren, in denen zu allem Überfluss auch noch frischer Zigarrenrauch in der Luft hängt. Niemand will mit Kochbüchern gesehen werden, sie sind schlimmer als Drogen, könnten den modernen Menschen ja dazu verführen, aus der Gesundheitsdiktatur '25 auszubrechen. Vom Markt sind Kochbücher also komplett verschwunden. Ach ja, und welchen Smoothie, welches Wasser und welche Algentablette wir wann zu uns nehmen, das diktiert uns das Gesundheitsamt via Smartphone - mit einer täglichen Ernährungsbotschaft."

 

 

Nicole Stich, Foodbloggerin und Kochbuchautorin:

"Schon in nicht allzu ferner Zukunft wird jedes Kochbuch gleichzeitig in gedruckter und digitalisierter Version veröffentlicht werden, so kann der Leser spontan entscheiden, ob er lieber altmodisch im Buch blättern möchte oder über einen Computer auf die Rezepte zugreift. Jede Küche wird neben Kühlschrank, Herd und Spülmaschine ganz selbstverständlich auch einen integrierten Tablet-PC besitzen , der eine bequeme Rezeptsuche in allen Kochbüchern der eigenen Bibliothek erlaubt. Doch wer heute gerne kocht und backt, der wird dies auch 2025 noch mit der gleichen Begeisterung tun - natürlich mit frischen Zutaten".

 

 

Dorothee Seeliger, Verlagsleiterin Kochen & Verwöhnen bei Gräfe und Unzer:

"Wir glauben an das Kochbuch – auch im Jahr 2025, und das zu 100 Prozent. Doch von der reinen Rezeptesammlung werden wir uns zunehmend verabschieden. Die Zukunft liegt unserer Ansicht nach in der Gestaltung von Lebenswelten. Wir werden Geschichten erzählen, Sehnsüchte bedienen und zur Verführung anregen. Und damit den Kunden auch erreichen. Und wir werden uns auf die Dinge konzentrieren, die ein Buch zu einem Buch machen: Neben informativen wie unterhaltsamen Inhalten sind das visuelle wie haptische Merkmale, die es immer wieder auszubauen und neu zu gestalten gilt. Darüber hinaus scheuen wir uns nicht, die elektronische Welt – wo sinnvoll, inspirierend und überraschend – mit einzubinden und zu einem integraler Bestandteil eines traditionell gefertigten Buches werden zu lassen."

Mehr zum Kochbuchmarkt lesen Sie in der aktuellen Print-Ausgabe des Börsenblatts, im Extra Essen, Trinken, Genießen.