"Beruf Tochter" – so werden manche gedacht haben, als Ihr Vater Georg von Holtzbrinck Sie 1974 als die neue Verlegerin des Traditionshauses Fischer einsetzte. Sie waren gerade 35 Jahre alt. Wie haben Sie den Beginn empfunden, wie Ihren ersten Tag?
Schoeller: Das war eine Begegnung mit vielen Unbekannten. Ich kam mit meinem Vater in den Verlag und stellte mich vor. Das war für mich ein ebenso großes Erstaunen wie für alle anderen im Haus. Wie sollte das gehen? Ich war noch jung, ich hatte nie ein Unternehmen geleitet. Da waren viele Fragezeichen.
Ihr Einstieg bei Fischer war also Wunsch und Überforderung zugleich?
Schoeller: Es war ein sehr rationaler Wunsch: Dieses Erbe würde eines Tages auf mich zukommen, und jetzt war die Zeit, mir ein Bild davon zu machen. Zuvor hatte ich Literatur- und Kunstgeschichte studiert, war bei den Verlagen Artemis & Winkler in der Lehre gewesen. Durch den Beruf meines Vaters, durch Autoren und Verleger, die bei uns zu Hause zu Gast waren, war das Verlagswesen kein fremdes Feld.
Hat sich nach der rationalen irgendwann auch eine emotionale Beziehung zu Ihrer Aufgabe eingestellt?
Schoeller: Ja, eigentlich sofort. Die Menschen haben mich sehr interessiert, sowohl im Verlag als auch in ihrem Verhältnis zu den Autoren. Und genau dieser Zusammenhang zwischen Verlagsmenschen und Autoren ist der Kern des literarischen Verlegens. Das Schöne am Beruf der Verlegerin ist es, Dinge ermöglichen zu können.
Ist der erste Tag der schwierigste geblieben oder kamen später andere, die noch härter waren?
Schoeller: Der erste Tag war nicht schwierig. Es war ein Auf-die-Bühne-Kommen ohne klare Vorstellung von der Rolle, unterstützt vom Vertrauen meines Vaters und im Bewusstsein, dass es ein Aben-teuer werden würde. Aber es war glücklicherweise kein einsames Abenteuer, denn das Gemeinschaftsgefühl ist vielleicht eine Stärke unseres Hauses S. Fischer. Die Ensembleleistung ist entscheidend, wenn alles zusammenklingt, ist es gut. Man hat aber auch dann nie endgültig etwas erreicht, ständig werden neue Stücke gespielt, und es wird immer neu geprobt. Das ist die beste Voraussetzung für ein Gelingen. Die Autoren spüren es, wenn das Ensemble sich bemüht.
Egon Ammann begründete das selbst herbeigeführte Ende seines Verlags auch damit, dass er keine Lust habe, sich auf das Internet einzulassen. Fühlen Sie sich ihm in der Hinsicht verbunden?
Schoeller: Das Internet und die damit verbundenen Möglichkeiten interessieren mich, ohne dass ich Aktivistin bin. Dafür habe ich hier im Hause kompetente Mitarbeiter. Doch ich glaube auch fest an eine Zukunft für gedruckte Bücher. Sie werden kostbarer und teurer werden.
Die größten Fischer-Bestseller heißen »Buddenbrooks« und »Doktor Schiwago«. Die Verkaufshits heute liefern Thilo Sarrazin und Charlotte Roche – erschienen bei anderen Verlagen. Befällt Sie Wehmut, wenn Sie diese Entwicklung betrachten?
Schoeller: Man darf sich nicht täuschen und glauben, dass es früher ideal war. Überhaupt sollte man Bücher ganz unterschiedlicher Art nicht gegeneinander ausspielen. Die hohe Literatur findet ihr Publikum – und die unterhaltende auch.
Apropos Unterhaltung: Kennen Sie eigentlich Ihr Autorenpaar Cast?
Schoeller: Ja, ich habe sogar schon etwas gelesen von den beiden. Die Romane sind ein großer Erfolg – und haben das neue Label »Fischer FJB« in ganz kurzer Zeit nach vorn gebracht. Aber wollten Sie mich nicht vor allem nach dem Jubiläum des S. Fischer Verlags befragen?
Sie werben zurückhaltend mit diesem Jubiläum. Andere Verlage nutzen solche Gelegenheiten zu Marketing-Feuerwerken. Entspricht die Zurückhaltung Ihnen und dem Verlag, wie Sie ihn sehen?
Schoeller: Wir finden, 125 ist nicht solch eine magische Zahl wie 100. Rowohlt hat verständlicherweise anders, größer gefeiert. Aber zurückhaltend ist unser Jubiläumsauftritt auch nicht zu nennen – mit zwei ganz ungewöhnlich starken Programmen, mit vielen Veranstaltungen, besonders mit unserer Diskussions- und Vortragsreihe »Die Rechte der Menschen«.
Frankfurt hat für manchen als Verlagsstadt an Attraktivität verloren. Liebäugeln Sie zuweilen damit, dem Beispiel Suhrkamps zu folgen und wegzugehen?
Schoeller: Wir sind seit über 60 Jahren hier in der Stadt, also unser halbes Verlagsleben. Mit Berlin fühlen wir uns eng verbunden, dort sind unsere Wurzeln. Es gab immer und gibt ein Büro dort, früher sogar eine eigene Auslieferung. So sind wir auch Berliner geblieben. Doch grundsätzlich gilt: Wir verstehen uns in Frankfurt als ein internationales Haus am rechten Platz, in der Mitte des Landes.
Suhrkamp verbindet mit dem Umzug nach Berlin die Idee von einem radikalen Wandel. Braucht ein Verlag von Zeit zu Zeit eine Renovierung und manchmal mehr als das?
Schoeller: Ein Verlag muss sich immer wieder neu besinnen, ob das Programm stimmig ist, ob das Ensemble gut harmoniert, ob die Präsentation nach außen gelingt. Wir haben uns vor mehr als einem Jahrzehnt vom Kopf auf die Füße gestellt, haben unsere Programmbereiche neu gegliedert, die Kommunikation zum Buchhandel verbessert. Das war so ein Besinnungs- und Gestaltungsprozess.
Sie trieb auch wirtschaftliche Not.
Schoeller: Ja. Wir hatten keine guten Zahlen. Wir verdanken McKinsey im Hinblick auf die Kundenausrichtung einiges. Aber – und dies war entscheidend – was die Strukturen im Hause angeht, unsere Programmlinien, die haben wir neu entwickelt, noch bevor die Unternehmensberater ins Haus kamen. Möglich wurde das auch durch einen Bruch, der einige Jahre vorher geschah und der sich am Ende als etwas Gutes erwiesen hat. Mir wuchs eine neue Freiheit zu.
Damit spielen Sie auf den Weggang von Arnulf Conradi an.
Schoeller: So etwas passiert unter Menschen, dass man sich irgendwann nicht mehr gut versteht. Schwierig war nicht die Trennung an sich, sondern das Wie dieser Trennung. Aber dies ist sehr lange her, fast zwei Jahrzehnte mittlerweile.
Der vielleicht bedeutendste deutsche Verlag, der Ihnen anvertraut war, steckte in einer tiefen Krise. Es muss schlimm für Sie gewesen sein, sein mögliches Ende vor Augen gehabt zu haben.
Schoeller: Ich bitte Sie – Ihre Formulierung ist fern der Realität! Ich habe nie solch ein Ende vor Augen gehabt. Ich wusste, dass wir uns verbessern müssen, ökonomisch in erster Linie. Wir mussten uns verjüngen. Als ich anfing, kamen die meisten im Verlag aus meiner Generation. Jedes Unternehmen braucht immer wieder neue Impulse. Es sollte ein Gewebe sein aus Jüngeren und Älteren. Ich hatte den Rückhalt der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, und so haben wir diese Durststrecke überwunden. So sind Lebensprozesse – immer wieder. Man merkt, ein Haus ist nicht mehr das, was es sein könnte. Heute aber haben wir eine andere Situation. Der Verlag steht so da, wie ich es mir immer gewünscht habe. Es ist eine Freude, hier zu sein. Mit Jörg Bong, der mit großem Erfolg die Programmgeschäfte führt, arbeite ich wunderbar zusammen.
Wie haben sich die Reformen in den vergangenen zehn Jahren konkret ausgewirkt?
Schoeller: Neue, wichtige Autoren kamen, im berechtigten Vertrauen auf die Fähigkeit des modernisierten S. Fischer Verlags, mit den Texten sorgsam umzugehen und den Büchern gute Startbedingungen zu bieten. Und dann kamen die Erfolge, von Jahr zu Jahr mehr. Belletristik und Sachbücher von S. Fischer sind heute ein ökonomisch sehr bedeutender Teil des Gesamtergebnisses der S. Fischer Verlage, mit doppelter Wirkung durch die Taschenbuchausgaben. Der Verlag ist gesundet.
Wie geht es weiter mit dem Verlag, wenn Sie sich einmal zurückziehen?
Schoeller: Das ist ein Beruf, den man nicht so leicht an den Nagel hängt. Ich fühle mich noch jung, so merkwürdig das klingen mag. Ich habe bereits viele Dinge vertrauensvoll in andere Hände gelegt. Aber ich schaue immer noch hin. Und ich habe nicht vor, dem Verlag den Rücken zu kehren. Mein Bruder Stefan ist übrigens dem Haus ebenfalls eng verbunden.
Sie sind als Verlegerin damals in eine Männergesellschaft geraten. Haben Sie sich wohl dabei gefühlt?
Schoeller: Ich war eine Generation jünger als fast alle, die mich umgaben. Und es waren Männer einer Kriegsgenera-tion, mit ganz anders geprägten Biografien. Da gab es manchmal während der Buchmesse natürlich Männerabende, die mir sehr fremd waren.
Inhaber-Verleger vom Schlage eines Ledig-Rowohlt oder Unseld gibt es heute nicht mehr. Ist das Verlagsgeschäft angenehmer oder langweiliger geworden?
Schoeller: Es war sicher kurioser, abenteuerlicher damals.
Hatte dieses Am-Rande-Bleiben Nachteile?
Schoeller: Das hat wohl ein paar Nachteile gehabt, aber vielleicht auch ein paar Vorteile: Ich habe mich immer sehr unabhängig gefühlt.
Interview: Holger Heimann, Torsten Casimir
S. Fischer in Zahlen
- 73,4 Millionen Euro Gesamtumsatz haben die S. Fischer Verlage im Jahr 2010 gemacht. Zehn Jahre zuvor lag dieser Umsatz noch bei 53,2 Millionen Euro.
- Etwa ein Sechstel des Gesamtumsatzes wird durch die S. Fischer-Bücher beigesteuert. Rechnet man die Taschenbuch-Eigenlizenzen aus dem S. Fischer Verlag hinzu, liegt der Umsatzanteil allerdings höher.
- 150 Menschen arbeiten bei den S. Fischer Verlagen, inklusive Berliner Büro und Vertriebsaußendienst.
- Ungefähr 80 Titel pro Jahr erscheinen allein bei S. Fischer. Im Jubiläumsjahr 2011 sind es je 42 neue Bücher im Frühjahrs- und im Herbstprogramm.
- Ein paar Nr. 1-Bestseller der letzten Jahre: "Die Mittagsfrau" (Julia Franck, 2007); "Nichts als Gespenster" (Judith Hermann, 2003); "Marina" (Carlos Ruiz Zafón, 2011).
- 6 Millionen Exemplare der "Buddenbrooks" wurden allein auf dem deutschsprachigen Markt verkauft, dazu noch etwa 1 Million weltweit in fremdsprachigen Ausgaben. Der Roman ist damit das meistverkaufte Buch in der Geschichte des Verlags.