Interview mit Roche-Verleger Marcel Hartges

»Was noch kommt, ist Zugabe«

18. August 2011
von Börsenblatt
Piper-Chef Marcel Hartges über den Erfolg von Charlotte Roches neuem Roman »Schoßgebete«, Unken im Vorfeld und die Macht des Marketings.

Herr Hartges, sind Sie im Glücksrausch?

Um mich in einen Glücksrausch zu versetzen, braucht es andere Dinge als schöne Verkaufszahlen. Aber natürlich freue ich mich sehr darüber, dass der neue Roman von Charlotte Roche so eingeschlagen hat, zumal es im Vorfeld viele Unken gab.

Das zweite Buch gilt für einen Autor als das schwierigere, gerade nach einem großen Erfolg. Wie ist das im konkreten Fall für den Verleger, wie groß war die Nervosität bei Ihnen.

Um ehrlich zu sein, ich war relativ entspannt, nachdem ich das Manuskript gelesen hatte. Zudem planen wir auch nicht so unvernünftig, dass das ökonomische Schicksal des Hauses an einem einzigen Titel hängt. Ein Verlag wie Piper ruht auf vielen Schultern.

Piper hat früh eine große Marketingkampagne für „Schoßgebete“ initiiert. Ist Erfolg bis zu einer bestimmten Größenordnung planbar und gewissermaßen zu erkaufen?

Die Höhe unserer Marketingaufwendungen orientiert sich naturgemäß an den Verkaufserwartungen. Und natürlich unterstützen wir einen Titel mit diesem Potential in besonderer Weise. Aber ausschlagend für den Erfolg war beim ersten wie auch jetzt beim zweiten Buch von Charlotte Roche die ungeheuere Resonanz in den Medien. Und die lässt sich nicht erkaufen. Da geht es um Inhalte und Autoren, nicht um Werbeetats. Buchverlage verfügen nicht über die finanziellen Spielräume, um nur übers Marketing hohe Verkaufszahlen zu generieren. Für „Feuchtgebiete“ haben wir damals bei DuMont die erste Anzeige geschaltet, nachdem wir eine Million Exemplare verkauft hatten. Ich glaube, das sagt alles.

Lässt sich der Absatz von „Feuchtgebiete“ noch übertreffen? Womit rechnen Sie?

Es wäre ein kleines Wunder, wenn dies geschähe. Allerdings haben wir in der ersten Woche von „Schoßgebete“ deutlich mehr verkauft als damals von „Feuchtgebiete“. Ob sich das in diesem Stile fortsetzt? Wer weiß? Unsere Hoffnungen haben sich jedenfalls bereits jetzt erfüllt. Was noch kommt, ist Zugabe.

Feuchtgebiete“ wurde sehr kontrovers diskutiert, was den Verkauf befeuert hat. Diesmal sind die Reaktionen überwiegend positiv – kann das paradoxerweise hinderlich sein für den ganz großen Erfolg?

Ich glaube nicht. Wenn jetzt „Schoßgebete“ so besprochen wird, wie das Buch es meines Erachtens verdient, heißt das ja nicht, dass wir es hier mit einem harmlosen, weich gespülten Büchlein zu tun hätten. Die Reaktionen der Leser werden auch diesmal von überschwänglicher Begeisterung bis hin zu heftiger Ablehnung reichen. Ich habe jedenfalls jetzt schon Leserzuschriften bekommen, die deutlich dokumentieren, dass Charlotte Roche wieder einen Nerv getroffen hat. Und wenn ein Nerv getroffen wird, tut es eben manchmal auch weh.

Sie verlegen mit dem neuen Buch von Ferdinand von Schirach einen weiteren potenziellen Bestseller, auch hierfür betreiben Sie aufwendige Werbung. Wie sehr geht das zu Lasten anderer Titel?

Gar nicht. Wie gesagt, die Werbeausgaben richten sich nach den erwarteten Einnahmen. Und wenn die Einnahmeerwartungen hoch sind, ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten im Marketing, auch für andere Titel. Der Erfolg des Verlages kommt so allen Autoren zugute.

Gewähren einem Verlag große Erfolge eine kleine Verschnaufpause oder wird die Messlatte immer höher gelegt?

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Diese Sepp-Herberger-Weisheit gilt auch in der Buchbranche. Auf den Erfolgen dieses Jahres dürfen wir uns selbstredend im nächsten nicht ausruhen. Das erwarten nicht nur unsere Gesellschafter, darauf haben vor allem auch unsere Autoren einen Anspruch. Und im Übrigen ist es ja so, dass ökonomische Erfolge inhaltliche Freiheit schaffen. Und ohne die ginge doch das Wesentliche verloren.