Die Sonntagsfrage

Verkauft man mit viel Gefühl mehr Bücher?

14. August 2011
von Börsenblatt
Bilderbücher versteht vielleicht jedes Kind, aber noch lange nicht jeder Erwachsene. Ohne wirklich tief in seinem Innern angerührt zu sein, erschließen sich keine Bilder und verkaufen Sortimenter auch viel zu wenig Bücher, meinen Kinderbuchlektorin Karin Gruß und Verlagsvertreter Georg Leifels. Wie wollen Sie es schaffen, dass Buchhändler mit mehr Gefühl mehr Umsatz machen, Frau Gruß?

"Indem man sie sensibilisiert. Nicht über den Verstand und die Frage: Wie mache ich zehn Prozent mehr Umsatz?, sondern über die Inhalte der Bücher. Im normalen Buchhändleralltag ist es kaum möglich, sich intensiv mit den Bildern in Bilderbüchern auseinanderzusetzen, beim Vertreterbesuch auch nicht. Genau das ist aber die Grundlage für ein Kundengespräch! Wie wollen Sie einem erwachsenen Kunden ein Bilderbuch verkaufen, das Sie selbst nicht gepackt hat? Sind Sie jedoch richtig begeistert und emotional dabei, springt der Funke garantiert über. Bei Wolf Erlbruchs Bildern zu Bart Moeyaerts 'Oleg schoss einen Bären' etwa gibt es einen stahlblauen Himmel, so ein Yves-Klein-Blau, da bin ich jedes Mal hin und weg.

Ich merke oft, dass viele Buchhändler den jungen Illustratoren, ihren Ideen, ihrer Bildsprache zunächst mit Befremden gegenüberstehen. Wenn ich aber nicht ewig bei denselben alten Bildmustern stehen bleiben will, muss ich mich öffnen, muss bereit sein, mich auf Neues und Irritierendes einzulassen. Man muss zum Beispiel die Formen und die Körpersprache von Figuren entziffern können: Kinder verstehen sie sofort, sie kommunizieren ja eh sehr viel stärker nonverbal – Erwachsene haben das verlernt. Durch Wahrnehmungsschulung betrachtet man viel genauer Gestik, Mimik etc., auf einem Bild, und kann alles andere dann auch gleich viel besser entschlüsseln
 
Im vergangenen Jahr hatten Georg Leifels und ich uns überlegt, ein Seminar mit Buchhändlern zu machen, und sie gleich zu Beginn jeweils ein Bilderbuch vorstellen lassen, das sie in ihrem Leben sehr berührt hat. Den Sortimentern fiel es nicht immer leicht, sich zu öffnen. Entscheidend ist aber, dass man miteinander ins Gespräch kommt, sich darüber austauscht, welche Gefühle ein Bild in einem wecken – vor allem nachhaltig. Nach dem 11. September 2001 zum Beispiel sieht jeder die Hochhaus-Bilder und Wolkenkratzer-Schluchten von Jörg Müller ganz anders als noch in den 90er Jahren, sie haben nicht mehr diese ästhetische Kühle, sondern wirken einfach bedrohlich.
Am letzten September-Wochenende, wollen wir wieder mit Buchhändlern im Literaturhotel in Iserlohn einen Wechsel der Perspektiven wagen, das Ambiente dort schafft schon mal gute Voraussetzungen, um sich zu öffnen; in Ruhe Bilder entdecken und darüber reden zu können, was sie in einem auslösen.
Im Grunde ist es eine Reaktionskette: Je offener, unvoreingenommener ich Bilder wahrnehmen kann, um so mehr entdecke ich – wie die Kinder. Dadurch kann ich schneller die Qualität der Bilder erkennen, kann effektiver eine Auswahl für den Einkauf treffen. Zugleich ist das die Grundlage für das Kundengespräch. Und je stärker ich begeistert bin von einem Buch, umso besser verkaufe ich es ja. Diese Begeisterung würden wir gerne bei vielen Sortimentern entzünden."