Meinung: Ausbildung

Die Schuldfrage

19. Mai 2011
von Börsenblatt
Der Umgang mit Berufseinsteigern muss Mindeststandards genügen: Das fordert Buchwissenschaftlerin Ursula Rautenberg.

Wir sind wütend! Wir wollen in diese Branche, aber wir werden uns nicht mit einem Hungerlohn abspeisen lassen!« Mit diesem Protest endet ein – sachlich argumentierender – Beitrag auf ­boersenblatt.net (http://www. boersenblatt.net/417554/) über Einstiegsbedingungen in eine Branche, in der engagierte junge Leute (noch) ihren Traumjob vermuten. Die hohe Resonanz mit über 100 aktiv kommentierenden Lesern zeigt die Brisanz des Themas. Und während der Nachwuchs Prekarisierung anklagt, sorgen sich die Arbeitgeber, wie man qualifizierten Nachwuchs gewinnen kann. Grund genug für die Lehrenden, die Lehrpläne entwerfen und Pflichtpraktika verordnen, sich zu Wort zu melden.

Zunächst ein kurzes Resümee: Erste Berufserfahrungen während des Studiums werden standardmäßig im Lebenslauf erwartet, aber nicht oder nur geringfügig honoriert. Wegen fehlender tariflicher Vereinbarungen sind selbst langfristige Volontariate nach Studienabschluss nur prekär entlohnt. Engagement für die Traumbranche und Konkurrenz unter den Bewerbern würden ausgenutzt, die Kernaufgaben nicht festen Mitarbeitern, sondern billigen Befristeten übertragen, so argwöhnen die Studierenden.
Selbst schuld, wenn man Buchwissenschaft studiert, und selbst schuld, wenn man solche Bedingungen in Kauf nimmt?

Dazu ein Beispiel: Einser-Absolventin der Buchwissenschaft, Praktika unter anderem im Ausland, drei Jahre studienbegleitend Werkstudentin im Bereich Marketing einer Kultureinrichtung, hohe Affinität zu Digitalmedien und Social Marketing. Im Praktikum nach Studienabschluss in einer branchennahen Institution ausschließlich mit der Pflege der Adressdatei beschäftigt. Sicher, es gibt auch weniger glänzende Absolventen, und es gibt, nicht selten in größeren Unternehmen, faire Bezahlung und fordernde und fördernde Aufgaben. Aber seit Langem hören wir auch das Argument, dass es der Preisdruck kleineren Unternehmen nicht erlaubt, einem Praktikanten statt gar nichts 300 Euro oder einem Volontär mindestens 1.200 Euro zu zahlen.

Wir meinen:
Mehr als dreimonatige Praktikumsangebote ohne Honorierung sind unseriös. Ebenso die Beschäftigung von erfolgreichen Absolventen eines einschlägigen Studiengangs als Praktikanten, die bereits mehrere Praktika studienbegleitend absolviert haben.
Honorierung im Praktikum muss nicht unbedingt durch Geld erfolgen: Wie wäre es mit Hilfe bei der Unterkunft und einem Reisekostenzuschuss?
Wertschätzung drückt sich auch in interessanten Aufgaben aus. Lediglich einseitige und monotone Aufgaben sind nicht Sinn eines Praktikums.
Stellenangebote sollten Hinweise auf die Konditionen enthalten, Transparenz für alle macht »schwarze Schafe« sichtbar, aber auch die fairen Arbeitgeber.
Personaler sollten sich über das Profil und die Curricula der einschlägigen Studiengänge informieren. Sie wissen oft nicht, was ihnen entgeht.
Bevorzugte Einstellung von ausgebildeten Buchwissenschaftlern: Das Überangebot am Markt entsteht durch nicht einschlägig qualifizierte Quereinsteiger.

Wie wäre es mit einer Selbstverpflichtung auf Mindeststandards? Dies stünde einer Branche wohl an, die eine Sonderstellung für das »Kulturgut Buch« fordert. Verantwortliches Handeln drückt sich nicht nur beim umweltfreundlichen Papier aus, sondern auch im pfleglichen Umgang mit dem hoch qualifizierten Nachwuchs, den die Branche dringend nötig hat.