Neujahrsumfrage zur Zukunft des Buches

Revolutionäre Zustände

6. Januar 2011
von Börsenblatt
Mal unter uns: Würden Sie nicht auch gern wissen, was Wirtschaftslenker auf der einen, Intellektuelle auf der anderen Seite über die Zukunft des Buches denken? Gut so, denn hier kommen acht Antworten.  

Denis Scheck, Deutschlandfunk und "Druckfrisch" (ARD)
 
"Vor gut hundert Jahren machte sich der Literaturkritiker Hermann Bahr Gedanken über "Die Literatur in 100 Jahren", nachzulesen in dem schönen Reprint von Arthur Bremers Anthologie "Die Welt in hundert Jahren" bei Georg Olms. Mein Kollege kam damals zu dem Schluß: "Das Motiv der heutigen Literaten, eingestanden oder nicht, ist der Lohn." In der Zukunft des 21. Jahrhunderts werde diese Lohnschreiberei aber ausgestorben sein, so Bahr, weshalb es einige Jahrhunderte womöglich gar keine Literatur mehr geben werde, bis wieder einmal jemand "aus einem ganz anderen, heute durchaus unbekannten Motiv das Wort nimmt, also z.B. vielleicht weil er etwas zu sagen hat". Mit Blick auf die Bestsellerliste darf ich beruhigend feststellen: diese Sorge hat sich als unbegründet erwiesen. Auch 2011 schreibt die übergroße Mehrheit unserer Bestsellerautoren des Geldes willen. Wie billig"

 

Ulrich Khuon, Intendant am Deutschen Theater in Berlin

"Der Mensch hat sich, warum auch immer, in den letzten Jahrhunderten nicht linear, sondern sprunghaft und in Gegensätzen weiterentwickelt. Er reist gerne in der Welt herum und sieht gleichzeitig mit Hingabe Filme wie ,Die große Stille’ über das kontemplative Leben der Karthäuser Mönche. Eigentlich kann er sich inzwischen alles ins eigene Zimmer kommen lassen. Dennoch geht er gern in eiskalte Fußballstadien, überfüllte Konzerthallen oder sitzt mit anderen Menschen in Kinosälen, Theatern und Opernhäusern. Offensichtlich möchte er sich gelegentlich einer Sache ganz widmen, d.h. er will für das, was er schätzt, auch einen Preis an Mühen einsetzen, alle Sinne zum Zug kommen lassen. Vielleicht ist es auch so mit dem Lesen. Wir wünschen uns das Gelesene in Besitz zu nehmen, durch Schönheit und nicht allein durch Inhalte verführt zu werden, die Sätze zu spüren, anzustreichen, Anmerkungen zu machen, bestimmte Bücher wie Lebensstationen bei uns zu behalten.

Manches, die schnelle Information, das eilig Verwertbare und Wegwerfbare, wird mehr und mehr auf neuen, elektronischen Wegen zu uns kommen. Das Kostbare, Besondere, Bewegende wird uns nach wie vor zwischen zwei Buchdeckeln, auf schöne Weise gesetzt, begleiten. Und Sätze wie die des vor wenigen Wochen verstorbenen Lyrikers Walter Helmut Fritz will man gern in einem Büchlein unters Kopfkissen legen – auch in Zukunft. „Man kann nur versuchen, / manchmal ein paar Worte zu sagen, / damit es für Augenblicke / wieder still wird.“"

 

Michael Samak, CEO der Werbeagentur Saatchi&Saatchi Deutschland

"Wie wird sich die Buchbranche angesichts der Digitalisierung entwickeln?
Das hängt vom Content ab. Sach-/Fachbücher und wissenschaftliche Informationen werden in steigendem Maße digital verfügbar sein. Im Bereich Belletristik bleibt das Kerngeschäft bis auf weiteres Print.      

Werden E-Books und iPad das Buch verdrängen?
E-Books und das iPad ergänzen das Buch. Bei jüngeren Zielgruppen besteht dagegen echte Substitutionsgefahr.  

Welche Überlebenschancen hat der kleine und mittlere Buchhandel?
Ich wünsche mir viele Lesungen, Kooperationen und Aktionen von kleineren und mittleren Buchhandlungen. Auch eine Spezialisierung auf bestimmte Zielgruppen und viele Innovationen in der Buchhandlung.
Dann bin ich mir sicher, dass wir im Frankfurter Westend oder auch in Sachsenhausen weiterhin von kleineren Buchhandlungen profitieren werden"

 

Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Manager und Altpräsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie


"Die in den letzten Jahren vollzogene Diversifizierung der Produktpalette - zum gedruckten Buch kamen erst die Hörbücher, dann die E-Books hinzu - hat zu einer Revolution in der Buchbranche geführt, die sich  in steigenden Umsätzen niederschlägt. Da bei zunehmender Niveauverflachung der Massenmedien die Nachfrage nach anspruchsvoller Unterhaltung steigt, führt der Weg der Buchbranche auch 2011 weiterhin nach oben."

 

Christian Rauch, Trendforscher am Zukunftsinstitut

"Bücher sind nicht nur grundlegender Bestandteil unserer Kulturgeschichte, sie werden auch in Zukunft sehr wesentlich unsere kulturelle Identität bestimmen. In der Wissensgesellschaft von morgen werden sie als Leitmedium weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Die wachsende Bedeutung des Internets wird daran ebenso wenig ändern, wie E-Books das gebundene Buch nicht verdrängen werden."

 

Götz W. Werner, Gründer und Aufsichtsrat der Drogeriekette dm

"Um den gegenwärtigen Entwicklungsprozess zu bewältigen, ist zunächst eine zutreffende Beobachtung nötig – besonders in der Buchbranche, die sich eher revolutionär als evolutionär entwickelt. Kundenbedürfnisse richtig wahrnehmen und entsprechend handeln, erzeugt Sog und führt zu Erfolg. Um sich den Bedürfnissen seiner Mitmenschen zuwenden zu können, muss man von der Sorge um die eigenen befreit sein. Dies ermöglicht ein bedingungsloses Grundeinkommen."

 

Werner Köhler, Geschäftsführer der Lit.Cologne

Wie wird sich die Buchbranche angesichts der Digitalisierung entwickeln?
Auch am Jahresende sind meine prophetischen Gaben unterentwickelt ausgeprägt. Verlage müssen einfach mit der Zeit gehen, die Rechtefragen klären und die Technik beherrschen. Der stationäre Handel kann bei der Digitalisierung nur bedingt mitspielen. Ladestationen in Buchhandlungen sind tatsächlich ein trauriger Versuch ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Dieses Geschäft wird online entschieden.

Werden E-Books und iPad das Buch verdrängen?
Auf gar keinen Fall! Wurde mir eine ähnliche Frage nicht zu den sogenannten Hochzeiten des Hörbuchs gestellt? Die kommenden Jahre werden gigantische Zuwachsraten bringen, aber es bleibt dabei, eine Erhöhung von 100 auf 200 sind 100%, aber was sind schon 200 Downloads/Bücher? Es wird absehbar ein messbarer Anteil sein - aber bitte nicht wieder einmal den Untergang des Buches heraufbeschwören.

Welche Überlebenschancen hat der kleine und mittlere Buchhandel?
Die Frage gibt es, seit Heinrich Hugendubel weiland den Marienplatz eröffnete. Und die Antwort bleibt immer die gleiche: Spezialisierung, kluge Sortimentspolitik, Kundenansprache. Buchhandlungen in denen belesene, kenntnisreiche Menschen arbeiten, finden immer ihre Kunden. Kleinen Läden, die große Welt spielen wollen, gehts irgendwann an den Kragen, spätestens wenn der Filialist kommt. Die Frage heißt also nicht klein oder groß sondern gut oder schlecht.

 

Meike Schlecker, Juniorchefin der Handelskette Schlecker

"Ich persönlich liebe Bücher, für Kinder wie Erwachsene. Und auch das haptische Erlebnis gehört da einfach dazu. Sie gehören zum Alltag wie zu jeder Reise. Sie eröffnen Welten und zeigen, dass es mehr gibt als unseren Alltag, auch wenn dieser noch so sehr versucht uns aufzufressen. Aber sicher werden sich die elektronischen Reader neben den gedruckten Büchern etablieren. Schon weil sie praktisch sind und das Angebot immer größer wird. Am Kern wird das jedoch nicht ändern: am unstillbaren Durst der Menschen nach Wissen und nach guten Geschichten."

 

Susanne Gaensheimer, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main

"Ich bin sicher, dass es das klassische Buch immer geben wird. Für die belletristische sowie Kinder- und Jugendliteratur ist das reale Buch in seiner haptischen Wahrnehmbarkeit und mit seinen Illustrationen immer auch ein wichtiger Teil des Lesevergnügens. E-books werden aber sicher auf dem Markt der Wissenschafts- und Fachliteratur eine immer größere Rolle spielen, da sie einen schnellen Informationszugriff auf aktuelles Wissen ermöglichen. Generell beobachte ich, dass sich das Leseverhalten von Kindern und jungen Leuten, durch das Fernsehen und Internet extrem stark verändert hat. Manche haben bis zur Schule noch nie ein Buch in der Hand gehabt. Sie werden oft erst später zu Liebhabern von Büchern."