Erfahrungsaustausch

Buchhändler überraschen!

29. Dezember 2010
von Börsenblatt
Einen Tag ins Sortiment reinschnuppern – schon bei mehreren Buchhändlern hatte ich darum gebeten, um das Buchgeschäft einmal "von der anderen Seite" zu erleben. Nie war es mir gelungen. Beim Berliner Erfahrungsaustausch "Buchhandel trifft Verlag“ ist das Angebot von Ines Krüger eine echte Überraschung. Gesagt, getan. Ein Bericht von Verlegerin Karin Timme.
An einem Novembermorgen stehe ich vor Ines Krügers "Büchereck". Die Lage des Ladens ist ein Unding! Im Berliner Osten in einer Seitenstraße. Kaum Außenwerbung für das Geschäft, nur eine kleine Fensterfront. Laufkundschaft ist hier nicht zu erwarten! Wie soll da ein allgemeines Sortiment funktionieren?

Ich trete ein und schon folgt die nächste Überraschung. „Vorsicht, es ist recht eng.“ Das stimmt! Die ca. 70 qm sind vollgestopft. Bücher über Bücher! Kaum in Frontalpräsentation, stattdessen stapelweise auf Tischen, viele eingeschweißt. Ich sehe Betriebsberater die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, höre sie von Liquidität und Einkaufsplanung reden.

Doch nun beginnt die Arbeit: Zuerst die vom Barsortiment gelieferten Kundenbestellungen prüfen, die Bestellzettel den Büchern zuordnen. Dann kommen auch schon die ersten Kunden. Den ganzen Tag über verlässt kaum einer das Geschäft ohne ein oder mehrere Bücher gekauft oder bestellt zu haben. Immer wieder stelle ich erstaunt fest: Frau Krüger hat genau die Titel vorrätig, die die Kunden suchen!

Sei es das Kassieren, das Eintüten der Ware, die Entgegennahme von Informationszetteln zum Aushang an der Eingangstür – so eine Kiezbuchhandlung ist ein Kommunikationszentrum, Anlaufstelle für viele Fragen! –, die Recherche nach Titeln, die zahlreichen Bestellungen … Ich habe das Gefühl, die Buchhändlerin ist immer an mehreren Stellen zugleich.

In jedem Fall ist sie Profi. Im DDR-Volksbuchhandel ausgebildet, war sie später fast 15 Jahre bei Kiepert. Nach deren Insolvenz hat sie sich selbständig gemacht. Seit nunmehr fast sieben Jahren gibt es ihre Buchhandlung und sie sagt stolz: „Wir schreiben schwarze Zahlen!“ Angst vor einer Pleite? Nein! Das wäre auch vollkommen überflüssig.

Spannend ist für mich, wie die Barsortimentsbestellung funktioniert. Frau Krüger arbeitet mit KNV zusammen. Überhaupt: das Recherchieren und Bestellen von Titeln. Da werden alle Register gezogen: Verlagshomepages, buchhandel.de, Wikipedia, Amazon, …  Wir sprechen darüber, warum wo bestellt wird. Wie viele Vertreter jährlich kommen. Und natürlich die ungeliebten Remissionen! Frau Krüger lobt hier einige Auslieferungen, wie LKG und Prolit, für die unkomplizierte Remissionsabwicklung und die Möglichkeit, Bestellungen zu bündeln.

Welcher Rabatt ist für sie bei einem belletristischen, welcher bei einem Fachbuch in Ordnung? Wäre der Titel „Siehst so eine Mörderin aus?“ Reportagen über authentische Kriminalfälle aus Berlin, der in Kürze in der Edition Noack & Block erscheint, in ihrer Buchhandlung verkäuflich? Und wo noch? Sofort haben wir eine Lesung vereinbart. Frau Krüger ist gut vernetzt.

Es freut mich, als sie mich nach den Kosten einer Buchproduktion fragt, ich ihr die Rahmendaten schildere. Sie überlegt, selbst einen gutgängigen regionalen Titel nachzudrucken, der nicht mehr lieferbar ist. Hier können Kontakte vermittelt werden. Überhaupt stellen wir fest: Buchhändler und Verleger müssen mehr voneinander erfahren!

Am Ende des Tages ist klar, dass Ines Krügers „Gegenbesuch“ im Verlag Frank & Timme nicht lange auf sich warten lassen wird. Gesprächsthemen gibt es genug.