Interview mit Oliver Zille

"Ein Selbstfindungsprozess"

15. Dezember 2010
von Börsenblatt
Leipzigs Buchmesse-Direktor Oliver Zille über den Rücktritt von Dragoslav Dedovic als Gastland-Koordinator und die Vorbereitungen für den Serbien-Schwerpunkt im März 2011.

Vergangene Woche warf überraschend Dragoslav Dedovic, Koordinator des Serbien-Schwerpunkts der Leipziger Buchmesse 2011, das Handtuch. Der seit Anfang der 90er in Köln lebende Autor und Literaturvermittler ging an die Öffentlichkeit, während Buchmesse-Direktor Oliver Zille in Leipzig eine Abordnung des serbischen Organisations-Gremiums unter Führung des Verlegers Zoran Hamovic empfing. In einem Brief an Freunde und Kollegen hatte Dedovic, dessen Vertrag mit dem Belgrader Kulturministerium seit September zur Verlängerung anstand, den dort Verantwortlichen „ein grundsätzlich unprofessionelles Verhältnis“ zu ihm wie „gegenüber der Präsentation der serbischen Literatur auf einer der wichtigsten Bühnen Europas“ vorgeworfen.

 

Dragoslav Dedovic schied mit harschen Vorwürfen in Richtung Belgrad – welche Gründe sehen Sie für seinen Rückzug?
Oliver Zille: Es war mit Sicherheit eine emotionale Entscheidung. Darüber hinaus glaube ich, dass es ein ganzes Bündel von Gründen gibt: Über manches kann man nur spekulieren, eine dieser „Sollbruchstellen“ ist jedoch, dass Dedovic, der seit Anfang der 90er in Deutschland lebt und als Autor und Literaturvermittler den serbischen wie den deutschen Literaturbetrieb kennt, sich in vielen Dingen die ‚deutsche Sicht’ angewöhnt hat – weswegen er als Vermittler für uns natürlich eine Idealbesetzung war. Das Grundproblem war allerdings, dass die Auffassung, was die Aufgaben eines Koordinators sind, zwischen dem Organisations-Gremium in Belgrad und Dedovic recht unterschiedlich definiert waren. Da hat sich Dedovic sicher größere Spielräume gewünscht. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die Serben treten das erste Mal nach den Balkankriegen mit einer größeren kulturellen Präsentation im Westen auf – wir erleben bei unseren Partnern da auch eine Art Selbstfindungsprozess. Wie selbstbezogen, wie selbstbewusst können sie den Gastland-Auftritt realisieren? Was lässt man sich von westlichen Partnern sagen, und wo setzt man seine eigene Sicht durch? Das richtig auszutarieren, wird noch einige Zeit dauern – und hängt auch stark davon ab, inwieweit es gelingt, die Serben hier zu vernetzen, ihnen zu ermöglichen, Erfahrungen mit dem deutschsprachigen Markt zu machen. Von uns als Messe ist da viel Fingerspitzengefühl gefragt. Unser Ziel ist es, Serbien aus einer weitgehenden politischen Isolation, die auch eine kulturelle Isolation ist, herauszuholen – sich auch in einem produktiven Nebeneinander verschiedener Meinungen zu öffnen, einen Weg Richtung Westen zu finden.

 

Wurde bereits jemand benannt, der Dedovics Job weiter führt?
Zille: Die Serben haben Elena Messner, eine österreichische Slawistin, verpflichtet, die neben ihrer Lehrtätigkeit in Wien und Belgrad als Übersetzerin arbeitet und an einem Dissertations-Projekt zur Rezeption postjugoslawischer Kriegsprosa im deutschsprachigen Raum sitzt.

 

Ist Serbien in Ihren Bemühungen um die Länder Mittel- und Osteuropas der, salopp gesprochen, bislang dickste Brocken? 
Zille: Dieser Gastlandauftritt ist für uns sicher die bislang größte Herausforderung. Die Vorbehalte und negativen Konnotationen gegenüber Serbien sind im Westen sehr stark. Aber wenn man nicht beginnt, den Weg zu gehen, trotz aller Unwägbarkeiten – dann setzt man auch im Land selbst keine Wandlungsprozesse, kein Umdenken in Gang. Der Gastland-Auftritt kann nicht zuletzt für die jüngeren Autoren ein tolles Podium sein. Erst seit einem Jahr können die Serben wieder frei reisen. Wie schnell vergessen wir, was es für ein Gefühl ist, isoliert zu sein - gerade für junge Leute! 

 

In drei Monaten startet die Buchmesse – bedeutet Dedovics Rückzug auch einen Rückschlag fürs Leipzig-Programm, oder ist das größtenteils in trockenen Tüchern?
Zille: Es wäre Unfug, zu sagen, dass alles völlig bruchlos läuft. Aber es gibt Marksteine: Es werden im Frühjahr mehr als 30 Bücher in deutschsprachiger Übersetzung vorliegen, das ist in trockenen Tüchern. Es werden rund 40 Autoren nach Leipzig kommen, darunter nahezu alle, die jetzt neue Einzelpublikationen in deutscher Sprache haben.

 

Wer stellt die offizielle Delegation zusammen?
Zille: Die Einladungsliste bestimmt das Vorbereitungs-Kommittee in Belgrad. Es gibt jedoch eine klare Vereinbarung, dass die Autoren, die neu übersetzte Bücher haben, bevorzugt berücksichtigt werden. Ich gehe davon aus, dass man sich an diese Zusage hält. Am letzten Dienstag sind wir hier in Leipzig noch einmal zusammen die Liste durchgegangen, auf ihr stehen durchaus auch kritischere Autoren wie jene aus dem Umfeld der Zeitschrift „Beton“. Ende der Woche soll die Vorinformation über das Programm im Detail kommen.

 

Interview: nk