Interview

Tom Tykwer: "Das Buch ist reicher"

16. Dezember 2010
von Börsenblatt
Um die Erneuerungssehnsucht in Dauerbeziehungen dreht sich Tom Tykwers neuer Film "Drei". boersenblatt.net sprach mit dem Regisseur über seine Komödie – und den aufwendigen Begleitband.
Herr Tykwer, warum interessieren Sie sich für Dreiecksbeziehungen?
Tykwer: „Drei“ ist eigentlich erstmal gar kein Film über eine Dreiecksbeziehung. Sondern über ein Paar, das sich unabhängig voneinander und heimlich in einen Dritten verliebt. Und wie bei allen, die sich aufeinander einlassen und Partnerschaften versuchen, gibt es trotz aller Zugewandtheit und Vertrautheit eben auch Abnutzungserscheinungen, einen Trott, einen Neugierdeverlust aneinander. Das Interesse am Unbekannten, am Geheimnisvollen, Neuartigen kommt zu kurz. Hanna und Simon sind ein Paar, dass sich eigentlich auf ziemlich konstruktive Weise miteinander eingerichtet hat, dem dann aber überraschend das ganz Fremde begegnet. Und das ist natürlich eine große Verführung.

 

Exklusivität in Beziehungen sei emotionaler Faschismus, sagen Sie in der Pressemappe. Würden Sie das bitte erklären?
Tykwer: Oh Gott, ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich das gesagt habe. Aber gemeint ist natürlich das Dogma, das in diesem Monogamieabkommen steckt. Zu dem wir bisher zwar keine ernstzunehmende Alternative haben. Von dem wir inzwischen aber auch wissen, dass es uns nicht gerade von der Natur mitgegeben ist. Es ist eben eine Kompromissformel, um Beziehungen in irgendeiner Form intakt zu halten. Man beschränkt seine Sehnsüchte auf den beherrschbaren Horizont der Partnerschaft, auf die man sich eingelassen hat. Ich glaube tatsächlich, dass das wahrscheinlich einfach nicht anders geht. Aber es fasziniert mich auch, wie viele Leute dazu in der Theorie ein sehr viel entspannteres Verhältnis haben als in der Praxis.

 

Sie sind Filmregisseur. Warum gibt es jetzt ein Buch zu „Drei“?
Tykwer: Bei einem Film, der eine konstruktive, lange und komplexe Drehbucharbeit hinter sich hat, kann das zugrunde liegende Material auch für sich genommen interessant sein. Aber der Auslöser war ein anderer. Die Leiterin des Berlin Verlags, Elisabeth Ruge, war da unheimlich ehrgeizig. Sie wollte nicht irgendeinen Nulllachtfünfzehn-Begleitband zum Film machen. Das Signifikante an dem Film ist ja, dass er seine Fühler in sehr viele unterschiedliche Richtungen ausstreckt, viele verschiedene gedankliche Welten und Theorien werden kurz angerissen. Diese sind ursprünglich viel umfangreicher, als sie im Film abgehandelt werden. Und das Buch bietet eben die Chance, in diesen Nebensträngen noch etwas intensiver zu stöbern.

 

Das Buch ist ja sehr ungewöhnlich strukturiert ...
Tykwer: Ja, es ist aus drei Ebenen aufgebaut, und das passt natürlich schön zum Prinzip des Films selbst, zu seinem Schema. Es gibt auf jeder Seite des Buchs eine Drehbuchlinie und eine visuelle Linie mit Abbildungen aus dem Film. Und eine dritte Linie, mit den Sekundärmaterialien, die dem Film zugrunde liegen. Sie verleihen den unterschiedlichen Themen, die der Film kurz  anreißt, ein bisschen mehr Substanz. So gesehen, ist das Buch sozusagen reicher als der Film. Weil die ganzen Grundlagenforschungen mitgeliefert werden zu den einzelnen Aspekten, die der Film nur kurz andeutet. Im Buch kann man sich tatsächlich die Zeit nehmen, die man selber haben möchte, um sich an einer Szene festzubeißen, sich mit Subtexten oder Sekundärmaterialien zu beschäftigen.

 

Das Buch ist also eine Art Interpretationshilfe oder Sekundärliteratur, eine erklärende Ergänzung. Braucht man es denn, um den Film zu verstehen?
Tykwer: Nein, das wäre bedauerlich. Es ist ja hoffentlich nicht so, dass der Film den Zuschauer mit einem defizitären Gefühl entlässt. Sondern eher mit einer Fülle von Eindrücken, die zu verarbeiten Spaß macht, auch im Nachgespräch. Und dieses Nachgespräch kann eben sowohl zwischen Menschen stattfinden, als auch in der Auseinandersetzung mit einem Buch.

 

Film und Buch sind zwei sehr unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen Ausdrucksformen. Kann ein Buch überhaupt den Kern eines Films erfassen?
Tykwer:
Das kann oft ein Problem sein, vor allem wenn ein Buch einfach nur eine Art abgeschriebener Film ist, oder ein illustriertes Drehbuch. Aber andererseits ist die Urzelle eines Films letztlich immer ein Buch – nämlich ein Drehbuch. Das ist die Basis, auf der alle andere sich aufbaut. Und es gibt eine alte Regel: Man kann aus einem schlechten Drehbuch keinen guten Film machen. Während man aber durchaus ein gelungenes Drehbuch miserabel verfilmen kann. Das zeigt, wie bedeutsam das Verhältnis von Text zum Bild in der Filmproduktion ist. Es gibt einen starken Assoziationsraum, der ja erstmal geweckt und eröffnet wird durch das, was geschrieben wurde. Dann entstehen Bilder. Und mit diesem Buch haben wir eben auch die Chance, beide Ebenen nebeneinander zu stellen, nämlich Bild und Text.  

 

Könnten Sie sich vorstellen, ganz vom Medium Film auf das Medium Buch umzusteigen?
Tykwer:
Sie meinen, einen Roman zu schreiben? Nein, das nicht. Aber ich bin ein großer Fan von Alexander Kluge. Er veröffentlicht seit Jahrzehnten Bücher, die seine Filme weiterdenken oder manchmal auch zu Filmen hinführen, die er dann gemacht hat. In denen er Material sammelt und nebeneinander stellt, dessen Zusammenhang sich gar nicht auf Anhieb erschließt. Und erst wenn man sich tiefer versenkt, weicht das Willkürgefühl einer bestimmten subjektiven Weltwahrnehmung, die sehr interessant ist. Ich finde solche Buchprojekte toll, in denen man auf eine Suche gehen kann. Durch Materialverkettungen, die ungewöhnlich sind. In meiner langjährigen Zusammenarbeit mit Michael Töteberg, der auch das Buch zu „Drei“ betreut hat, sind auch konkrete Pläne in eine solche Richtung gewachsen. Wenn wir so etwas machen, dann wird es natürlich ein Filmbuch. Nicht ein Buch zu einem konkreten Film – sondern eins, das sich mit Film als diesem außergewöhnlichen und dominanten Gegenwartsmedium beschäftigt und ihn als Phänomen ausleuchtet. Auch mit Seitenblick auf die neuen Wissenschaften: die Medienphilosophie zum Beispiel ist ja ein wachsendes Terrain, das sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Das interessiert mich sehr.

Herr Tykwer, vielen Dank für das Gespräch.

 

Interview: Brigitte Preissler