Meinung: Literatur

Ihr habt ja keine Ahnung

9. Dezember 2010
von Börsenblatt
Warum moderner Musik applaudiert wird, schwierigen Schriftstellern hingegen nicht. Von Jochen Jung, Leiter des Jung und Jung Verlags in Salzburg.

Wie schön, dass es immer wieder junge Menschen gibt, die sich dazu entschließen, Buchhändler zu werden; ja, wenn der Schein nicht trügt, gibt es sogar immer mehr, die Buchhändler werden wollen. Ums richtig große Geldverdienen scheint es denen ja nicht zu gehen, also muss es der Umgang mit Büchern sein, mit Literatur, der sie anzieht, und Literatur ist bekanntlich Abenteuer im Kopf. Wobei ja das ganz Tolle nicht die Abenteuer selbst sind, sondern die Tatsache, dass der Kopf, von dem da die Rede ist, immer der eigene ist.
Natürlich versteht nicht jeder dasselbe unter Abenteuer und unter Literatur schon gar nicht. In den rund 1 000 Jahren, die es die deutsche Literatur mittlerweile gibt, hat sie sich ganz schön verändert, und auch wenn es ganz selbstverständlich klingt, kann es nicht falsch sein, den Jungen in Erinnerung zu rufen, woran sie sich altershalber überhaupt nicht erinnern können.

Zum Beispiel daran, dass es vor gar nicht so langer Zeit großen Respekt gegeben hat vor einer Literatur, die ganz mutwillig Kunst-Literatur sein wollte, die die Sprache nicht so benutzte wie das meiste, was heute geschrieben wird: Subjekt, Prädikat, Objekt und dazwischen ein paarmal genau, eh klar, sowieso. Gibt’s doch immer noch, sagen da die ganz Schlauen, die es unter den Buchhändlerinnen immer schon besonders häufig gegeben hat, und sie sagen womöglich Thomas Lehr, ohne Punkt und Komma, oder sie sagen sogar Friederike Mayröcker, die alte Zauberin aus Wien.

Ja, sag ich dann, aber ihr habt ja keine Ahnung, wie die Mayröcker früher schrieb, ohne Punkt und Komma, ist da das Wenigste, das war wirklich Abrakadabra. Früher, sage ich, da war Oskar Pastior nicht nur eine Romanfigur von Herta Müller, früher gab es Wortverdreher wie Helmut Heißenbüttel oder Franz Mon, und die galten was, waren anerkannter Teil der Literatur. Gut, man las sie auch damals nicht zum Frühstück, aber totale Randfiguren des Betriebs waren die sogenannten Experimentellen wirklich nicht.

Damals war die moderne Musik das Mauerblümchen unter den Künsten, und wenn einer Stockhausen sagte, lachten die anderen. Heute wird Wolfgang Rihm bei den Salzburger Festspielen an zwölf ausverkauften Abenden in einer Ausführlichkeit gefeiert, dass Mozart neidisch werden könnte, wenn er nicht Mozart wäre. Und alle gehen hin und hören gar nicht auf zu klatschen. Unvorstellbar, dass das heute für einen Schriftsteller gemacht würde, geschweige denn für einen, der uns eine Sprache zumutet, die viel Nachdenken erfordert.

Oder doch? Gerade hat die große Lyrikerin Elke Erb – auch keine von den Einfachen –  den Preis der Literaturhäuser bekommen, einen der schönsten, weil sinnreichsten, den die Szene hat: Er besteht aus je einer wohlbezahlten Lesung in fast allen Literaturhäusern in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zudem mit immer einem anderen Laudator.

Vielleicht gibt das einen Anstoß, wieder einmal darauf aufmerksam zu machen, dass Literatur auch anders spannend und aufregend sein kann. In der Welt der Sprache gibt es schließlich nicht nur Fantasy, sondern auch Fantasie. Und Parallelwelten aller Art gibt es da sowieso.
Eh klar? Genau.