Kommentar

Amazons "popular highlights": Verschiebliche Herzen

5. November 2010
von Börsenblatt
Lesen galt lange als gefährlich. Es war eine einsame Sache: nur das Buch und sie (seltener er). Der Buchhändler Amazon bringt nun aber Licht in die intime Situation. Ein Kommentar von Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir.
Wer auf seinem Kindle etwas anstreicht (elektronisch, versteht sich, sonst nähme der Bildschirm ja Schaden), tut das nicht mehr für sich, sondern für die ganze Welt. Beispiel: Falls Leser in einem prima Roman oft den Satz "Alle Herzen sind verschieblich" markierten, würden nachfolgende Buchbenutzer immer an derselben Stelle aufmerken: Ah, verschiebliche Herzen! Ebenso wäre das zwei Seiten weiter mit dem Satz "Lassen Sie sich nichts ein­reden" möglich. Lesen ist also total ungefährlich geworden. Das würde sich erst wieder ändern, wenn Vor-Leser in böser Absicht verabredeten, lauter banale Stellen anzustreichen, etwa ein paar Zeilen weiter den Satz "Das ist ein Irrtum". Dann würde es interessant. Aber Ungehorsam kommt ja so gut wie nicht vor in Herden.