Meinung

Bestseller: Ohne Hochstapelei

4. November 2010
von Börsenblatt
Wie Titel, die nicht den Mainstream bedienen, im Buchhandel zu Verkaufserfolgen werden. Von Marc Iven.

Der Verleger Klaus Schöffling schreibt in unserem aktuellen Kundenmagazin, das wir halbjährlich mit den 5plus-Kollegen von Felix Jud (Hamburg), Klaus Bittner (Köln), Zum Wetzstein (Freiburg) und Lehmkuhl (München) herausgeben: "Wir brauchen ihn wie am ersten Tag, ohne einen aufgeweckten Buchhandel ist das ganze Verlegen nichts. Wer sagt: Brauch’ ich nicht, egal ob er Vertreterbesuche oder ganze Verlagsprogramme meint, setzt die eigene Zukunft gnadenlos aufs Spiel, denn der austauschbare Buchhandel ist der verzichtbare Buchhandel, weil wir allseits Gängiges sowieso überall bekommen."
Hat er da recht? Ich meine schon, denn für uns mittlere und die kleinen Sortimente muss der rote Faden, den wir durch unsere Läden ziehen, im Vordergrund stehen. Eine Schnur, an der unsere Empfehlungen wie Perlen aufgereiht sind. Feinsinnig gesponnen, ohne zu belehren und zu ver­schrecken, sondern da, um den Bildungshunger anzuerkennen und zu stillen. Hochstapelei von Brottiteln sollte unser Ding nicht sein.
Tapfere Vertreter, zu deren Berufsethos es noch gehört, nicht einfach abzuwerfen, sondern gemeinsam mit uns Buchhändlern das Profil unserer Läden zu schärfen: Sie können uns dabei helfen, aus den Neuerscheinungen, die vom oft kurzen Dasein des Bestsellers verschont bleiben und damit leider hinten runterfallen, trotzdem die Titel herauszusuchen, die unser Sortiment besonders und einmalig machen und sich in der Folge vom überraschenden Longseller zur Backlist entwickeln. Gott sei Dank trifft das Licht der Öffentlichkeit auch ganz andere, eckige Autoren und noch richtige Schriftsteller. Stolz konnten wir sagen: "Herta Müller hatten wir immer da."

Unsere Kunden vertrauen auf unseren guten Geschmack, den bildungsbürgerlichen Humus und die tiefe Kenntnis, was die Backlist angeht – aber eben auch auf eine Experimentierfreudigkeit im aktuellen Programm. Nicht jede Frühjahrsnovität, die mit viel Verve und guten Wünschen auf den Markt geworfen wurde, hat sich als herausragend erwiesen – zumindest nicht für die Bilanz der Filialisten. Aber dann kommt von einem kleinen Verlagshaus die euphorische Ankündigung der zweiten Auflage, weil die literarischen Buchhandlungen sich so sehr um den Titel bemüht haben. Da haben wir unseren eigenen Bestseller geschaffen! Das bedeutet Macht.

Viele alte Kulturen hat die Gier ruiniert. Ein Schicksal, das uns allen genauso widerfahren kann, wenn wir falsche Prioritäten setzen und nur noch darauf schielen, schnelle monetäre Erfolge zu erzielen und den Kern unserer Arbeit, die Vermittlung von Kultur mit Haltung, eigenem Sinn und Verstand aus den Augen verlieren. Ich sehe unsere Autorenbuchhandlung als einen "Ort für Zufälle". Meine Kunden finden hier Bücher, die uns am Herzen liegen und von denen sie nicht wussten, dass sie sie jemals gesucht haben. Umberto Eco und Jean-Claude Carrière sind solche Finder. Im Gespräch über "die große Zukunft des Buches" erwägen die beiden, "welche Bücher sie vor einem Feuer retten würden".

Auch wir wählen jedes Buch von Hand aus, ein Feuer wäre das grausamste Szenario, das ich mir vorstellen kann, denn ein großer Teil von mir wäre unwiederbringlich dahin.