Meinung

Es ist wie mit der Liebe

8. Juli 2010
Redaktion Börsenblatt
Warum dem engagierten Buchhandel die Zukunft gehört. Von Marc Iven, Mitinhaber der Autorenbuchhandlung Berlin und der Buchhandlungen in der Akademie der Künste.
"Auf Readersehen", titelte vor ein paar Jahren der amerikanische Journalist Eric Banks, der für das New Yorker "book­forum" über die Berliner Autorenbuchhandlung berichtete.
Über den Daumen gepeilt haben meine Vorgänger, meine Mitarbeiter und ich dort in 8 676 Werktagen eine so buchaffine Stadt wie Leipzig in Gänze zu Gast gehabt. Frei nach Cohen: "Next we take 'Main-hattan', then we take Berlin."
Leser zum Anfassen. Leser, die Kinder kriegen. Leser, die einen Toten zu Grabe tragen. Leser, die Inspiration oder Trost suchen. Leser, die schenken. Leser, die lieber selber behalten. Leser, die reden. Leser, die schweigen. Leser, die fühlen. Leser, die kalt wie ein Fisch sind. Und quicklebendig, wenn man sie auf ihren letzten Lieblingstitel anspricht. Leser, die mit Zeitungsausschnitten kommen. Leser, die ihr eigenes Handgekritzeltes nicht mehr lesen können. Leser, die auf unsere geschulten Augen zählen. Und seit vielen Jahren Leser, die etwas im Internet gesehen haben, was sie lesen wollen. In E-Books lesen, das tun meine Kunden fast nie. Oder heimlich. Sicher im Netz auch mal ein Buch kaufen. Aber jede Beziehung braucht ein kleines schmutziges Geheimnis.
Meine Kunden und ich haben eine Beziehung. Die finden sie nicht im Internet. Was bei den Sensiblen mit der Liebe nicht klappt, klappt schon gar nicht mit den Büchern. Selbst die Harten wollen berühren, anfassen und am liebsten gleich danach vom "Warum" und "Weshalb" erzählen. Ich mag meine Kunden. Manche mag ich sehr. Manche mögen mich. Manche finden mich zu jung. Manche reden von der alten Zeit. Manchen erzähl ich von der neuen. Neugierig sind alle. Weil Menschen nun mal so sind.
Ich sage denen, die ihre Hugendubel-Tüte unterm Knie tragen, als wäre der Ischias geklemmt oder als hätte die Hexe scharf geschossen: "Seien Sie selbstbewusst! Ich bin’s doch auch! Ich bin stolz auf meine Buchhandlungen! Auf unser von Hand ausgewähltes Sortiment. Seien Sie stolz darauf, dass Sie nicht so eitel und arrogant waren, zu glauben, nicht auch beim großen Sortimenter eine Entdeckung machen zu können. Und sei es nur ein Titel im Stapel, den Sie bei uns hätten bestellen müssen, obwohl Sie ihn eigentlich gern gleich verschlingen wollen würden. Die Listen bestimmen den spontanen Griff, unsere Denke. Auch meine. Und sei es, dass ich mich bewusst gegen einen Titel entscheide."
Ich bin romantisch, ich geb’s gern zu. Aber meine Kunden sind’s auch. Durch alle Altersklassen hindurch. Das "Heilen der Welt" – ein Anspruch der Romantiker. Ich bin kein Quacksalber und kein Philosoph und schon gar nicht leide ich an Selbstüberschätzung. Ich bin Buchhändler mit Haut und Haaren, mit einer gesunden Portion Interesse an den Zahlen. Zugegeben einer, der seinem Volksbildungsauftrag mit Lust gerecht wird. Als Prophet tauge ich insofern, dass ich den festen Glauben habe, dass das Internet nicht als "Heiler der Welt" durchstarten wird.
Wir haben’s doch in der Hand. Die kleinen und mittleren Sortimente mit ihren Spezial- oder Kiezbuchhandlungen, wo man sich samstags trifft, wo ein Ort ist! Das hat mir MEIN Buchhändler empfohlen. Das gilt dort was. "Das habe ich aus dem Internet." Da fliegt einem um die Ohren: "Internet ist keine Quelle."
Richtig.
Und darum geht’s. Wir wollen eine Quelle sein. An der werden wir sie wiedersehen, die Reader oder Leser. Und ich schwör’s, die wird nie versiegen.
Alles Gute für Sie. Die Kleinen, Mittleren und Großen.