Neben Klaus Wagenbach saß Susanne Schüssler, seine Ehefrau und Leiterin des Wagenbach Verlags. Sie hat in diesen Tagen eine Sammlung von Texten herausgegeben, die sich wie eine Lebensgeschichte ihres Mannes lesen lässt. „Die Freiheit des Verlegers“ heißt das Buch. Es enthält teilweise unveröffentlichte Texte Wagenbachs – biographische Geschichten, Texte zur Politik, über Italien, über einzelne Autoren wie Johannes Bobrowski oder Franz Kafka, seine Grabrede zu Ulrike Meinhof.
Im BE wurden sie von vielen seiner Freunde, Weggefährten und Autoren gelesen. Und sie waren teilweise sehr prominent, diese Freunde, Weggefährten und Autoren. Jeder hob eine andere Facette, eine eigentümliche Episode oder charakteristische Eigenschaft aus Wagenbachs Leben hervor. Aus dem Munde von Erich Frieds Witwe Catherine Fried erfuhr man zum Beispiel, in welchem Zustand die Fried-Texte einst im Wagenbach-Verlag ankamen: Auf der Rückseite von Formularen und Wurfsendungen, übersäht von Filzstift-Korrekturen, teilweise sogar mit Leukoplast überklebt – dem äußersten, letzten Mittel der Korrektur. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse las einen biographischen Text über Wagenbachs Vater, der einst aus seiner Krankenkasse austrat, als diese keine Rechnungen jüdischer Ärzte mehr bezahlte. Günter Grass trug eine Passage über Wagenbachs Zeit bei der Gruppe 47 vor. Und Inge Feltrinelli, die Präsidentin des italienischen Verlags Giangiacomo Feltrinelli, sprach über sein Verhältnis zu Italien.
Die Orchestrierung der kurzen Buchtexte tat der Veranstaltung ausnehmend gut, sie geriet zu einem gelungen, kurzweiligen Porträt des Verlegers in 22 Stimmen. Zum Schluss trat Wagenbach selbst auf die Bühne und machte sich einige Gedanken zur Zukunft des Buches: Er stellte sich einen Urenkel vor, der auf einem staubigen Dachboden ein Buch findet. Und daneben: „Einen – wie heißt das noch mal: Einen digitalen Datenträger.“ Letzterer erweist sich als unbrauchbar, System und Programme sind kaputt, Steckdosen längst abgeschafft. Mit dem Buch kann er mehr anfangen; findet vielleicht ein paar getrocknete Rosenblätter darin, oder ein hingekritzeltes Hammer- und Sicher-Symbol, das ihn zur Überzeugung bringt, der Großvater sei Kommunist gewesen.
„Bücher werden uns überleben“, so schloss Wagenbach seine erbauliche kleine Vision. „Ehrlich. Versprochen.“ Das Publikum war so berührt, dass es sich applaudierend von den Plätzen erhob. Ehre, wem Ehre gebührt: Herzlichen Glückwunsch, Klaus Wagenbach