Goldene Nadel für den "BuchMarkt"-Chef

Christian von Zittwitz: "Buchhändler müssen sprechfähig sein"

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt

Der Börsenverein ehrt "BuchMarkt"-Herausgeber Christian von Zittwitz heute Vormittag mit der Goldenen Nadel. Erstmals erhält ein Journalist diese hohe Auszeichnung.

Wie fühlen Sie sich?
Von Zittwitz: Ich habe ernsthaft überlegt, ob ich die Auszeichnung verdiene. Ich frage mich, ob es eine Goldene Nadel wert ist, wenn man einfach nur konsequent seine Arbeit gemacht hat. Aber ich nehme sie jetzt gern an, stellvertretend für meine Mitarbeiter, aber auch für meine Weggefährten in den über 40 Jahren. BuchMarkt war von Anfang an eine Sache von vielen und wäre ohne Mitstreiter wie Franz-Josef Klock oder Heinz Gollhardt nicht möglich gewesen, und schon gar nicht ohne meinen damaligen Partner Klaus Werner. Der hatte sich eine solche Ehrung bis zuletzt gewünscht, vergeblich.
 
Damals gab es Differenzen zwischen ihm und dem Börsenverein.
Von Zittwitz: Ja, damals musste der Verband lernen, mit kritischen Stimmen zu leben. Das war vollkommen neu. Es kam zu Missverständnissen. Aber das ist vielleicht das Happy End: Ohne BuchMarkt sähe das Börsenblatt heute nicht so aus, wie es heute aussieht.
 
Umgekehrt haben Sie kürzlich angemerkt, ohne Börsenblatt gäbe es den BuchMarkt nicht.
Von Zittwitz: Ja, das ist richtig. Wenn das Börsenblatt damals schon so ausgesehen hätte wie heute, hätte ich nicht den Mut gehabt, ein weiteres Blatt daneben zu setzen.
 
Wie sah die Buchhandelslandschaft vor über 40 Jahren aus, als Sie Ihr Projekt starteten?
Von Zittwitz: Damals war die Branche von Inhabern geprägt, die sich auch langfristige Ziele setzen konnten. Heute wird sie zu großen Teilen von angestellten Managern betrieben, die am kurzfristigen Erfolg gemessen werden. Mir wird auf einmal klar, dass man mich für meine lange Tätigkeit auch deshalb jetzt ehrt, weil sie heute wohl vielen so unvorstellbar ist, wie wir uns die ausgestorbenen Dinos der Urzeit nicht mehr wirklich vorstellen können – eine Ehrung infolge Erstaunens sozusagen.
 
Haben Sie dinosaurische Selbstempfindungen? Sie wirken gar nicht wie ein Dino.
Von Zittwitz: An meiner Wand hängt seit Jahren der Satz „The best is yet to come“. Dazu kommt: Die Themen unserer Branche sind zwar immer die gleichen; aber die Leute, die sich damit beschäftigen, sind spannend. Das lädt den Akku immer wieder auf.
 
Sie „leben“ seit über 40 Jahren Ihren BuchMarkt. Mit welcher Absicht haben Sie das Magazin damals angefangen?
Von Zittwitz: Damals wollte ich meinem Lehrherrn Klaus Werner nur beweisen, dass eine Fachzeitschrift nicht zwingend langweilig sein muss.
 
Und mit welcher Absicht machen Sie es heute weiter?
Von Zittwitz: Weil ich nichts anderes gelernt habe und ich mein „Leben“ nicht aufgeben will. Ernsthaft: Ich glaube, dass wir das derzeit modernste Fachzeitschriften-Konzept haben. Und das ist noch gar nicht ausgereizt.
 
Das sagen Sie angesichts einer Entwicklung, in der die Geschäftsmodelle für vorwiegend anzeigenfinanzierte Medien überall unter Druck geraten?
Von Zittwitz: Die meisten geraten zu Recht unter Druck. Wenn deren Manager ihre eigenen Blätter lesen würden, wüssten sie, warum diese in Schwierigkeiten sind. Journalistische Qualität wollen sie nicht mehr bezahlen, und Leidenschaft für eine Sache ist selten zu spüren.
 
So seltsamen Papierkram wie ausgerechnet ein BuchMarkt-Heft oder ein Börsenblatt wird es also aus Ihrer Sicht auch in fünf Jahren noch geben?
Von Zittwitz: Ich gebe zu, ich war irritiert, als Sie vor zwei Jahren hier in Düsseldorf an der Universität öffentlich gesagt haben, langfristig werde der Online-Journalismus in Führung gehen und „Für das Börsenblatt könnte ich mir vorstellen, dass die Printplattform noch vor meiner Rente verschwindet“.

Auf unsicherem Grund bleibt man wachsamer…

Von Zittwitz: Mag sein, aber ich bin und bleibe, was Print anlangt, trotzdem zuversichtlich. Denn ich sehe bei Besuchen in Buchhandlungen (viel öfter als früher) Buchhändler in Fachmagazinen blättern, auch wenn sie vielleicht nur die Anzeigen durchgehen, weil sie wissen wollen, was ihr Einkäufer für sie eingekauft hat und was nicht.
 
Unseren Heften geben Sie also eine günstige Prognose?
Von Zittwitz: Aber sicher! Alles, was keinen Strom braucht, wird überleben. Natürlich weiß ich nicht, wie unsere Blätter aussehen werden, wenn Sie in Rente gehen. Aber noch sehe ich nicht, wie das Internet die großen Fachzeitschriftenthemen wie Ausbildung, Weiterbildung oder Information wirksam übernehmen kann. Eine gute Zeitschrift schafft, dass spielerisch auch die bezahlten Informationen wahrgenommen werden.
 
Nun fragen sich manche Verlage skeptischer als früher, ob Buchwerbung in den Fachmagazinen auch die Wirkung hat, die man sich von ihr verspricht.
Von Zittwitz: Da wird es bald ein Umdenken geben. Die Verlage entdecken langsam, dass sie Hilfstruppen bei den Buchhändlern und Buchhändlerinnen an der Front brauchen, wenn sie die Warenwirtschaften, die Warenpakete und die Zentraleinkäufer überlisten wollen. Ich weiß, dass sich viele Buchhändler aus ihren Blättern die Infos suchen, die sie für ihre Verkaufsgespräche brauchen.
 
Ist mir auch schon aufgefallen, dass Kunden manchmal mehr wissen als ihre Händler.
Von Zittwitz: Ja, weil viele Informationen der Verlage nur den Zentraleinkauf oder den Chef erreichen, auch die Mails der Vertriebsabteilungen landen doch immer nur bei einem im Laden. Aber jeder im Verkauf ist doch froh, wenn sein Akku mit knappen Infos zu aktuellen Büchern aufgeladen wird. Allerdings muss man sich dann auch mal kritisch die typischen Buchinserate ansehen, ob die wirklich dazu beitragen, dass diejenigen, die die Bücher verkaufen sollen, auch sprechfähig sind.
 
Wann wäre ein Verkäufer „sprechfähig“?
Von Zittwitz: Ich meine, dass eine Buchhändlerin vor ihrem Kunden ein Buch auf den Punkt bringen kann. Überhaupt sind gut informierte Verkäufer das Kapital für jeden Ladeninhaber. Die müssen doch auch Titel kennen, die ihr Zentraleinkauf vielleicht nicht gelistet hat. Mein Lieblingsbeispiel ist Matthias Polityckis  „In 180 Tagen um die Welt“. Wer nicht weiß, dass es eine „hinreißende Satire“ auf Kreuzfahrten ist, kann es einem Kunden nicht zusätzlich zu seinem gewünschten Bildband über sein Kreuzfahrtziel anbieten. Oder er kann sich mit der Antwort „Jules Verne“ blamieren, wenn der den Titel und Autor nicht richtig verstanden hatte.

Sie glauben also nicht, dass sich die gegenwärtige Schwächephase im Anzeigengeschäft zu einer echten Krise auswächst?
Von Zittwitz: Nein, eine solche Krise würde sonst sehr rasch vor allem als Krise des Verlagsmarketings erkennbar. Ich bin seit Jahren gewohnt, dass BuchMarkt ein Ergänzungsmedium zum Börsenblatt ist. Aber unsere Erscheinungsweise macht es möglich, dass man auch mit geringerem Aufwand noch vom Handel wahrgenommen werden kann. Vielleicht sehe ich die derzeitige Entwicklung deshalb relativ gelassen.
 
Sie sind in der Branche vernetzt und pflegen Freundschaften wie kaum einer sonst. Wie lebt es sich als Journalist per du?
Von Zittwitz: Es macht die Arbeit sehr einfach. Aber ich weiß auch, dass man nicht vergessen darf, dass man als Journalist zwar immer dabei ist, aber doch nicht dazu gehört.
 
Lieber einen guten Freund verlieren als eine gute Nachricht verpassen?
Von Zittwitz: Im Zweifel halte ich mich an den alten journalistischen Grundsatz: Wenn man nicht der beste sein kann, dann muss man wenigstens der Schnellste sein. Das scheint uns zu gelingen: Ich kann mich an keine wirklich heiße Nachricht aus den letzten Jahren erinnern, die online nicht zuerst bei uns gestanden hätte.

Keine Gegenrede an dieser Stelle – aber nur, weil Sie gerade Ehrungsschutz genießen.
Von Zittwitz: (lacht) Jedenfalls klingelt mein Handy nach wie vor so oft wie früher.
 
Wenn Sie eine Geschichte wieder ungedruckt machen dürften: Welche wäre das?
Von Zittwitz: Ich kann mich nicht erinnern, aber 43 Jahre sind eine lange Zeit.
 
Gibt es für Sie einen Namen über die Jahrzehnte, der alle anderen überstrahlt?
Von Zittwitz: Das wäre wirklich schwierig, aber diese Riege hier hat wesentlich zur Gestaltung des Marktes beigetragen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Reinhard Mohn, Fritz Molden, Ledig Rowohlt, Volkmar Mair, Georg und Dietrich von Holtzbrinck, Rolf Heyne, Gert Frederking, Christian Strasser, Friedrich Karl Sandmann, Dieter Banzhaf, Viktor Niemann, Heiner Hugendubel, Carel Halff…

Haben Sie Lust, zum Ausklang ein bisschen zu spielen?
Von Zittwitz: Ich spiele gern.

Na dann: Alt oder Kölsch?
Von Zittwitz: Wein.
 
Oper oder Theater?
Von Zittwitz: Beides.
 
Berge oder Meer?
Von Zittwitz: Städte.
 
Klarinette oder Fagott?
Von Zittwitz: Saxophon, Ben Webster.
 
FAZ oder taz?
Von Zittwitz: SZ und RP.
 
Illner oder Maischberger?
Von Zittwitz: Nie! (Sehe TV im Grunde nur von der Konserve: Dokus und Filme.)
 
Ein Versuch noch: Sommer oder Herbst? (Sagen Sie jetzt bitte nicht Frühjahr!)
Von Zittwitz: Dann Winter. An Winterabenden, meine beste Zeit zum Telefonieren, bleibe ich gern länger im Büro.