Horror im Homeoffice? Für Florian Biege ist das eine inspirierende Vorstellung. „Abenteuer, Expedition, spannende Charaktere und Schauplätze mit historischem Bezug, dazu ein Horror-Element – wenn eine Geschichte solch einen Mix mitbringt, reizt es mich sehr, sie als Graphic Novel umzusetzen“, beschreibt der Illustrator sein Wunschszenario.
Rein äußerlich spielt sich sein Arbeitsalltag deutlich weniger spektakulär ab. „Mein Setup besteht aus zwei Monitoren und einem großen Grafiktablet. Ich arbeite ausschließlich digital“, erläutert der 36-Jährige, der in Münster zuhause ist. Hier erweckt er am liebsten surreale Kreaturen zum Leben, die sich dann auf Buchseiten und Covern, in Comics und Spielen tummeln. „Fabelwesen faszinieren mich schon seit meiner Kindheit. Sie ziehen sich durch mein gesamtes Schaffen“, erzählt Biege, der an der Fachhochschule Münster Design mit Schwerpunkt Illustration studiert und seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat.
Zamonisches Großprojekt
Sagenhafte fünf Jahre lang hat er sich mit seinem bislang umfangreichsten Werk beschäftigt: der Graphic Novel „Die Stadt der Träumenden Bücher“ nach dem gleichnamigen Roman von Walter Moers. Biege ist tief eingetaucht in die Abenteuergeschichten über den phantastischen Kontinent Zamonien und hat gemeinsam mit Moers einen Comic aufwändigster Machart geschaffen. „Das war schon eine besondere Situation, so lange Zeit an einer Sache arbeiten zu können. Es bringt Routine und Ruhe ins Leben. Andere Projekte, zum Beispiel Storyboards für die Werbung, sind ja manchmal in ein bis zwei Tagen abgehakt“, erzählt Biege. Dass „Die Stadt der Träumenden Bücher“ in Bildern, erschienen bei Knaus/Random House, auch bei kritischen Zamonien-Fans sehr gut angekommen sei, habe ihn sehr gefreut. „Ich war auf die Reaktionen wirklich gespannt. Und ich habe mich selbst sehr über das analoge, gedruckte Ergebnis meiner Arbeit gefreut – das ist schon ein besonderer Moment, wenn man das schön gemachte Produkt in den Händen hält“, betont Biege.
Aktuell widmet er sich verstärkt der Entwicklung und Illustration von Brettspielen. Die Ideen entstehen aus dem eigenen Spaß am Spielen – und auch hier gerne in Kombination mit phantastischen Wesen. „Monster-Bande“, verlegt von Drei Hasen in der Abendsonne, ist eine seiner erfolgreichsten Erfindungen und landete 2018 sogar auf der Empfehlungsliste zum Kinderspiel des Jahres. Bei Kosmos kommt in Kürze das von Florian Biege illustrierte Live-Escape-Game „Der einsame Leuchtturm“ auf den Markt. Weitere eigene Spieleprojekte warten noch auf Veröffentlichung, während man der Fortsetzung seines Webcomics „Phantom Reign“, ein Mix aus Bildergeschichte und Spiel, fortlaufend online folgen kann.
„Das Ende ist offen. Die Leser spielen sehr konstruktiv mit und schlagen nach jeder fertigen Seite über Instagram vor, wie es weitergehen soll. Die Idee mit den meisten Likes setze ich um“, erklärt er. Über 100 Personen, die über Webcomic-Plattformen wie webtoon.com und tapas.io oder seine Social Media-Accounts darauf aufmerksam wurden, haben auf diese Art und Weise schon an den bislang 70 Seiten mitgewirkt.
Zeichenbrett und Hörbuch-App
Bücher nimmt Biege selbst meist über die Ohren auf. „Hörbücher lassen sich gut mit Zeichnen, Laufen und Radfahren kombinieren“, erläutert der zweifache Marathonläufer. Seinen Urlaub verbringt er zusammen mit seiner Freundin, die ebenfalls Illustratorin ist, am liebsten aktiv in der Natur - ob kurzentschlossen per Fiets durch Holland oder sechs Wochen lang mit Rad und Zelt entlang der Pazifikküste von Seattle nach L.A. Unterwegs entstehen in Kneipe, Café oder während einer Zugfahrt Skizzen zur Inspiration oder zur Vorlage für Projekte – auf dem Tablet oder mit feinem, schnellem Strich auf Papier.
Auch nach der Corona-Isolation hat er vor, „erst mal für ein paar Tage irgendwohin zu fahren“, Freunde und Familie zu treffen. Und sich mit Kolleginnen und Kollegen wieder von Angesicht zu Angesicht auszutauschen. „Erstmals hat unser monatlicher Illustratoren-Stammtisch per Videokonferenz stattgefunden“, erzählt Biege, „der harte Kern war ein paar Stunden dabei.“ Aufgrund des Studienangebots gelte Münster als „Illustratoren-Hochburg“, den Stammtisch legt er auch dem Nachwuchs ans Herz. „Er ist eine super Gelegenheit, die wahnsinnig vielen Fragen rund um die Selbstständigkeit loszuwerden: Verträge, Aufträge, Urheberrecht… das lernt man nicht im Studium“, weiß Biege aus eigener Erfahrung.
Er selbst will sich in weitere kreative Abenteuer stürzen: Auf seinem Illustratoren-Wunschzettel steht neben Klassikern wie „Moby Dick“, „Robin Hood“ und „Die Schatzinsel“ auch „Der Schrecksenmeister“ von Walter Moers – vielleicht klappt es dann ja auch mal mit einem Treffen zwischen den beiden Zamonien-Kennern.