Mit Blick auf die internationalen Aussteller, insbesondere aus Nordamerika und China, und die nach wie vor geltenden Reisebeschränkungen äußerte Unseld, der Verleger der Frankfurter Verlagsanstalt, im Gespräch mit Börsenblatt online "größte Zweifel, dass die überhaupt reisen dürfen im Herbst". Er glaube nicht, dass es eine nennenswerte Präsenz internationaler Verleger und Agenten in diesem Jahr überhaupt geben könne. Die traditionelle "Unseld-Party" am Abend des Messe-Donnerstag in seinem Privathaus hält er unter den absehbaren Bedingungen einer dann noch immer nicht überstandenen Corona-Pandemie für "viel zu riskant. Das geht einfach nicht."
Mit ähnlicher Skepsis meldete sich Unselds Frankfurter Kollege Klaus Schöffling (Schöffling & Co.) in der "FAZ" zu Wort. "Es wäre schön, wenn es ginge, aber ich glaube es nicht", sagte er der Zeitung. Und forderte, den Schwebezustand zügig zu beenden: Es müsse "jetzt entschieden werden". Eine Hängepartie wie im Frühjahr mit der Leipziger Buchmesse müsse mit Rücksicht auf sonst entstehende Kosten für die Aussteller unbedingt vermieden werden.
S. Fischer-Verlegerin Siv Bublitz hingegen hält die Zeit für öffentliche Statement in dieser Frage für noch nicht gekommen. Der Austausch mit den Messekollegen habe gerade erst begonnen, sagte Bublitz ebenfalls der FAZ.
Als Fürsprecherin einer Buchmesse 2020 äußerte sich Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) in der Frankfurter Rundschau. Sie begrüße Pläne der FBM, für viele Veranstaltungen digitale Formate zu entwickeln. Die Zeitung zitiert Hartwig mit den Worten: "Ich finde es gut, dass Buchmessen-Direktor Juergen Boos an der Veranstaltung festhält. Die Buchmesse soll stattfinden, in welcher Form auch immer.“
Die Messe selbst warb am heutigen Dienstag noch einmal um Verständnis dafür, dass die "vielen Gespräche mit internationalen Ausstellern und anderen Partnern einfach ihre Zeit brauchen", so eine Sprecherin. Derzeit würden "verschiedene Szenarien geprüft". Belastbare Informationen soll es spätestens Anfang Juni geben.
Und umgekehrt gilt vermutlich auch in fast allen anderen Ländern für Reisende aus Deutschland ein entsprechendes Einreiseverbot bzw. eine Quarantäne-Regelung. Wie soll da ein Verlagsteam aus Indien oder Brasilien oder der Türkei zur Buchmesse kommen und auch wieder zurück? Drei Wochen vorher anreisen und nach der Messe zwei Wochen in Quarantäne sitzen?
Und organisieren wir auf den Rolltreppen der Halle 4 einen Mindestabstand von zwei Metern? Und gilt der auch für Gespräche am Stand, was für Kleinverlage ziemlich diskriminierend wäre? Lassen wir in diesem Jahr alle Lesungen und Events an den Ständen und auf dem Messegelände und in der Stadt weg? Und welchen Sinn machen Besuche von Buchhändlern oder Lesern, wenn man an den Ständen anstehen muss, wie ehedem auf der Leipziger Frühjahrsmesse? Und da auch keine Politiker kommen, welchen Sinn macht der Verlagsstand, ohne Lizenzpartner, ohne Autoren, ohne Lesern, ohne Presse, ohne Buchhändlern? Geht es einfach nur darum zu demonstrieren, dass wir Buchmenschen dickköpfger sind als andere oder dass (books are different) man sich im Raum des Geistigen mit Viren nicht infizieren kann?
Nein, wir dürfen die Buchmesse nicht absagen, das können wir uns gar nicht leisten. Sie muss von öffentlicher Stelle untersagt werden, und das so schnell wie möglich, damit wir uns als Branche das überhaupt leisten können.
Eine Buchmesse kann aber durchaus stattfinden. Nur - wie sieht die dann aus?
1. Das Lesepublikum bekommt keinen Zugang zur Messe
2. Für Fachbesucher gibt es eine harte Zugangskontrolle
3. Sämtliche Veranstaltungen auf dem Messegelände werden untersagt
4. Mindestgröße der Stände 16 qm
5. Nur eine Person pro 4 qm am Stand
6. Die Gänge werden in ihrer Breite mindestens verdoppelt
7. Agentenzentrum wird virtuell
8. An den Rolltreppen wird eine dauernde Abstandskontrolle vorgenommen
9. Im Außengelände gibt es keine Veranstaltungsbereiche und auch die Messebratwurst fällt aus
Das kann man so machen. Aber will das jemand so machen?
Und wenn die Buchmesse auch nicht in der traditionellen Weise ihre Tore öffnen können sollte, so wäre dies als Gelegenheit zu sehen, neue Wege zu beschreiten, die vielleicht zusätzliche Perspektiven für die Zukunft eröffnen.
Darüberhinaus sollte auch hinsichtlich der Buchmesse gelten: Die Zeit der Eingriffe in Grundrechte und Freiheit mit der "großen Keule" unter Inkaufnahme immenser Kollateralschäden muss vorbei sein. Differenzierende, zielgenaue und kreative Lösungen sind spätestens jetzt gefragt. Und solche würde ich den Organisatoren der Frankfurter Buchmesse sehr wohl zutrauen.
Impfstoff wird kaum vor dem Jahresende da sein, bis dahin gilt also Infektionen zu vermeiden und sie vor allem nachverfolgbar zu machen. Das bedeutet Abstandsgebot und Versammlungen klein halten.
Würden Sie als Arbeitgeber jetzt Ihr Team nach Wuhan auf eine Messe schicken, auf der sich Leute aus Brasilien, USA, Spanien, Russland, Iran und 100 anderen Ländern treffen und den ganzen Tag und Abend zusammen rumhängen? Ist das mit der Fürsorgepflicht vereinbar? Wuhan ist da, wo wir im Oktober vielleicht sein werden.
Würden Sie als Buchhandlung einen Bus mit Kunden vollpacken und nach Frankfurt fahren mit dem Risiko für die nächsten zehn Jahre die Ursache zu sein, die 2020 eine ganze Kleinstadt wieder in die Quarantäne gezwungen hat und Leid über Familien gebracht hat?
Würden Sie als Schulleiter in Frankfurt den Ausflug ihrr Schulklassen auf die Messe organisieren, wo sie den Unterricht organisatorisch nicht gebacken kriegen?
Und schließlich als Verlag: welches strategische Ziel verbinden Sie mit dem Messeauftritt, das sich unter den genannten Bedingungen noch erreichen lässt? Oder ist es besser das große Marketingbudget stattdessen auf Social Media und Pressearbiet umzulenken?
Was es zur Bewältigung der SARS-CoV-2-Krise braucht ist Eigenverantwortung und tatsächlich wirksamer Schutz jener Menschen, die Hochrisikogruppen angehören. Dass die überwältigende Mehrheit der Menschen dazu bereit und in der Lage ist, wurde eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Die Buchmesse wird wohl kaum so sein können wie gewohnt, aber vielleicht zukunftsweisend anders. Literatur ist nicht die Domäne des "Sich Wegduckens", sondern Quelle von Ideen für kreative Lösungen.
Zu denken gibt uns, dass das Land Berlin sämtliche Großveranstaltungen bis zum 24. Oktober 2020 untersagt, dass das Oktoberfest in München abgesagt wurde, ebenso das zweitgrößte Volksfest in Deutschland, das Cannstatter Volksfest in Stuttgart, das vom 25.9.-11.10.2020 dauern sollte. Es wäre daher nur folgerichtig und begrüßenswert, wenn die Frankfurter Buchmesse ebenfalls abgesagt werden würde.
Auch die FAZ wundert sich in einem Beitrag vom 25. April, dass die diesjährige Buchmesse noch nicht abgesagt wurde:
https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/corona-krise-findet-die-frankfurter-buchmesse-statt-16741098.html
Stand heute müsste unser Verlag an die Buchmesse die vollen Kosten bezahlen, falls wir wegen der Corona-Krise nicht an der Messe teilnehmen. Auf meine Anfrage, ob eine kostenlose Stornierung angesichts der besonderen Situation möglich wäre, erhielt ich am 17. April von der Buchmesse folgende offizielle Antwort: „Da wir momentan davon ausgehen, dass die Frankfurter Buchmesse stattfinden kann, würden momentan die normalen Stornobedingungen greifen. Dies bedeutet, dass eine Stornierung bis zum Anmeldeschluss am 31.01.2020 mit einer Bearbeitungsgebühr von 20 % möglich war. Nach diesem Termin muss die Standmiete dennoch bezahlt werden. Falls wir die Fläche weitervermieten können (bei vorheriger Belegung aller andern möglichen Flächen), kann ein Teil der Standmiete zurückerstattet werden. Den Passus zum Rücktritt finden Sie in unseren Teilnahmebedingungen auf S. 9, § 8.
Wir würden uns sehr wünschen, dass die Frankfurter Buchmesse 2020 wegen der besonderen Situation baldmöglichst - und nicht erst Mitte Juni - abgesagt wird, damit wir Planungssicherheit haben, und dass die bereits angemeldeten Verlage die schon gezahlten Beträge voll zurückerstattet bekommen.
Mir kam nämlich alles, was sich derzeit so ereignet, dauernd irgendie vertraut vor...
Un dann fiel es mir ein - und ich holte mir sein Buch:
CAMUS, DIE PEST
heraus!
Tun Sie das bitte auch gleich einmal ! ALLES, was da minutiös (mit hintergründig ganz anderer Absicht) geschildert ird - es liest sich, als wäre das vordergründig HEUTE!!!
Und leider ist auh das Hintergründige dieses Buches so aktuell, dass es einen schaudert.
Ingeborg Gollwitzer
Nun sind wir hier als Sortimenter gerade dabei, alle unsere diesjährig noch angedachten Veranstaltungsprojekte auf Eis zu legen und zu versuchen, einige ins Jahr 2021 hinüberzuschieben. Und dann kommt Ina Hartwig mit der Aussage um die Kurve, dass sie die Entwicklung vieler digitaler Formate in Sachen FBM begrüße und Herr Boos an der Veranstaltung festhalten solle? Hmmmmmmmm? Digital ist Netz – geht also überall. Ohne Händeschütteln, ohne Umarmung und ohne persönlichen Kontakt ist unser Besuch in Ffm allerdings recht sinnfrei, weshalb er in diesem Jahr entfallen wird – sehr schade, aber das ist dann eben so.
Jens Bartsch – Buchhandlung Goltsteinstraße in Köln